Materialien 1988
„Diridari“ auf Politbühnen
Alte Affäre um „Baulandgeschenk“ in ein neues Licht gerückt
1988 – ein großes Jahr der politischen Satire. „Hiebe in die Saiten der Kohl-Ära“ hieß ein Pro-
gramm, ein anderes Kabarett tischte „Schwarzgeräuchertes“ auf, ein drittes schaltete auf „Blackout“. Auch der Bayerische Rundfunk ließ der Kleinkunst, die er immer wieder mal unter-
drücken musste, plötzlich freien Lauf: Franz Xaver Bogner drehte die Fernsehserie „Zur Freiheit“ mit Ruth Drexel, Toni Berger, Gerd Anthoff, Nikolaus Paryla, Hans Brenner und Ottfried Fischer. Letzterer spielte mit Richard Rogler in einem anderen Mehrteiler: „Mitternachtsspitzen“. Helmut Ruge, die „Wellküren“ und das „Crüppel Cabaret“ machten sich den Münchnern bekannt. Gabi Lodermeier und Maria Peschek begeisterten mit Solo-Programmen. Das „Rationaltheater“ pro-
vozierte mit „Tatort Vatikan“ – es ging um Kirche und organisierte Kriminalität. „Schuld sind immer die anderen“ hieß das Programm der mit neuer, jüngerer Besetzung angetretenen „Lach- und Schießgesellschaft“. Deren einstiger Cheftexter Klaus Peter Schreiner gab indes seine „Mei-
stersatiren“ solo zum Besten. Das allerbeste politische Kabarett aber wurde in den Kammerspie-
len geboten.
Jede Vorstellung war ausverkauft, das Stück war Stadtgespräch. „Diridari“ hieß es, Hanns-Christi-
an Müller hatte das „szenische Kabarett“ geschrieben. Gerhard Polt, Dieter Hildebrandt, Gisela Schneeberger, Otto Grünmandl und die „Biermösl Blosn“ brachten eine Affäre, die soeben wieder heiß geworden war, hintergründig und fast „wia im richtigen Leben“ auf die städtische Bühne. „Diridari“ hieß auf Altmünchnerisch nichts anderes als Geld. Bei dem alten Stück, dem im Juli 1988 im richtigen Leben der Landeshauptstadt ein neuer Akt hinzugefügt wurde, ging es um viel Geld.
Um zwanzig Millionen Mark soll die Stadt München geschädigt worden sein durch die frühere CSU-Mehrheit unter Oberbürgermeister Erich Kiesl1 . Das wurde ihm jedenfalls von seinem Amts-
nachfolger Georg Kronawitter und der SPD vorgeworfen. Neuerdings durfte sich der „rote Schorsch“, der am 20. Juli „zehn Jahre Oberbürgermeister“ feierte, sogar auf den CSU-Innenmi-
nister Gustl Lang berufen.
Der Grundstein des Anstoßes war am 15. Oktober 1981 gelegt worden. Damals hatte die Stadt rund 60.000 Quadratmeter Bauerwartungsland im aufblühenden Osten an die Bayerische Hausbau GmbH verkauft, deren Hauptgeschäftsführer Josef Schörghuber seinen Besitzstand bereits von der Hotelkette bis zum Brauereiverbund arrondiert hatte. Auf dem neuen Bauland, nur fünf Kilometer vom Marienplatz entfernt, wollte er wieder eine kleine Satellitenstadt namens „Zamila-Park“ er-
richten, ähnlich seinem luxuriösen, immer noch nicht ganz fertigen, aber gut genutzten „Arabella-Park“.
Als Verkaufspreis wurden 230 Mark pro Quadratmeter vereinbart und bezahlt. Zur Bebauung kam es nie. Vielmehr verkaufte die Hausbaugesellschaft zwei Jahre später Teile des Grundstücks zum Preis von 930 DM/qm weiter. Schon das ließ Zweifel an der Richtigkeit des seinerzeit ermittelten „Verkehrswertes“ aufkommen, trotz der in München extrem gestiegenen Grundstückspreise (von durchschnittlich 323 DM im Jahr 1976 auf 828 DM im Verkaufsjahr 1981).
Georg Kronawitter, den parteiinterne Querelen vier Jahre zuvor aus dem Rathaus vertrieben hat-
ten, machte das „Baulandgeschenk der CSU an einen finanzstarken Einzelnen“ 1984 zum Wahl-
kampfschlager – und gewann haushoch. Ein Jahr später äußerte auch das städtische Revisionsamt in einem Untersuchungsbericht den Verdacht eines „Unterwertverkaufs“, wurde aber von der Mehrheit des zuständigen Ausschusses im Rathaus nicht als sachlich und fachlich kompetent aner-
kannt.
Jahrelang schlugen sich die Kommunalpolitiker gegenseitig immer neue Gutachten, Argumente und Zahlenspiele um die Ohren. Bei Bedarf – der ergab sich öfter bei den wechselnden politischen Mehrheiten – wurde die abgestandene Affäre immer wieder neu aufgekocht. Und immer gröber wurden die Geschosse. Bald kannte Kiesl seinen Nachfolger nur noch als „berufsmäßigen und no-
torischen Ehrabschneider und Verleumder“, dessen Weg gekennzeichnet sei von menschlicher Niedertracht. Wenn man den großen Geschäftemachern auf die Finger klopfe, konterte der im Kampf gegen „Großkopferte“ erfahrene Kronawitter, dann herrschten halt Heulen und Zähneknir-
schen.
Groß war jetzt die Überraschung bei allen Parteien, als die Regierung von Oberbayern als kommu-
nale Aufsichtsbehörde ihr neuestes Prüfungsergebnis über das Innenministerium bekannt gab. Danach war der Kaufpreis von 230 DM tatsächlich „zu wenig“, aber auch der von den Gutachtern zu Grunde gelegte Preis von 500 DM „zu hoch“. In jedem Fall hätte der Kaufvertrag der rechtsauf-
sichtlichen Genehmigung bedurft, weil es sich um eine „Veräußerung unter Wert“ gehandelt habe.
Eilends ließ Kronawitter die Medien zusammentrommeln, um triumphierend zu verkünden: „Jetzt gibt es kein Schlupfloch, jetzt gibt es keine Ausreden mehr … Das ist und bleibt ein Skandal.“ Kiesl jedoch gab nicht klein bei. Er verkündete der Öffentlichkeit ebenfalls eine „bisher nicht bekannte Sensation“: Wegen der noch nicht abgeschlossenen Vermessung habe erst Kronawitter die Eigen-
tumsübertragung genehmigt und eigenhändig unterzeichnet.
Politisch pikant war vor allem, dass der inzwischen im Landtag sitzende Münchner CSU-Vorsitzen-
de Kiesl nun der Regierung von Oberbayern vorwarf, sie habe bei der ersten, negativ ausgegangen-
en Prüfung schlampig gearbeitet, folglich müsste der Regierungspräsident Raimund Eberle, ein Parteifreund, „eigentlich seinen Hut nehmen“. Ins Zwielicht geriet auch der CSU-Fraktionsvorsit-
zende Walter Zöller, der sich als Architekt einer sogenannten, die FDP und zwei abgesprungene Stadtrat-Sozis einbeziehenden „Gestaltungsmehrheit“ schon als nächsten OB-Kandidaten aufbau-
te. In seinem Notariat war der umstrittene Grundstückstransfer kostenpflichtig verbrieft worden.
Bemerkenswert fand der frühere Stadtkämmerer und gegen Kiesl unterlegene OB-Kandidat Max von Heckel, dass die Wertung offen zutage liegender Tatbestände durch die Regierung offenbar davon abhänge, „ob der jeweils Betroffene sich nun gerade in der Gnadensonne des Ministerpräsi-
denten fühlen darf oder in Ungnade gefallen ist“. Die CSU-Chefs von Bayern und von München, Strauß und Kiesl, hatten sich nämlich immer weiter voneinander entfernt, seit der obere dem unte-
ren nach verlorener Wahl seine Nähe zur „Kaviar- und Sektetage“ vorgeworfen hatte. Kürzlich hatte sich Kiesl auch noch mit seinem früheren Kreisverwaltungsreferenten Peter Gauweiler über-
worfen.
Was weiter geschah
„Bereinigt“ wurde der „Bauland-Skandal“ erst 1995 durch eine Stiftung Schörghubers in Höhe von drei Millionen Mark an die Stadt.
:::
1 1978 zum OB gewählt, 1984 abgewählt.
Karl Stankiewitz, Weißblaues Schwarzbuch. Skandale, Schandtaten und Affären, die Bayern erreg-
ten, München 2019, 240 ff.