Materialien 1988
Anti-Atom-Bewegung als terroristische Vereinigung?
Initiative Bayerischer Strafverteidiger e.V.
in Zusammenarbeit mit dem Sprecherrat der Universität München
Veranstaltung
Zur Ausdehnung und Verschärfung des § 129 a StGB
Montag, den 1. Dezember 1986 um 19 Uhr
Universität, Hörsaal 201, LMU Geschwister-Scholl-Platz 1
mit
Prof. Dr. Bernhard Haffke, Universität Frankfurt und Rechtsanwalt in Wolfratshausen
Norbert Mann, MdB und Mitglied des Rechtsausschusses, DIE GRÜNEN
Hartmut Wächtler, Rechtsanwalt in München
Ein/e Vertreter/in des „Infobüros Freies Wackerland, Altenschwand“
Ein/e Vertreter/in der Betroffenen der polizeilich verbotenen und aufgelösten Veranstaltung im „Zunfthaus“ in München
Leitung: Rechtsanwalt Wolfgang Bendler, München
Die Bundesregierung plant, am 3./4. Dezember 1986, also noch vor den Wahlen, in 2. und 3. Lesung die eingebrachten Gesetzesentwürfe „zur Bekämpfung des Terrorismus“ im Bundestag durchzupeitschen. Der Bundesrat soll am 19. Dezember 1986 zustimmen, so dass das Gesetz bereits zum Jahreswechsel in Kraft treten könnte.
Die sattsam bekannte Diskussion um die Einführung des Kronzeugen für Terroristen hat bislang die eigentlichen Absichten der Koalitionsparteien und der Bundesregierung verborgen. Neuerdings wird der Verzicht auf den Kronzeugen als Preis für die widerspruchslose Einführung des wesentlich einschneidenderen Teils des Gesetzesvorhabens verkauft: Die Erweiterung des Strafbestandes der terroristischen Vereinigung um die Katalogtaten des gefährlichen Eingriffs in den Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr (z.B. Blockieren von Munitionstransporten), Störung öffentlicher Betriebe (z.B. Absägen von Strommasten und Brandanschläge auf Baumaschinen und Kraftfahrzeuge). Darüberhinaus soll der erst 1976 eingeführte und 1981 wegen Bedeutungslosigkeit und Unpraktikabilität wieder gestrichene Zensurparagraph 130a StGB (Anleitung zu Straftaten) wieder Gesetz werden. Die RAF-Anschläge der jüngeren Zeit zum Anlass nehmend, versucht die Bundesregierung, der Bevölkerung mittels gesetzestechnischer Maßnahmen energisches Vorgehen gegen den „Terrorismus. zu demonstrieren. Tatsächlich soll jedoch durch die Ausdehnung des Terrorismusbegriffes der nach Tschernobyl radikalisierte Widerstand in seiner ganzen Breite getroffen werden.
Da alle bisherigen Spaltungsversuche der Anti-Atom-Bewegung weitgehend erfolglos waren, greift man nunmehr zu dem Mittel, aus radikalen Gegner „Terroristen“ zu machen, um die Spaltung vollziehen zu können und den Widerstand zu brechen. Bei gleichzeitiger Erhöhung der Strafrahmen für den Unterstützer einer terroristischen Vereinigung von 6 Monaten bis zu 5 Jahren und für die mitgliedschaftliche Beteiligung von 1 Jahr bis zu 10 Jahren führt die Anwendbarkeit des § 129a StGB auf die Anti-Atom-Bewegung zu folgenden strafprozessualen und polizeilichen Zwangsmaßnahmen:
1) Zuständigkeitsverlagerung für alle Ermittlungsverfahren auf den Generalbundesanwalt und Ermittlungskompetenz für das Bundeskriminalamt (§ 142 a Abs. I GVG).
2) Erweiterte Beschlagnahme- und Durchsuchungsbefugnisse auch bei unverdächtigen Personen (§ 103 StPO).
3) Einschränkungslose Telefonüberwachung (§ 100 a StPO).
4) Einrichtung von „Kontrollstellen“ auf allen öffentlichen und öffentlich zugänglichen Straßen und Plätzen mit der Befugnis, jede auch unbeteiligte Person zu durchsuchen und deren Identität festzustellen und zu überprüfen (Datenspeicherung).
5) Pauschale Anordnung der Untersuchungshaft ohne den Haftgrund der Flucht- oder Verdunkelungsgefahr (§ 112 Abs. 3 StPO).
6) Anwendung des Kontaktsperregesetzes, Isolation, Sonderhaftbedingungen.
7) Einschränkung des Verteidigerbriefverkehrs mit Gefangenen in Untersuchungs- und Strafhaft (§ 148 Abs. 2 StPO).
8) Erleichterung des Verteidigerausschlusses (§ 138 a Abs 2 und 5 StPO).
9) Rechtswegsverkürzung durch Zuständigkeit der Oberlandesgerichte in I. Instanz (§ 120 Abs. I Nr. 6 GVG).
10) Strafbarkeit der Nichtanzeige einer geplanten oder in Ausführung begriffenen Straftat nach § 129 a StGB (§ 138 Abs. 2 StGB).
Entscheidend dabei ist, dass es jetzt im Ermessen des Generalbundesanwalts liegen soll, durch die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens nach § 129 a StGB (auch gegen Unbekannt) jeden Einzelnen mit dem speziellen Instrumentarium der Terrorismusbekämpfung zu bedrohen und zu verfolgen.
Bislang war die Anwendung dieser Fahndungs- und Strafverfolgungsmaßnahmen von dem wie auch immer begründeten Verdacht der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Sinne der RAF abhängig. Dies war in letzter Zeit beispielsweise der Fall
bei den Durchsuchungen von fast 50 Wohnungen in der Kiefernstraße in Düsseldorf im Zuge der Fahndung nach den Braunmühl-Attentätern;
bei den Hausdurchsuchungen in Ponholz und Burglengenfeld bei Wackersdorf anlässlich der Blockadetage;
bei der teilweise Räumung der Hafenstraße in Hamburg;
bei dem Verbot einer „Veranstaltung zur Situation der politischen Gefangenen in der BRD“ im „Zunfthaus“ in München mit großräumiger Straßenkontrolle, Abfilmen, Personalienfeststellung, körperlicher Taschen- und PKW-Durchsuchung sämtlicher Besucher der Veranstaltung (Kontrollstelle), und Hausdurchsuchung bei der Mieterin des Veranstaltungsraumes. Dabei diente ein vom Generalbundesanwalt eingeleitetes Ermittlungsverfahren wegen Werbens für eine terroristische Vereinigung als Anlass und Grundlage.
Jetzt will man nicht mehr nur die konkreten Straftaten wie Sachbeschädigung, Nötigung, Umsägen eines Strommastens, Anzünden einer Rodungsmaschine oder Blockierung einer Bahnverbindung etc. strafrechtlich verfolgt wissen, vielmehr soll die strafrechtliche Sanktion bereits im Vorfeld ansetzen, dort wo Gruppen ausgemacht oder konstruiert werden können, die sich zum Zweck der Begehung solcher Straftaten zusammengeschlossen haben, ohne dass es des Nachweises einer konkreten Ausführungstat durch eine bestimmte Person bedarf.
Die beabsichtigten Folgen für die gesamte Protest- und Widerstandsbewegung liegen auf der Hand:
Jeder Demonstrant in Wackersdorf oder in Brokdorf kommt als Unterstützer oder Mitglied einer terroristischen Vereinigung in Betracht. Jeder Schwandorfer Bauer, der Demonstranten in seiner Scheune beherbergt, muss damit rechnen, jederzeit in den Verdacht der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung zu geraten.
Jeder soll befürchten müssen, für seine Solidarität im Widerstand als „Terrorist“ verantwortlich gemacht zu werden. Auch der untätige Sympathisant kann „Unterstützer“ sein.
Kollektive Meinungsäußerungen in Wort und Schrift werden zu Ansatzpunkten für die Konstruktion einer (terroristischen) Vereinigung.
Alle Aktivitäten, die mit Protest und Widerstand zu tun haben, begründen den prinzipiellen Verdacht und ermöglichen den allumfassenden Einsatz des polizeilichen Ermittlungs- und Fahndungsapparates.
Die ständige Bedrohung mit dem Terrorismusvorwurf, die ständige polizeiliche Präsenz, der ständige Eingriff in geschützte Rechte (Kontrollstellen, Durchsuchungen, Telefonüberwachung, Beschuldigten- und Zeugenvernehmungen etc.) sollen den radikalen Widerstand ersticken, wie er sich in Anti-Atom-, Friedens-, Ökologie- und Dritte-Welt-Bewegungen manifestiert. Der kritische Bürger soll mundtot gemacht und radikaler Widerstand mittels umfassender Überwachung, übergreifender Datenerfassung und Datenaustauschs sowie Anreizen zur Denunziation im Keim erstickt werden.
Die Initiative Bayerischer Strafverteidiger e.V. möchte durch die Veranstaltung umfassende Information über die Hintergründe und Folgen des Gesetzesvorhabens geben.
Nur der öffentliche Druck kann in einer solchen Situation aufzeigen, dass das „neue Rechtsbewusstsein“ (Zimmermann) mit Rechtsstaatlichkeit nichts mehr zu tun hat. Wir wollen verhindern, dass dieses „neue Rechtsbewusstsein“ Gesetz wird.
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ViSdP: Initiative Bayerischer Strafverteidiger e.V. durch RA Wolfgang Bendler, Schellingstraße 52, 8 München 40
Eigendruck im Selbstverlag
Flugblattsammlung, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung.