Materialien 1989
3.6. Demo: Nachlese und Einschätzung
Als Gruppe, die den Hauptanteil an den Vorbereitungen trug, wollen wir hier eine Einschätzung der Dinge aus unserer Sicht geben. Angesichts der Streitigkeiten im Vorfeld … werden wir relativ ausführlich auf die Vorbereitungen der Demo eingehen, da wir es für wichtig halten, zumindest einen Teil der Auseinandersetzungen im Vorfeld in die Öffentlichkeit zu tragen, soweit dies im Rahmen eines solchen Artikels möglich ist.
Linke Initiative gegen das Atomprogramm, München
Im Dezember ’88 beschloss das bayerische Anti-Atom-Plenum, den Vorschlag von der Herbstkonferenz in Nürnberg aufzugreifen und im Frühsommer eine Demonstration gegen WAA, Atomprogramm und Repression zu starten. Für Januar wurde zu einem Bündnistreffen in Nürnberg geladen (siehe ATOM 25, S. 10 – 11). Über 90 Teilnehmerinnen aus ca. 45 Gruppen, Initiativen und Parteien überwiegend aus dem bayerischen Raum beschlossen, die Demo am 3. Juni in München zu machen. Zum damaligen Zeitpunkt erwarteten wir die Erteilung der zweiten Teilerrichtungsgenehmigung für die WAA in etwa in diesem Zeitraum, so dass die TEG als Aufhänger und Schwerpunkt neben Atomprogramm und Repression stehen sollte. Eine Flugblattgruppe wurde gebildet, in der von den Müttern gegen Atomkraft über Anti-AKW-/Friedensbewegung bis hin zu autonomen Gruppen alles vertreten war. Hauptauseinandersetzungspunkt in der Aufrufdiskussion war die Ausformulierung des Anti-Repressionsteiles, der bei den eher bürgerlichen und den Friedensgruppen auf Kritik stieß. Im Folgenden werden zwei Demomärsche zum Odeonsplatz beschlossen, eine Rednerinnenliste andiskutiert. Das Anti-Atom-Büro München bzw. die LIGA übernehmen die Vorbereitungen. Drei Leute (2 aus der LIGA, eine von den Münchner Friedensgruppen) wurden benannt, die Vorbereitungen zu koordinieren.
Beim Zweiten Trägerkreistreffen werden die Bündnisgrundlagen aufgrund widriger Erfahrungen bei den Herbstaktionen ’88 bezüglich Polizeiabsprachen (Institut für Psychologie und Friedensforschung) und nicht autorisierter Pressekonferenzen trotz Gegenrede (W. Daniels) erweitert: Zum Einen: Keine Gespräche mit Polizei und Behörden über das organisatorisch Notwendige hinaus (Demoroute, Verkehr). Zum Anderen: Die Pressearbeit wird nur von der Pressegruppe des Trägerkreises, bzw. in Absprache mit dieser gemacht. Der Flugblattentwurf wird aktualisiert und erweitert, der Repressionsteil leicht verändert. Eine Passage zum Hungerstreik wird von den Autonomen eingebracht, ist aber nicht durchsetzbar, worauf sie zunächst den Ausstieg verkünden, später aber bleiben, nachdem der Trägerkreis zugesagt hatte, ein Infoblatt dem Rundbrief beizulegen. Eine Reihe von Rednerinnen wird angefragt (hier nur die strittigen!): Der parteilose, für die Grünen im bayerischen Landtag sitzende Prof. Armin Weiss als Vertreter der Oberpfälzer BIs; von Seiten der bayerischen Anti-AKW/WAA-lnitiativen, der LIGA und einiger Autonome brachten wir die Gruppe LUPUS für Repression gegen Anti-AKW- und Startbahnbewegung , und als Ausdruck für bewegungsübergreifende Solidarität mit Militanten aus anderen Bewegungen Ulla Penselin, weil Ingrid Strobl bekanntlich noch im Knast sitzt. Bis zu diesem Zeitpunkt war keine Beteiligung der eher konservativen Oberpfälzer BIs zu spüren.
Nach der Ankündigung von VEBA-Chef Benningsen-Foerder im April, in Frankreich wiederaufarbeiten zu lassen, die das Ende der WAA in Wackersdorf bedeutete, erwachte jedoch auch angesichts des sich abzeichnenden Erfolges deren Interesse an der näherrückenden Demo. Mit Unterstützung einiger Realo-Grüner und weiterer Gruppen formierten sie sich vor allem gegen das Hungerstreik-Infoblatt und die angedeutete RednerInnenliste. Eine Reihe von Gerüchten wurde mehr oder minder bewusst in der Absicht lanciert, die linksradikalen Anteile und Inhalte aus der Demo zu kippen oder alternativ wesentliche Teile des Bündnisses (BN, Frieden) von einer Teilnahme abzubringen. Die internen Vorbereitungstreffen wurden nun zum Schauplatz der Kämpfe zwischen „Rechten“ und traditionellen, linksradikalen Anti-AKW-Initiativen, wobei sich die Radi-Aktiv-Redaktion, der KB und die nordbayerischen Friedensinitiativen aus unterschiedlichen politischen Motiven mal der einen und mal der anderen Seite zuschlugen.
Gerücht Nr. 1: Die 3.6. Demo solle eine Hungerstreik-Demo werden. Es wurde zwar sofort ausgeräumt, beeinflusste aber viele bis in den Bund Naturschutz hinein und hatte sicherlich demobilisierende Wirkung. Die Hauptakteurinnen waren Irene Sturm (Anti WAA-Büro und BI-SAD-Vorstand), Gisela Pöhler (BI-SAD-Vorstand und Landesvorstand Die Grünen) und Frau Wacht (AK Theologie und Kernenergie Regensburg, eine der Hauptbefürworterinnen der Polizeigespräche).
Gerücht Nr. 2: Bei dem Konzept mit acht Rednerinnen bliebe für die WAA nur fünf Minuten, obwohl dies doch eine Anti-WAA-Demo sei. Dies muss auch vom Anti-WAA-Büro gestreut worden sein. Alle, die den Demo-Rundbrief lasen, waren zweifellos besser informiert. Es bewirkte aber Verunsicherung und Empörung innerhalb der Oberpfalz.
Gerücht Nr. 3: Ingrid Strobl sei RAF-Terroristin (!) und deswegen sei im Dachverband beschlossen, dass sie nicht reden könne.
Gleich hinterher Gerücht Nr.4: Der BN-Vorstand habe beschlossen, auszusteigen, falls Ingrid eine Beitrag halte (I. Sturm). Eine BN-Vorstandssitzung hatte zu diesem Zeitpunkt nicht stattgefunden; später erklärte BN-Vertreter Hans Müller auf dem letzten großen Trägerkreistreffen in Nürnberg, dass der BN mit dem endgültigen Konzept Strobl/Lupus (der eigenwilligerweise von Seiten der Rechten nie angegriffen wurde) und dem Beitrag zu Haftbedingungen leben könne. Erst damit waren die Auseinandersetzungen beendet.
Neben dem Eingreifen des BN hatte das noch zwei weitere Gründe: Auf Wunsch der gesamten Oberpfälzer BIs hatten wir den grünen MdL Armin Weiss gegen die Bündnisgrundlagen – keine Parteirednerinnen – akzeptiert, und damit einige Wogen geglättet. Zum Zweiten erklärten wir, dass sich auch unsere Redebeiträge garantiert an die vorgegebenen Thematiken halten würden (das war auch bei früheren Demos nicht anders). Vom KB wurde dies als Zensur gewertet und dazu benutzt, gegen alle Bündnisgrundlagen verstoßend, Ingrid einen Brief zu schreiben, indem der Zensurvorwurf trotz Kenntnis der Absprachen im Bündnis untermauert wurde.
Mehr als der Beitrag zu Haftbedingungen auf einer der Auftaktkundgebungen war nicht durchsetzbar, da die linken Kräfte einfach nicht stark genug waren, und deswegen einen totalen Bruch zu riskieren, wäre einfach nur hirnrissig gewesen. Unser Zugeständnis bzgl. Armin Weiss war darauf ausgerichtet, Ingrids Beitrag und den zu Haftbedingungen zu halten, was ja auch gelang. Die Gruppe Lupus wurde von uns dagegen nominiert, da Veranstaltungen in Bayern mit Lupus bisher grundsätzlich verboten worden waren, und uns das Thema Versammlungsfreiheit seit längerer Zeit besonders wichtig ist.
Was wir als LIGA erreichen wollten und auch frühzeitig angekündigt hatten, nämlich (links)radikale Inhalte mit Rednerinnen, Aufruflugblatt, Demozeitung und Demodurchsagen und schließlich der Einbindung der antifaschistischen Aktion gegen die DVU durchzusetzen, also bewegungsinterne und auch bewegungsübergreifende Solidarität mit militantem Widerstand zu demonstrieren, haben wir erreicht. Also Thematiken in weitere Kreise hineinzutragen (Mütter, BN, Friedensbewegung), wenn möglich zur Auseinandersetzung Inhalte zu vermitteln, und nach Bekanntgabe des Endes der WAA aufzuzeigen, dass alle Widerstandsformen (kurz zusammengefasst: legal – illegal – scheißegal) gleichberechtigt nebeneinander stehen, und nur so Großprojekte verhindert werden können. Dahinter wären wir nicht zurückgegangen.
Gegen diese inhaltliche Ausrichtung wurde dann auch kaum interveniert, allenfalls wurde versucht, die Klarheit der Solidarisierung zu entschärfen. Die Hungerstreik-Thematik ohne längere Vorarbeit in diesem Bündnis darüberhinaus durchzusetzen war aufgrund unserer Kräfteverhältnisse und des widersprüchlichen Verhaltens der Autonomen nicht durchsetzbar.
Das Eingreifen der Rechten (wohl tw. in Absprache mit der Polizei) an genau diesem Punkt war logisch. Sie wollten die Demo durch Hochspielen von prekären Themen schwächen, wenn sie schon nicht zu verhindern war und so relevante Gruppen zum Ausstieg bewegen. Dabei tat sich das nordbayerische Friedensspektrum unrühmlich hervor, indem sie offen, aber vergeblich mit den Rechten paktierten, um die sog. „Breite“ (SPD, rechte BIs) zu gewährleisten. Genau zu diesem Zeitpunkt wurde die WAA zu Grabe getragen, und es ging ab dem Zeitpunkt um die Verteilung der Anteile am Erfolg. Alle mussten dranbleiben. In diesem Augenblick fanden wir es richtig, den Vorschlag zu akzeptieren, dass Armin Weiss reden solle, um keinerlei Interventionsmöglichkeiten mehr zu bieten. Wir denken, dass dies richtig war, um unsere Inhalte in der Demo in angemessener Form und Umfang rüberzubringen. Alles weitere Gezänk und die Auseinandersetzungen im Vorfeld ersparen wir uns, schon in Anbetracht dessen, dass ein Teil dem Regen zum Opfer fiel.
Zur Demovorbereitung seitens des Anti-Atom Büros: Ohne Jammern ist festzustellen, dass das Büro/LIGA bei der Vorbereitung bis auf wenige Ausnahmen (Grüne Stadtratsfraktion, Teile der Südbayerische Fln, Augsburg, Regensburg, Teile der BI SAD) ziemlich auf sich alleine gestellt war. Dies ist sicherlich kein Ausdruck der Stärke der Bewegung. Zu bewältigen waren drei Kundgebungen, zwei Demozüge, eine Radldemo, eine 12-seitige Demozeitung, ein Fest am Abend und eine Veranstaltung mit Meir Vanunu am Freitag Abend. Soviel sei nur gesagt, dass wir nicht nur durch die Erstellung der Demozeitung an den Rand unserer personellen Möglichkeiten und psychischen Belastbarkeiten gelangten. Der enorme Spaltungsdruck von außen zeigte auch Wirkung nach innen, mit dem wir z.T. nicht umgehen konnten – im Gegensatz zu ähnlichen Verläufen bei Aktionen der vergangenen Jahre.
Verhandlungen mit KVR und Polizei: Die Bündnisgrundlagen der letzten Jahre waren um einen Passus erweitert worden, dass die Gruppen aus dem Bündnis fliegen, die eigenmächtig mit der Polizei Gespräche führen. Die Vorverhandlungen mit der Polizei und dem Kreisverwaltungsreferat (KVR, Ordnungsbehörde) wurden dann ausschließlich von der autorisierten AnmelderInnengruppe geführt. Nachdem die Organisatoren der Hungerstreikdemo in Bonn am 29. April ihre unseres Erachtens politisch schädliche Gewaltverzichts- und Zusammenarbeitserklärung abgeliefert hatten, bemühten sich KVR und der Münchner Polizeipsychologe Trumm um ähnliches. Sie versuchten, schon im Vorfeld Distanzierungen von autonomen und militanten Gruppen zu bekommen und eine Zusammenarbeit zu vereinbaren. Die AnmelderInnengruppe lehnte dies ab und zog sich auf ihre Pflichten aus dem Versammlungsgesetz zurück. Letzteres reichte offensichtlich aus, KVR und Polizei so positiv zu beeindrucken, dass die angekündigten Verbote der Radldemo und der Route an der Staatskanzlei vorbei nicht ausgesprochen wurden. Der Auflagenbescheid war trotzdem knallig, gegen die Verbote des seitlichen Tragens von Transparenten, des Mitführens von Kinderwägen und der Teilnahme von RollstuhlfahrerInnen ohne Begleitpersonen haben wir vor dem Verwaltungsgericht gewonnen. Außerdem gewannen wir gegen die Standardauflage, dass sich maskierte SchauspielerInnen bei der Polizei auszuweisen hätten. Dem gegenüber stand die Ankündigung (mündlich), unnachsichtig gegen „schwarze Blöcke“ und gegen Vermummte vorzugehen.
Zum Demo- und Kundgebungsverlauf: Unseren Schätzungen nach waren ca. 15.000 Menschen zu Beginn der Abschlusskundgebung auf dem Odeonsplatz. Der Zug vom Rotkreuzplatz mit ca. 8 – 9.000 Menschen war bunt durchmischt und verlief ohne nennenswerte Störungen durch die Polizei. Es waren zu mehreren Gebäuden entlang der Route (Bayernwerke, Isar-Amper-Werke, CSU-Zentrale, Strafjustizzentrum, Innenministerium etc.) kurze Redebeiträge vorbereitet, die gut ankamen, soweit sie verstanden wurden. Mehrere Sambagruppen sorgten zusätzlich für Stimmung. Der Zug von Osten (Postwiese) mit ca. 4.000 Leuten, ebenfalls untermalt von kurzen Beiträgen zu Widerstandsdaten wie der 12. Oktober-Demo, den Haidhauser Polizeikrawallen, zur Staatskanzlei und dem „Kulturzentrum Gasteig“ kam zugleich mit dem anderen Zug an.
Kurz zuvor kam noch die Spontandemo mit mehr als 1.500 Leuten zum Platz, die sich im Anschluss an die Kundgebung des DVU-Faschisten Frey am Sendlinger Tor formiert hatte. Frey war kaum zu Wort gekommen, sogar die Polizei sprach von bis zu neunfacher Übermacht an GegendemonstrantInnen. Auch die 21 vorläufigen Festnahmen konnten das positive Bild der antifaschistischen Kundgebung kaum trüben.
Zur Abschlusskundgebung: Im Trägerkreis war jedem/r RednerIn eine Redezeit von 10 Minuten zugestanden worden. Der grüne MdL A. Weiss „begnügte“ sich gleich mit 25 Minuten, auch Rebecca Harms (BI Lüchow-Dannenberg) und Oskar Neumann (VVN) stachen mit überlangen Reden heraus. Im strömenden Regen harrten nach etwa einer Stunde Kundgebung noch ca. 2.000 Leute aus, von denen nur ein kleiner Teil den nächsten Wolkenbruch überstand. Vor einer Kulisse von ca. 500 Hartgesottenen wurde in Absprache mit allen beschlossen, nach der Rede der Gruppe Lupus zur Repression abzubrechen. Das abendliche Fest mit ca. 600 Leuten war dann doch noch ein gelungener Ausklang des Tages. Die Redebeiträge von Ingrid Strobl, der Anti-Beugehaft-Gruppe Bochum und von Meir Vanunu (Siehe Kasten), die dem Regen zum Opfer gefallen waren, wurden verlesen.
Und der Ausblick? Mit dem Engagement von BMW in Wackersdorf (Teilefertigung für die Montagewerke u.a. in Regensburg, angekündigt sind 1.600 Arbeitsplätze) wird die Aussage der bayerischen Staatsregierung allmählich glaubwürdiger, dass nach Wackersdorf keine Nuklearanlagen kommen sollen. Es erscheint jedenfalls schwer vorstellbar, dass BMW Interesse an einer möglicherweise umkämpften Anlage auf demselben Gelände haben könnte und so einige der Vorteile des voll erschlossenen Geländes wieder verlustig gehen. Eines steht jedenfalls fest: Bis Ende 1990 und nach den dreifachen Wahlen im nächsten Jahr in Bayern dürfte keine Entscheidung fallen, die Nuklearanlagen auf diesem Standort bringt. Mit der WAA ist eines der wesentlichsten Prestigeobjekte sowohl der Betreiber als auch der AtomgegenerInnen gefallen, ein Punkt, den wir schon als Erfolg buchen dürfen. In Bayern wird jedoch von der Anti-AKW-Bewegung erstmal eine längere Flaute eintreten, da die bestehenden AKWs wie auch die übrigen Infrastruktureinrichtungen der Atommafia nicht diesen Stellenwert besitzen. Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass sich der Aktionsschwerpunkt der Bewegung auf die geplanten Endlagerstandorte Gorleben und Schacht Konrad verlegen wird.
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Zur geplanten Rede von Meir Vanunu
September 1986 legte Mordechai Vanunu der britischen Zeitung Sunday Times Photos und Berichte über das israelische Atomwaffenprogramm vor (vergl. ATOM 21). Mordechai hatte über fünf Jahre lang als Techniker im israelischen Atomzentrum Dimona gearbeitet. Experten kamen zu dem Schluss, dass Israel nukleare Sprengköpfe in größerer Zahl von hohem technischen Niveau besitze, und auch in der Lage wäre, thermonukleare und Neutronensprengköpfe zu bauen. Ferner verfüge Israel über Trägerraketen von interkontinentaler Reichweite. Während des Jom-Kippur-Krieges 1973, als Israel kurz vor einer militärischen Niederlage stand, waren die Sprengköpfe für den Einsatz schon vorbereitet gewesen; abgewendet wurde der Einsatz durch die Tatsache, dass die USA und die Sowjetunion ihre eigenen Arsenale in Alarmbereitschaft versetzten, und dadurch, dass sich die Lage zugunsten Israels zu wenden begann.
Am 28. September 1986 veröffentlichte die Sunday Times Teile als „Scherz“. Am 30. September verschwand Mordechai Vanunu aus einem Hotel in Rom. Am 5. Oktober veröffentlichte die Sunday Times daraufhin das gesamte Material, aber erst sechs Wochen später gab die israelische Regierung zu, dass Vanunu in einem Geheimgefängnis in Israel säße. Unter striktester Geheimhaltung wurde der Prozess gemacht; Vanunu durfte vor Gericht gegenüber seinem Rechtsanwalt (nach einem Jahr Haft erst wurde ein unabhängiger RA zugelassen) und auch gegenüber seiner Familie weder zu seiner Arbeit im Atomzentrum noch über die Umstände seiner Entführung aus Rom überhaupt Aussagen machen. Die Familie wurde unter Androhung von 15 Jahren Haft verpflichtet über alles striktestes Stillschweigen zu bewahren. Auch die Richter durften nichts über die Arbeit und über die Entführung erfahren. Mordechai wurde zu einer Strafe von 18 Jahren Haft verurteilt wegen Verrats militärischer Geheimnisse, wegen Hochverrats und wegen Gefährdung der Sicherheit des Staates Israel (darauf könnte sogar die Todesstrafe verhängt werden). Zur Zeit läuft die Revision vor dem Appellationsgericht unter ähnlichen Bedingungen; das Urteil wird im Herbst erwartet.
Sein Bruder Meir Vanunu ist seit der Entführung damit beschäftigt, Rechtshilfe, Pressekampagnen und Solidarität im Ausland zu organisieren. Er lebt im Exil in London, da er die Verpflichtung brach und die Einzelheiten der Entführung der Presse mitteilte. Zur 3. Juni-Demo luden wir ihn ein, da wir das Thema internationaler Verflechtungen mit aufnehmen wollten, Israel und Südafrika in Atomfragen eng zusammenarbeiten, und wir unsere Solidarität mit Mordechai Vanunu ausdrücken wollten. Der Auftritt auf der Demo wäre der erste öffentliche Auftritt Meirs in der Bundesrepublik gewesen, leider fiel er dem Regen zum Opfer. Wir werden aber das Thema wieder aufgreifen.
LIGA München
Atom. Atom Express & Atommüllzeitung 27 vom September/Oktober 1989, 42 ff.