Materialien 1988
Aufruf zur Vorbereitung einer gemeinsamen Veranstaltung
Am Freitag, den 18. Dezember 1987 wurden vom BKA bundesweit 33 Wohnungen, das Essener Gen-Archiv, die Bochumer Redaktion der taz und andere „Objekte“ durchsucht. Im Rahmen dieser Razzia wurden in Köln die Journalistin Ingrid Strobl und in Hamburg die Setzerin Ulla Penselin verhaftet. 20 weitere Personen wurden kurzfristig festgenommen und erkennungsdienstlich be-
handelt, vier Personen sind noch immer zur Fahndung ausgeschrieben. Allen betroffenen Leuten wird die Unterstützung oder Mitgliedschaft bei der Roten Zora bzw. den Revolutionären Zellen und damit der Verstoß gegen den § 129a vorgeworfen.
Ingrid Strobl – am 20. Dezember bei der Rückkehr in ihre ebenfalls am 18.Dezember durchsuchte Wohnung verhaftet – ist als wichtige Theoretikerin der Frauenbewegung bekannt. Sie schreibt gegen sexistische Ausbeutung und Zurichtung von Frauen und über deren weltweiten Widerstand. In den vergangenen Jahren hat sie darüber u.a. in der Zeitschrift „Emma“ publiziert. Von der Bun-
desanwaltschaft wird ihr nun die Unterstützung, bzw. Mitgliedschaft bei der Roten Zora/Rote Zellen sowie die Beteiligung an dem Anschlag auf die Lufthansa in Köln vorgeworfen. Dieser An-
schlag richtete sich gegen die aktive Beteiligung der Fluggesellschaft an der zwangsweisen Ab-
schiebung von AsylbewerberInnen und am Prostitutionstourismus. Die Verhaftung wird mit der Behauptung begründet, sie habe einen Wecker gekauft, der dem beim Lufthansa-Anschlag be-
nutzten entspreche.
Ulla Penselin, der keine konkrete Tat, sondern die Teilnahme an zwei von der Bundesanwaltschaft als „konspirativ“ bezeichneten Treffen vorgeworfen wird, hat sich in den letzten Jahren öffentlich gegen die neuen, gewaltsamen gentechnologischen und humangenetischen Formen der Bevölke-
rungspolitik betätigt.
lngrid Strobl ist in München Neudeck inhaftiert, seit Anfang März werden ihr sog. „Hafterleich-
terungen“ gewährt. „… Alle wussten schon von dem Hafterleichterungsbeschluss – die Anwäl-
tInnen, die taz, auch die JVA – nur ich habe nichts davon erfahren. Ich habe jetzt also Hofgang
mit den anderen, kann an den unsäglichen Gemeinschaftsveranstaltungen wie Gottesdienst, Ge-
sprächsrunde mit dem Pfarrer und Basteln teilnehmen ( was ich nicht tue) … Falsch ist die Infor-
mation über die Besuche, sie erfolgen immer noch mit Trennscheibe, ich werde dafür auch immer noch gefesselt und im Konvoi nach Stadelheim gekarrt …“, schreibt sie Ende März.
Auch Ulla Penselin saß im Hamburger Untersuchungsgefängnis Holstenglacis bis zur Gewährung von „Hafterleichterungen“ unter den üblichen § 129a Bedingungen: Isolation, Trennscheibe, Einzelhofgang, begrenzte Bücherzahl, keine Gemeinschaftsveranstaltungen, keine Privatkleidung.
Diese Großaktion des BKA zielte hauptsächlich gegen Frauen und Frauengruppen, die sich gegen Reproduktions- und Gentechnologien und andere Formen der Frauenunterdrückung wenden, sowie gegen Arbeits- und Diskussionszusammenhänge zum Thema Flüchtlinge. Bundesweit und regional sollen diese Strukturen damit kriminalisiert und zerstört werden. Um sie – und den Widerstand allgemein – treffen zu können, haben Polizei und Justiz vor allem in den vergangenen eineinhalb Jahren ihre Zugriffsvoraussetzungen systematisch heruntergeschraubt, die Art und Weise, wie dies geschehen ist, lässt erkennen, dass es zunehmend darum geht, die Gruppen und Bereiche zu treffen, aus denen Widerstand wächst oder wachsen könnte. Nach der Gleichstellung von Strommasten-Kappen, In-Brand-Setzen von Baumaschinen u.a.m. mit Mord, Totschlag und Völkermord in der jüngsten Erweiterung des § 129a stellt der Angriff auf die Politik der Frauen-
bewegung, auf die Kritikerinnen der Bevölkerungs- und Flüchtlingspolitik einen weiteren qualita-
tiven Schritt dar. Wenn der Vorwurf der Teilnahme an Diskussionszusammenhängen – dokumen-
tiert durch den Besitz von Papieren – ausreicht, wenn das entschiedene öffentliche Eintreten gegen Sexismus, gegen staatliche Bevölkerungspolitik, gegen staatliche Flüchtlingspolitik Indiz genug ist, wenn allgemein übliche Formen des politischen Umgangs schon für einen Vereinigungsverdacht herhalten müssen, dann zeigt dies die Entwicklung des § 129a zu einem Instrumentarium, das un-
mittelbar gegen alle Formen der missliebigen politischen Auseinandersetzung und der entspre-
chenden sozialen Zusammenhänge gerichtet ist. Das Stigma „Terrorist“ und „Terroristin“ wirkt noch immer. Und jemandem dieses Stigma zu verpassen, ist „dank“ des § 129a leicht.
Diesen Einschüchterungsversuchen können wir nur gemeinsam entgegentreten. Diese Themen müssen gerade jetzt öffentlich diskutiert werden:
Um die Voraussetzungen für diese Diskussion – z.B. in Form einer Veranstaltung (zu den Durch-
suchungen und Verhaftungen und der damit beabsichtigten Kriminalisierung politischer Bewe-
gungen und ihrer Inhalte) – auch hier in München zu schaffen, müssen wir ein handlungsfähiges Bündnis herstellen.
Archiv Reader 1 vom April 1988, 38 ff.