Materialien 1988
Wehrkraftzersetzung: Kriegsgegner vor Gericht!
Es ist traurig bestellt um unseren Rechtsstaat, mögen sich viele gedacht haben, die der Verhandlung der 5. Strafkammer beim Landgericht München beiwohnten. Angeklagt waren Alfons Lukas, Heiko Müller, Cengiz Yürü und Stephan Sinz wegen „fortgesetztem verfassungsfeindlichem Einwirken auf die Bundeswehr in Tateinheit mit fortgesetzter Aufforderung zu Straftaten gemäß §§ 89, 111, 25/11, 52 StGB“. Wer gegen § 89 „verfassungsfeindliches Einwirken auf die Bundeswehr“, bekannter unter dem ehemaligen Namen „Wehrkraftzersetzung“, was die Todesstrafe zur Folge haben konnte, angeklagt wird, kann mit bis zu 5 Jahren Freiheitsentzug bestraft werden.
Wie es zur Anklage kam:
Das 30-jährige Bundeswehrjubiläum und die über 400 öffentlichen Rekrutengelöbnisse nahm Alfons Lukas als Anlass das Flugblatt „Rekrutenabschied“ zu verfassen. Dieses Flugblatt, welches unter anderem einen Artikel des Rekruten Heiko Müller enthielt, wurde unter anderem im Juli vergangenen Jahres vor der Funkkaserne Domagkstraße vor allem an die Neueingezogenen verteilt.
Das Flugblatt „Rekrutenabschied“ soll dem neuen Rekruten den Wechsel der Fronten, von der Fabrik zur Armee verdeutlichen.
„Die Lage des Arbeiters wird elend und voller Bedrängnis … auf dass er bereit ist, das zu verteidigen, was die zurückgebliebenen Brüder in der Fabrik den Ausbeutern täglich schaffen: das fremde Eigentum“ und im „Soldatenbrief“ soll an Übungen wie die folgende erinnert werden: „Zu einer bestimmten Zeit ruft BASF-Boss Seefelden den Generalmajor von Kalckreuth … an und teilt ihm mit, dass die Arbeiter der BASF die Arbeit niedergelegt hätten und das Werk besetzt hielten. Von Polizei und BGS könne er keine wirksame Unterstützung erwarten, er bitte deshalb um die Entsendung einer Bundeswehreinheit“ (siehe Zeitschrift „Heer“, 1980). Wir sollen den Reichtum der Reichen mit der Waffe verteidigen … Gegen Euch (die Arbeiter).“
Die Lage des Gerichtes zeichnete sich sehr bald ab: Ihr habt zwar Recht indem ihr das sagt, aber es ist eben verboten! Krampfhaft versuchte man (Richter war übrigens Norbert Schmitt, Staatsanwalt Gerhard Mützel) das Urteil hinzubiegen. Nach dem 4. Prozesstag wurde vielen deutlich, dass es sich um ein Gesinnungsurteil handeln würde.
Alle Beweisanträge der Verteidigung wurden abgelehnt mit der Begründung sie seien zwar wahr, täten aber hier nichts zur Sache. Dubioserweise sollten Zeugen wie ein Herr König, Bulle aus der Ettstraße und schwer informiert über die linke Szene, über Sachen verhört werden, die mit dem Prozess nichts zu tun hatten. Schließlich mussten auch die vier Verteidiger (Haineke, Töpfer, Lock, Wächtler), die mit größtem Einsatz versuchten, das verlorene Verfahren zu retten, ihre Besorgniss zur Befangenheit des Gerichtes äußern, die natürlich als unbegründet zurückgewiesen wurde.
Das Urteil:
Nach langem Prüfen hatte sich ergeben, dass der Tatbestand erfüllt sei.
„Den Angeklagten soll nicht verboten werden, Kritik an den Zuständen in der Bundeswehr zu üben, aber ihr Motiv „Kampf für den Frieden“ stellt nur den Mantel für ihr eigentliches Ziel dar: den Umsturz, die Umkehrung der bestehenden Verhältnisse. Große Empörung aus dem Zuschauerraum folgte diesem dreisten Urteilsspruch.
So bekam Alfons „Fonsi“ Lukas 3 Jahre auf Bewährung und 1.500 DM Geldstrafe. Heiko Müller bekam, da er zu dem Zeitpunkt noch Heranwachsender war, eine Jugendstrafe zur Bewährung. Stephan Sinz wurden 90 Tagessätze aufgebrummt, da er nur einmal als Verteiler mitwirkte. Cengiz Yürüs Anklage wurde eingestellt.
Cengiz und Stephan machten sich übrigens strafbar, weil sie zu der Anklage eine Dokumentation schrieben und durften folglich neben den zwei anderen Angeklagten Platz nehmen.
Das Ende: Berufung. Fortsetzung folgt …
Spion. Zeitung trotz München 69 vom Sommer 1988, 13.