Flusslandschaft 1988

Kunst/Kultur

Mit einem Fest eröffnet am 22. April das Fidio in der Landsbergerstraße 79, 2. Aufgang, 2. Stock. Der „Kulturladen“ plant Video, Theater, Konzerte und Ausstellungen.

Der Kleinkunstbühne UnterHolz im Künstlerhaus am Lenbachplatz geht es schlecht. Da hat Uwe Kleinschmidt die Idee zu einem Kleinkunstfestival, das er „Wonderwood“ nennen will. Mitstreiter Ivan Saiko findet den Namen zu brav; er plädiert für „Tollwood“. Vom 1. bis 11. Juli findet auf drei Bühnen im Freien und in einem großen Zelt jetzt zum ersten Mal täglich ab 14 Uhr im Olympia-
park Süd das Tollwood statt. Dabei ist die Ökomenta, ein regionaler Markt für ökologische Produk-
te und Dienstleistungen. Im Filmzelt ist zu sehen: Rudi Dutschke und die Folgen der Folgenlosig-
keit der Achtundsechziger, „Spaltprozesse“, eine Multimediaschau gegen den Rangierbahnhof im Münchner Norden und „Der Urwald am Rande der Stadt – Natur und ihre Zerstörung“. Abends treten auf: Tommy Weiß, Hans Söllner, Trottoir, Kabarettgruppe Fernrohr, Fraunhofer Saitenmu-
sik
, Peinliche Unterhaltung, Biermösl Blosn, Gerhard Polt, Meiers Kabarett, Mehlprimeln, Po-
chende Herzen
, Georg Ringsgwandl, Eisi Gulp, Die Wellküren und Maria Peschek, Juan y Lucho, Expedición, Grupo Veneno, Hanse Schoirer Band, Dietrich (Piano) Paul, Konrad Ritzinger, Andy Geer & Ellen Raab, Modern String Quartet, Claudia Schlenger und Hanns Meilhamer, Andreas Giebel, Konstantin Wecker und Guglhupfa. Am Freitag, 8. Juli, spricht Atomkraftgegner Prof. Dr. Armin Weiß, Ordinarius am Chemischen Institut der Münchner Uni, über „den Tanz ums goldene Kalb“. Er weist darauf hin, das Atomenergie eine veraltete Energieform ist. Sie schaffe „so viel Müll und so viel Abfall, der über Jahrhunderte und Jahrtausende hinweg aus dem Lebensraum der Menschen ferngehalten werden muss, dass hier auf Dauer keine Chance besteht gegenüber abfall-
freien Energieformen wie etwa der Sonnenenergie.“1

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Seit 1967 verleiht die Landeshauptstadt die Ludwig-Thoma-Medaille in Gold. Die Preisträger ent-
stammen allen politischen Lagern. 1978 ist es u.a. Prof. Dr. Nikolaus Lobkowicz „für sein mutiges und unabhängiges Auftreten als Präsident der Münchner Universität“, 1981 u.a. Gerhard Polt, „der Satiriker für seine satirischen und zeitkritischen Arbeiten im Geiste von Ludwig Thoma“, 1982 u.a. Bernhard Ücker, „der Autor und Kommentator für seine mutige schriftstellerische und publizisti-
sche Leistung“. 1988 nimmt Edgar Liegl für den Verein Das andere Bayern die Medaille entgegen. In seiner Dankesrede erinnert er an die antisemitischen Pamphlete des Schriftstellers im Miesba-
cher Anzeiger
. Zugleich beißt er in die Medaille. Daraufhin wird die Verleihung 1990 eingestellt.

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Das Münchner Stadtmuseum beschreibt in einer großen Ausstellung die Ära zwischen 1886 und 1912, die sogenannte Prinzregentenzeit, vom 15. Dezember bis zum 16. April 1989. Der Nürnberger Grafiker und Maler Michael Mathias Prechtl steuert dazu ein Plakat bei, das den Prinzregenten zeigt und den Vorsitzenden des Münchner König-Ludwig-Clubs, den königstreuen Hannes Heindl fuchsteufelswild werden lässt: „Das ist eine Persönlichkeitsverletzung, infam und geschmacklos!“

BILDENDE KÜNSTE

Es kommt zu höchst erregten Diskussionen. Bildhauer Rudolf Wachter stellt an der Ecke Edelweiß-
straße/Tegernseer Landstraße seinen „Torre Pendente“, auch „schrägen Mahagoni“ genannt, mit einer Wasserrinne im Pflaster auf. „Das ist doch keine Kunst, dieser Baumstamm aus Liberia,“ ist zu hören. Der Volkszorn ist groß.

Am Ufer des Starnberger Sees steht umgeben von einem großen Park ein Jugendstilbau, die Maf-
fei-Villa. Das Anwesen gehört dem Freistaat. Und der will dem Sammler Lothar-Günther Buch-
heim das Feldafinger Anwesen für sein „Museum der Phantasie“ zur Verfügung stellen. „Da wurde es stürmisch am Starnberger See. An Stammtischen und in Gemeinderatssitzungen brauste man auf, wetterte gegen die Kunst im allgemeinen und gegen den Museumsplan im besonderen; vor der Maffei-Villa formierten sich Mahnwachen. ‚Kei n Zuritt für verrückte Sammler!‘ Kurzum: Buch-
heim wurde den Feldafingern ein leibhaftiger Buhmann. Aber auch der ließ sich nicht lumpen. Er höhnte und wütete, sah sich ,von Nazis umzingelt‘ und von ‚Sesselfurzern‘ drangsaliert, und wenn eine Fernsehkamera auf ihn gerichtet war, belegte er seine Gegner gerne mit dem Bann einer alt-
chinesischen Weisheit: ‚Mit Brunnenfröschen kann man nicht über den Ozean reden.‘ Als schließ-
lich 1988 im Gemeinderat über das Maffei-Projekt abgestimmt wurde, hatten die ,Brunnenfrösche‘ die absolute Mehrheit.“4 Erst 1994 einigen sich Buchheim, Gemeinderat und Freistaat: Das Muse-
um kann gebaut werden.

Im Ausstellungs-Pavillon im Alten Botanischen Garten zeigt Das andere Bayern e.V. Plakate, Ge-
mälde und Grafiken unter dem Motto „Heimat – beinhart“.5

FOTOGRAFIE

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Bei der Eröffnung der Fotografien von Cornelia Blomeyer sind viele Kleinkunstgrößen anwesend. Bei der Eröffnungsrede heißt es, arrivierte und etablierte Kunst werde alimentiert, Kleinkunst sei ein negativer Euphemismus. Sie sei große Kunst, da sie ohne Subventionen beständig um ihr Pub-
likum ringen müsse, sie sei größer als die Kunst, die im Mainstream schwimme und das immer schon Bekannte reproduziere.

THEATER, KABARETT und KLEINKUNST

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Vom 28. März bis 3. April finden in der proT-Halle in der Schleißheimer Straße 418 sieben Exor-
zismen statt: „Theater in München zwischen Abbruch, Volkszählung, Korruption, Pornographie, Feminismus, Blasphemie, Umweltschutz, Bürgerbeteiligung, Nachhaltigkeit, Modewoche, Sozial-
arbeit und Immunschwäche.“8

Gerhard Polt, Dieter Hildebrandt, Gisela Schneeberger, Otto Grünmandl und die Biermösl Blosn zeigen in den Kammerspielen „Diridari“, ein Stück über die engen Beziehungen zwischen der Poli-
tik und dem schnellen Geld in München.9


„Wolgalied – Weihnachtslied“ ist der siebte Teil vom Konzert am VierVideoTurm „Weihnachtskon-
zert auf der Tiegerfarm 88“. Jedes Konzert am VierVideoTurm dauert sieben mal sieben Minuten und wird synchronisiert durch sieben gemalte Filme. Mit Robyn Schulkowsky (Schlagzeug/Diri-
gentin), Cornelie Müller (Violine), Franziska Leube (Cello) und Alexeij Sagerer (Gesang). Kamera: Werner Prökel.10

(zuletzt geändert am 13.1.2024)


1 Tollwood. Die Zeitung zum Festival, München 1988, unpag. (15).

2 IKuFo-Fotoarchiv

3 Privatsammlung

4 art. Das Kunstmagazin 12 vom Dezember 1995, Hamburg, 66.

5 Vgl. tendenzen. Zeitschrift für engagierte Kunst 164 vom Oktober 1988, 60 f.

6 Material Cornelia Blomeyer

7 Süddeutsche Zeitung 24 vom 30./31. Januar 1988, 45.

8 Siehe https://www.prot.de/jetzt.php#7exorzismen.

9 Siehe „‚Diridari’ auf Politbühnen“ von Karl Stankiewitz.

10 Siehe https://www.youtube.com/watch?v=KTjY_3t80bk&feature=youtu.be.