Materialien 1988

Nicht mehr wie die Väter

Männer

Das Münchner Informationszentrum für Männer versucht alte Rollenbilder aufzubrechen
und neue Identitäten zu vermitteln.

„Ich habe auf meine Frau eingehauen. Es war wie in einem Rausch. Ich fühlte mich so hilflos, weil sie sich in einen Freund von mir verliebt hatte. Als ich aufwachte, bin ich über mich selbst erschrocken.“

Peter erzählt mit ruhiger Stimme, ohne Angst und Scheu. Er hat die Furcht vor sich selbst überwunden, gelernt mit seinen Aggressionen umzugehen.

Neun Monate hat Peter an einer Selbsthilfegruppe des Münchner Informationszentrums für Männer teilgenommen. Jeden Montag hat er sich mit fünf anderen Männern getroffen; sie haben geredet, Rollenspiele gemacht, einander befragt – sich und die Gewalt erforscht.

Sie wissen nicht, was sie tun: In Einzel- und Gruppengesprächen sollen Männer lernen, über ihre Gefühle zu sprechen, in sich hineinzuhören und zu verstehen.

Sigurd Hainbach, Sozialpädagoge und einziger Hauptamtlicher des Selbsthilfevereins, will diese Gespräche weder leiten noch die Männer zu Lösungen dirigieren. „Manchmal stelle ich nur hilfreiche Fragen, wiederhole in anderen Worten, was einer sagt. Manchen ist einfach nicht bewusst, was sie mit ihren Worten ausdrücken, was sie fühlen.“

Sie wissen nicht, was sie fühlen. Für Sigurd Hainbach selbst war Gewalt von Männern nie ein Thema; er arbeitete in einem Heim für verhaltensgestörte Kinder. Als seine Frau eine Stelle in München annahm, wurde er vom Arbeitsamt an das Informationszentrum vermittelt. Er hat nachgedacht über sich, mit seiner Frau geredet. „Ich habe wohl manchmal das Gefühl von Bedrohung vermittelt – eine ganz unbewusste Art von Gewalt.“ Seit Oktober arbeitet er hier als ABM-Kraft. Er habe viel gelernt.

Gewalt gegen Frauen ist nicht das einzige Problem, mit dem Männer zum Informationszentrum kommen. „Meistens sind es Männer, die nicht fertig werden mit dem neuen Frauenbild. Sie geben sich Mühe, auf emanzipierte Frauen einzugehen, und bleiben dabei selbst auf der Strecke“, erzählt Sigurd Hainbach.

Wer bin ich? Wo bleibe ich in Ehe und Partnerschaft? Wie kann ich Mann sein, ohne Frauen zu unterdrücken? Das Informationszentrum für Männer will helfen, ein neues Selbstverständnis zu entwickeln, ohne männliche Eigenschaften zu verleugnen.

Stammtisch, Fußballstadion, Kegelverein: Das reicht diesen Männern nicht mehr. Sie suchen eine andere Art von Männerfreundschaft, eine andere Art von Mann.

„Frauen nehmen immer mehr ehemals typisch männliche Eigenschaften an: Strategie, Kompetenz, Härte, Klarheit. Damit müssen wir uns auseinandersetzen. Wir können nicht mehr so sein, wie unsere Väter waren.“ Waldemar Kiessling gründete deshalb 1985 die erste Gruppe Männer gegen Männergewalt in Hamburg mit und am 1. Mai 1988 das Münchner Informationszentrum für Männer. Die Stadt gewährte bereitwillig ihre Unterstützung. Aus dem Selbsthilfefonds werden Sachmittel und die Hälfte der ABM-Stellen bezahlt. Die Bundesanstalt für Arbeit finanziert den Rest. 90.000 Mark stehen dem Verein im Jahr zur Verfügung.

Das kleine Haus in einem Hinterhof der Daiserstraße gab es von Anfang an. Hier finden die Gruppengespräche statt, hier hat Sigurd Hainbach sein Büro: weiße Lederstühle, aufgeräumter Schreibtisch, Personalcomputer. Zeitschriften liegen aus; Spiegel, Stern, Sex im Kino – Diskussionsmaterial. Ein Poster zeigt den neuen Mann: Bloßer Oberkörper, muskulöse Arme, behaarte Brust. Im Arm hält er einen Säugling.

Schwächen zeigen, weinen können, zärtlich sein: Die Angst ist groß, zum Schwächling abgestempelt zu werden. „Zärtlichkeit zu zeigen, jemanden mal in den Arm zu nehmen, ist nicht leicht. Ich bin manchmal für homosexuell gehalten worden und habe das als verletzend erlebt.“ In seinem Elternhaus habe der Vater dominiert. Es hat lange gedauert, bis Waldemar Kiessling sich von den überkommenden Rollenbildern lösen konnte.

Verheiratet ist er nicht, doch lehnt er die Ehe nicht grundsätzlich ab. „Wenn die Frau nur zu Hause sitzen will, würde ich mich aber sofort trennen. Beide sollen sich in allen Bereichen engagieren: Kinder und Beruf und Haushalt.“

Ein neues Selbstverständnis als Mann bedeutet für ihn, traditionell weibliche Eigenschaften zu erlernen und mit Frauen zusammenzuarbeiten. Die meisten Männer hätten immer Angst gehabt, zu dem Männer-Berater im Frauenhaus zu gehen, erzählt Waldemar Kiessling. Spießrutenlauf. „Außerdem haben wir an diesem Schutzort auch nichts zu suchen.“ Die Beraterstelle wurde aufgelöst; die Münchner Frauenhilfe wollte stattdessen die Räume in der Daiserstraße nutzen. Aus der Anfrage wurde eine Zusammenarbeit.

Im Informationszentrum hat jetzt zum ersten Mal ein Paargespräch stattgefunden. „Es war viel einfacher für den Mann, hierher zu kommen. Er hat sich nicht gleich so angeklagt gefühlt.“ Eine Mitarbeiterin des Frauenhauses und Sigurd Hainbach haben mit dem Ehepaar geredet. Die Probleme sind nicht gelöst, aber das Schweigen sei gebrochen.

Mit der Münchner Frauenhilfe funktioniert die Zusammenarbeit gut. Den Radikalfeminismus hingegen lehnen die Männer ab. Peter ist manchmal unwohl bei der Frauenbewegung. „Ich habe in einem Frauenviertel gewohnt und das am eigenen Leib erfahren. Gleichberechtigung erreichen die Frauen nicht, wenn sie sich wie Männer aufführen. Wir müssen gemeinsam etwas ändern.“ Er mag den Begriff von einer „Emanzipation des Menschen“.

Peter wirkt, als wisse er, was er tut und sagt. Er ist inzwischen geschieden; mit dem Freund seiner ehemaligen Frau möchte er gerne einmal sprechen. Telefoniert haben sie schon.

Kai Deissner

Kontaktadresse: Münchner Informationszentrum für Männer e.V., Daiserstraße 22, 8 München 70 Telefon: 089 / 77 44 65


Stadtmagazin München 3 vom 8. Februar 1990, 16 f.

Überraschung

Jahr: 1988
Bereich: Männer

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