Materialien 2012
Protest gegen Bundeswehr-Beförderungsappell im Hofgarten
Ein Bericht von Wolfgang Blaschka
Etwa 300 Antimilitaristen, Kriegsgegner und Friedensfreunde hatten sich auf dem Odeonsplatz zu einer Mahnwache und anschließender Protestkundgebung versammelt, zu der über 150 Persön-
lichkeiten aus Kunst, Kultur, Politik, aus gewerkschaftlichen sowie aus kirchlichen Kreisen aufge-
rufen hatten. Das breite Bündnis unter dem Motto „Kein Werben fürs Sterben“ fand sich innerhalb kürzester Zeit mit bundesweiter Unterstützung zusammen, um gegen die Okkupation öffentlicher Räume durch das Militär zu protestieren.
In Zeiten weltweiter „Out-of-area“-Einsätze bedeutet ein „klares Bekenntnis zu unseren Streitkräf-
ten“ (Ministerpräsident Horst Seehofer) unweigerlich konkrete Kriegspropaganda, Rechtfertigung völkerrechtswidriger Angriffskriege und Beschönigung langjähriger Besatzung ferner Länder. Mit Trillerpfeifen, Transparenten und Protesttafeln empfingen die Demonstranten nach dem kirchli-
chen Segen die Soldaten und ihre Angehörigen gebührend lautstark: „Kein Werben für’s Sterben, keine Orden für’s Morden, keinen Segen für’n Degen!“, schallte es, „No more War!“ und immer wieder: „Haut ab!“, um den OffiziersanwärterInnen die generelle Ablehnung öffentlicher Zur-
schaustellungen des Militärischen und der perfiden Instrumentalisierung von Kirchen zur Abseg-
nung desselben entgegenzuhalten. Bereits am Abend zuvor hatten etwa 20 Personen die Theatiner-
kirche St. Kajetan für zwei Stunden besetzt gehalten, um die Überlassung sakraler Räume unter der Ägide des Dominikaner-Konvents an die Militärseelsorge anzuprangern.
Für die Militärs in ihren schicken Ausgehuniformen samt Familienanhang wurde der kurze Gang von der Kirche in den Hofgarten zum Spießrutenlauf. Doch kein Härchen wurde ihnen gekrümmt. Wir sind ja nicht so – wie die. Etliche der stolzen „Leutnants zur See“ werden demnächst wohl auf „Piratenjagd“ geschickt werden – und so selber zu Freibeutern des „freien Welthandels“, indem sie Boote kapern oder versenken und Gefangene machen oder auch nicht. Daher auch die Mahnung des Kundgebungs-Moderators, „nicht nur an die Beförderung“ zu denken, sondern „auch an die Rückbeförderung – im Zinksarg oder auf einer Verwundetenbahre“. Wobei das bei der Marine eventuell schwerlich möglich ist, da bleibt oft nur das „Seemannsgrab“.
Am „wichtigsten Tag in der Laufbahn eines jungen Offiziers“, wie es die Präsidentin der Bundes-
wehrUniversität in Neubiberg formulierte, ging es der Bundeswehr darum, „auch historisch bela-
stete Plätze einer demokratischen Nutzung“ zuzuführen. Seltsam angesichts des Denkmals eines „Unbekannten Soldaten“, der wie unversehrt in Stein gemeißelt in einer Art Gruft daliegt, als wolle er jeden Moment „wieder auferstehen“ (so die Inschrift), um sein blutiges Handwerk unbeirrt fortzusetzen. In der Tat ist dieser „Schlafende“ nicht nur wie 1924 vorgesehen den Gefallenen des Ersten, sondern auch den toten Wehrmachtssoldaten des Zweiten Weltkriegs gewidmet, die alle-
samt auf den „Führer“ persönlich eingeschworen waren. Demokratische Traditionslinien sehen anders aus. Entsprechend tummeln sich an diesem Kriegerdenkmal immer wieder gerne diverse Nationalisten und Faschisten. Nun ging es ohnehin – wie nicht anders zu erwarten – weniger de-
mokratisch denn stramm militärisch zu. Der Hofgarten war von Polizei und Feldjägern hermetisch abgeriegelt. Dem Aktionskünstler Wolfram P. Kastner, der in Begleitung eines als evangelischer Militärdekan kostümierten Mitstreiters im schneidigem Tarnanzug eines katholischen Seelsorgers Einlass begehrte, wurde barsch beschieden, „sowas wollten die da drin nicht sehen“. Klar, der kirchliche Teil war erledigt, jetzt ging es ans Martialische. Da braucht es kein klerikales Salbader und Orgelgedöns. Da bläst die Militärkapelle den Marsch, selbst vorher schon in der Kirche.
Gegen diese „Militarisierung des öffentlichen Raums“ sprach sich der Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im Münchner Stadtrat Siegfried Benker explizit als Privatperson aus, da die Debatten innerhalb seiner Partei um Bundeswehr und Auslandseinsätze kontrovers verlaufen. Er monierte konkret auch die Wahl des Ortes für das Militärspektakel neben dem suspekten Ge-
fallenen-Denkmal, an einem „Ort des politischen Revanchismus“, und die daraus sprechende „Ge-
schichtsvergessenheit“ der Bundeswehr. Auch Klaus Hahnzog, ehemaliger Bürgermeister und heute bayerischer Verfassungsrichter, sah sich angesichts der Hofgarten-Arkaden an ungute histo-
rische Ereignisse erinnert, wurde doch hier von den Nazis die volksverhetzende Ausstellung „Ent-
artete Kunst“ präsentiert. Sein Plädoyer gegen weltweite Bundeswehr-Einsätze untermauerte er mit seinen eigenen Jugenderinnerungen an den Krieg, als er, ausgebombt und evakuiert in die Pfalz (man hört es seiner Zunge noch heute deutlich an) beim „Kartoffelnstoppeln“ mit Tieffliegern konfrontiert wurde, da der „Westwall nicht weit entfernt lag“. Er mahnte: „Denkt an die Opfer der Bundeswehr-Einsätze, diese Einsätze sind keine dringend notwendige Friedenspolitik.“ Vehement sprach sich Claus Schreer vom Münchner Bündnis gegen Krieg und Rassismus gegen jegliche „Kriegsverherrlichung“ aus: „Die Zielsetzungen für den Einsatz der Bundeswehr sind geradezu atemberaubend verfassungswidrig und völkerrechtsfrei. Ginge es nach dem Grundgesetz, müsste diese Bundeswehr auf der Stelle aufgelöst werden, weil die weltweiten Militäreinsätze Deutsch-
lands mit Landesverteidigung nicht das Geringste zu tun haben“. Er kritisierte scharf das unsäg-
liche Wort des Bundespräsidenten Joachim Gauck an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg vom „Mut-Bürger in Uniform“ und erinnerte an die fatale Entscheidung eines derartigen „Mutbürgers“, eines Oberst Georg Klein, der in der deutschen Besatzungszone bei Kundus die Bombardierung von über 140 afghanischen Zivilpersonen angefordert hatte.
Besonders berührend und brandaktuell war die Mahnung von Rouwen Moskowitsch aus Jerusa-
lem, einem Überlebenden des Holocaust, keine Rüstungsgüter in Spannungsgebiete zu exportie-
ren, insbesonders nicht atomwaffen-tragfähige U-Boote an Israel, in ein Land, das einem anderen Land unverhohlen mit Krieg drohe. Die israelische Regierung sei durchsetzt mit Nationalisten, Ultrareligiösen, Rassisten und Faschisten. Diese sei sein Gegner, und nicht nur der iranischen, sondern auch der israelischen Bevölkerung. Umso deutlicher zeugte seine grundsätzliche Haltung von menschlicher Größe: „Ich weigere mich, die Soldaten persönlich zu hassen“.
Auch die ver.di-Gewerkschaftssekretärin Hedwig Krimmer prangerte in erster Linie die militaristi-
schen Strukturen und Traditionslinien an, die Deutschland zweimal einen Weltkrieg vom Zaum brechen ließen. Dabei seien „die arbeitenden Menschen immer die Hauptleidtragenden von Milita-
rismus und Krieg“. Barbara Tedesci von der Aktion „Klassenkampf statt Weltkrieg“ warnte vor einem dritten Anlauf zu deutscher Großmachtpolitik wirtschaftlicher und militärischer Dominanz. Oberstleutnant a.D. Jürgen Rose vom Darmstädter Signal sprach sich deutlich gegen die weltweite Präsenz deutscher Streitkräfte und deren Besatzungspolitik aus. Während der Rote Wecker seine Instrumente auspackte, kritisierte Mechthild Schreiber von der Aktion „Ziviler Friedensdienst“ das krasse Missverhältnis zwischen den mageren Ausgaben für Zivile Dienste und vergleichsweise üppigen Etats für Bundeswehr und Waffenbeschaffung. Die Musik des Roten Weckers war gut zu hören im Hofgarten, wie von zeitweiligen Zaungästen „auf der anderen Seite“ berichtet wurde. Die Veranstaltung endete nach vier Stunden mit dem fröhlich geschmetterten Solidaritätslied, das alle, die solange ausgeharrt hatten, erleichtert mitsangen.
Mehrere frisch gebackene Offiziere fielen bereits ohne Feind-Einwirkung einfach um im Hofgarten – unter den Hitzewallungen des militärischen Zerimoniells nach zweistündigem Strammstehen. Vielleicht haben sie aber auch die Reden des Staatssekretärs Stéphane Beemelmans und des Staatskanzleichefs Thomas Kreuzer umgehauen. Oder die Enttäuschung darüber, dass weder Ministerpräsident Horst Seehuber noch Militärminister Thomas de Maiziére sich herbeigelassen hatten; sie waren für Berlin zur Durchpeitschung des Fiskalpakts u.k. gestellt. Sie hätten wesent-
lich prominentere Aufwartung erfahren können, wären sie bei der Antikriegskundgebung gewesen: Gauck und Merkel zeigten sich dort zum Gaudium des Publikums täuschend lebensecht, bis sie von der Bühne vertrieben wurden. So aber mussten sich die künftigen Befehlsgeber mit zweitrangigem Personal bescheiden und in der prallen Sonne braten, ehe sie die 573 Namen feierlich verlesen und ihre Offizierspatente ausgehändigt bekamen. Abwehrraketen gegen Sonnenglut und Soldatenfrust waren offenbar nicht einsatzbereit. Mit der unumschränkten Weltherrschaft dürfte es daher noch etwas dauern. Bleibt zu hoffen, dass diese „Enthüllung“ nicht als Geheimnis- oder gar Landesverrat gewertet wird – in Erinnerung an den berühmten SPIEGEL-Titel von 1962: „Nur bedingt abwehr-
bereit“. Die Skandale um Rüstungsbeschaffung und Bundeswehr, um Kriegswaffenexporte und da-
mit einhergehende Schmiergeldzahlungen und Steuersubventionen sind seither nicht weniger ge-
worden. Aber der schlimmste Skandal ist und bleibt der fortdauernd grundgesetzwidrige Kriegs-
einsatz der deutschen „Parlamentsarmee“ jenseits von Landesgrenzen und NATO-Territorium. Schluss damit! Und keine Propagandashow für diesen Verfassungsbruch!
Rundmail vom 3. Juli 2012