Materialien 1989

Die Ästhetik des Widerstands und der Widerstand der Ästhetik

In der Flut der Bilder moderner Mediengesellschaften verschwindet die Kunst, verliert sie ihren kritischen Stachel, ihr aufklärendes Potential. Art is commerce and commerce is art – Wharhols programmatische Gleichsetzung scheint sich am Kunstbetrieb zu bestätigen. Wen oder was kann die Kunst provozieren, bewegen, keinen lockt sie hinter dem Ofen hervor. Ein Ausweg aus dieser Situation ist die Hyperreflexivität. Sturtevant, Koons und Konsorten treiben es auf die Spitze und ins Absurde. Kitsch und Remakes von Remakes sind die konsequente ästhetische Umsetzung eines Unbehagens in der Kunst an den Bedingungen ihrer eigenen gesellschaftlichen Reproduzierbarkeit.

Jede Form der linearen Steigerung nach dem Motto: Mehr vom Gleichen! läuft irgend wann ins Leere. Was tun? Eine Möglichkeit ist die Mobilisierung der Ressourcen Intelligenz und Ironie. Das heißt: Kunst im Kontext zu begreifen. Kunst aus den Museen zu holen und sie dort zu plazieren und zu praktizieren, wo sie wirkt. Das ist nicht die Kunst am Bau, das sind auch nicht die vielen erlebnisorientierten Multi-Medien-Massaker, die versuchen, gegen das Modell Disneyland anzu-
gehen (ein Kampf, der ohnehin aussichtslos ist). Das ist vielmehr der Versuch, das ernst zu nehmen, was der Kunst garantiert wird: ihre Freiheit.

Das traditionelle Verhältnis, das zwischen Kunst und ihren Rezipienten gedacht wird, muss erweitert werden. Man muss der Kunst ihre Gänsefüßchen nehmen, die sie im traditionellen Museumskontext und an den ihr zugedachten Orten des öffentlichen Raums hat.

Kunst wirkt dann auf paradoxe Weise. Sie erscheint ohne Vorankündigung und Warnung. Kein Schild mit der warnenden Aufschrift „Vorsicht Kunst!“, die dann in aller Regel die Reaktion provoziert: „Ach so, nur Kunst.“ Irritation durch Nichtwarnung öffnet neue Wege. Was passiert, wenn ein ästhetisch definiertes Objekt, als solches nicht definiert wird? Gehen wir es der Reihe nach durch.

Peter Frese nimmt ein Bild aus der Zeitung. Er bearbeitet es, macht daraus ein Werk und bringt es wieder dahin zurück, wo es herkommt – vor das ungeschützte Auge der Allgemeinheit. Ein Bild, das in seinem originären Zusammenhang ein Dokument ist, das den Betrachtenden zeigt, was an einem Ort geschehen ist, kehrt nach einer künstlerischen, ästhetischen „Transformation“ wieder vor die Öffentlichkeit zurück. Jetzt setzt ein Prozess ein, der einer Anatomielehrstunde am Körper der Politik gleicht. Wir sehen den Kniereflex derjenigen Kräfte, die für Sicherheit und Ordnung, für Ruhe und Dummheit sorgen. Frese hängt das Bild ohne Vorwarnung, ohne Stipendium, einfach so, ohne Kommentar und auf eigene Kosten öffentlich in die U-Bahn an eine Plakatwand. Irgendetwas stimmt nicht. Keine Message, keine Aufforderung zum Konsum, kein Warnschild „Vorsicht Kunst!“, einfach ein vergrößertes Bild aus der Zeitung, Polizisten in Kampfmontur schlagen auf eine zivile Person ein, die vor ihnen am Boden liegt. Niemand tut etwas verbotenes. Die Polizisten auf dem Bild gehen ihrer Arbeit nach. Sie sind berufsmäßig lizensiert, auf andere einzuschlagen. Der Künstler hängt ein Werk an einem Ort auf, für dessen Nutzung er ordnungsgemäß gezahlt hat und die Vorübergehenden werfen den Blick auf ein Bild, das sie schon an anderen Stellen, in der Zeitung gesehen haben.

Und doch. Was ist das, was wir hier sehen. In der Zeitung ist es ein Pressefoto, begleitet von einem Kommentar, im Museum wäre es ein „politischer“ Akt (in Gänsefüßchen) des Künstlers. So aber ist es reine, unkommentierte, nicht gerahmte Provokation. Wir lernen: Die Summe legaler Akte kann in toto zu einer Provokation führen. Nichts Verbotenes ist geschehen und dennoch mokiert sich die allerdurchlauchteste bayerische Staatsregierung, sie ist not amused, möchte das Bild gerne ent-
fernt sehen. – Geht aber nicht, hängt dort aufgrund eines privatrechtlich wasserdichten Vertrags zwischen Künstler und Besitzer der Fläche. Ätsch! Der Künstler hat sie dran gekriegt.

Das Resumé: Hier gelingt etwas, das der Politisierung in Gänsefüßchen missrät. Hier wirkt
die subtile Kraft des Banalen. Was regt Ihr Euch auf, Herrscher aller Bayern über ein Foto der Presseagentur?! Ist Euch etwa nicht wohl beim Anblick dessen, was Ihr hier seht? Aber, aber, so hört man den Künstler mit feinsinnig unterkühltem Lächeln sagen, ist doch alles in Ordnung – kein Gesetz wurde übertreten. Man wird doch wohl noch mal ein Bild aufhängen dürfen, oder?! Am ärgerlichsten ist natürlich die Tatsache, dass es gegen diese Aktion keine Handhabe gibt. Alles im legalen Bereich. Der Künstler braucht sich nicht zum Märtyrer zu stilisieren, kein Skandal, kein Angriff auf die Freiheit der Kunst muss laut hinaus posaunt werden. Nein, hier hat einer nichts anderes gemacht, als die Freiheit der Kunst ernst zu nehmen und siehe da, es funktioniert. Ohne Larmoyanz und Angeprangere. Einfach klug gemacht und gut gelaufen.

Reinhard Kreissl


Institut für Kunst und Forschung (Hg.), Unmögliche Kunst. Eine im Auftrag der Grünen Landtagsfraktion gestaltete Ausstellung vom 24. Januar bis 16. Februar 2001 im Bayerischen Landtag über das, was man sich heutzutage im Freistaat von Künstlern alles gefallen lassen muss, mit einem Geleitwort von Sepp Dürr und Texten von Jürgen Arnold und Gerd Holzheimer, München 2000, 22 f.

Überraschung

Jahr: 1989
Bereich: Kunst/Kultur

Referenzen