Materialien 1989

Irriger Versand

BUNDESPOST

Postminister Schwarz-Schilling verstrickt sich immer tiefer in die Propagandaaktion der rechtsradikalen „Deutschen Volksunion“. In einem Geheimerlass verzichtet sein Ministerium auf fällige Nachgebühren.

Einen Aufruhr wie nie zuvor erlebten die Mitarbeiter der Bundespost vorletzte Woche nach der bundesweiten Verbreitung rechtsextremer Postwurfsendungen für die „Deutsche Volksunion – Liste D“ (DVU). Briefträger wurden auf offener Straße als „Nazi-Schweine“ beschimpft, das CDU-geführte Bundespostministerium geriet bei Bürgern, Gewerkschaften und Oppositionsparteien unter Feuer.

Kaum war die umstrittene Zustellaktion beendet, schien der nächste Ärger für die Post schon programmiert. Denn seiner nationalistischen Hetzpost („Deutschland soll das Land der Deutschen bleiben“) hatte DVU-Führer Gerhard Frey, 55, eine Antwortpostkarte mit einer sogenannten Meinungsumfrage beigefügt. Mit „Ja“ oder „Nein“ sollten auf der Rückseite Suggestivparolen angekreuzt werden wie „Ich bin für Ausländer-Begrenzung“ und „Die Wiedervereinigung Deutschlands ist wichtiger als der Ausbau der EG“.

Es kam, wie es kommen musste: Die Antwortkarte wurde massenhaft zurückgeschickt, doch die meisten Absender scherten sich nicht um den kleingedruckten Portovermerk „Bitte mit 60 Pf frankieren“. Bei der Post summierte sich ein Riesenbetrag an Nachgebühren.

Frey nahm die Nachzahlungen nur in bestimmten Fällen in Kauf. Seine Beauftragten suchten sich im Postamt München-Pasing, dem Wohn- und Firmensitz des Rechtsdemagogen, aus den nichtfrankierten Rücksendungen die zustimmenden Antworten heraus und bezahlten dafür das Nachporto.

Auf diese Weise verschaffte Bundespostminister Christian Schwarz-Schilling (CDU) seinem Geschäftspartner Frey eine bequeme Basis, um Sympathisanten und Unentschlossene aus dem Posteingang herauszufiltern und für die Rechtstruppe zu werben. Dass Freys Briefe im Land überhaupt zugestellt worden waren, hatte Schwarz-Schilling mit der Behauptung gerechtfertigt, der „einsehbare Inhalt“ der Sendung verstoße nicht „erkennbar gegen das öffentliche Wohl“.

Bei Karten mit Nein-Antworten oder Schmähungen („Wir wollen keine Nazis mehr haben“ oder „Raus mit euch aus Deutschland“) nutzte die DVU das Recht auf Annahmeverweigerung und sparte die Zusatzkosten – die rechte Art, eine Meinungsumfrage auszuwerten.

Die abgelehnten Antwortkarten gingen an die Absender zurück, soweit deren Anschriften vermerkt worden waren. Zur Strafe für die Zurückweisung der Frey-Tiraden wurden die Nachgebühren nun bei den Gegnern der Rechtsradikalen fällig – alles postalisch absehbare Folgen einer demokratiefeindlichen Großaktion (Devise: „Die alten Parteien haben auf der ganzen Linie versagt“), die von Postjuristen und hohen Ministerialbeamten vorher genau geprüft worden war. Deutlicher hätte das von den Unionsparteien bestimmte konservative Klima nicht sichtbar werden können, in dem Regierende laxen und fahrlässigen Umgang mit völkischen Extremisten pflegen.

Nun aber bekamen die gelben Hoheitsträger Angst vor einer neuen Protestwelle – und bauten in aller Stille vor. Am Freitag vorletzter Woche wies das Bundespostministerium nachgeordnete Dienststellen an, die eigentlich zahlungspflichtigen Absender unfrankierter Frey-Postkarten ungeschoren zu lassen. Bei Rücksendungen, deren Annahme die DVU verweigert habe, hieß es in der Rundverfügung aus Bonn, sei „vom Einzug der Nachgebühr“ bei den Absendern „aus Billigkeitsgründen abzusehen“. Wer bereits Nachgebühren habe zahlen müssen, dem seien sie „auf Antrag zu erstatten“.

Die Billigkeit des Gebührenerlasses begründete das Ministerium nicht etwa post- oder verfassungsrechtlich, sondern mit einem verlegen-verlogenen Vorwand: Falsche Darstellungen „in der Presse“, tickerten die Bonner an die Oberpostdirektionen, hätten wahrscheinlich eine Massenreaktion „des irrigen Versandes als Werbeantwort“ – ohne Briefmarken – ausgelöst. Vorsorglicher Zusatz des unterzeichnenden Ministerialrats Herbert Lotze: „Diese Verfügung eignet sich nicht zur Veröffentlichung.“

Zur Heimlichtuerei sieht sich eine ertappte Bürokratie genötigt, die sich in anderen Fällen mit Einwänden und Bedenken geradezu überbietet: etwa, wenn es um Postsendungen von Friedens-, Umwelt- oder Bürgerinitiativen geht. So wurden verschiedentlich Sendungen mit Aufklebern angehalten, die für die 35-Stunden-Woche warben oder gegen Atomkraft („Nein danke“) gerichtet waren.

Die Deutsche Postgewerkschaft (DPG) kollidierte schon mehrfach mit der Bonner Obrigkeit. 1984 lehnte das Postministerium einen Sonderstempel für ein Bonner DPG-Friedensforum ab, der eine zerbrochene Rakete mit hervorsprießender Nelke zeigen sollte. Drei Wochen zuvor war ein Wilhelmshavener Marine-Stempel mit einer Abbildung der Fregatte „Köln“ (DPG: „Kriegssymbol“) anstandslos genehmigt worden.

Im letzten Jahr gab es wieder einen Stempel-Stopp für die DPG. Für eine Personalrätekonferenz in Fulda beantragte die Gewerkschaft einen Sonderstempel mit dem Motto: „Arbeitsbedingungen bei der Deutschen Bundespost – Herausforderung für die Personalräte“. Entscheidung der Deutschen Bundespost: abgelehnt.

Bei ihrer Begründung, es handele sich um eine „konkrete Aufforderung zu einem bestimmten Handeln im gesellschaftspolitischen Bereich“, ließ sich die Post von der praktizierten Ungleichbehandlung gegenüber rechten Organisationen nicht stören. So hatte das Bundesunternehmen vor Jahren der „Initiative für Ausländer-Begrenzung“ in Planegg bei München, bei der die konkrete Aufforderung schon im Namen steckt, einen Freistempler mit der eindeutigen Eigenbezeichnung samt einer Art Reichsadler genehmigt.

Auch die Beförderung einer Massenpostkarte, ähnlich der jetzt erlaubten „Meinungsumfrage“ der DVU, wurde der Postgewerkschaft zu Weihnachten 1985 verwehrt. Bei einer Aktion gegen „Sozialabbau“ verteilte die DPG-Bezirksverwaltung München damals unter Gewerkschaftern 5.000 Protestpostkarten zur Unterschrift und Zusendung an den Bonner „Weihnachtsmann“ Friedrich Zimmermann, der als mitzeichnender Minister an der Streichung von Zuschüssen festhielt. Die Postverwaltung unterband den Versand.

Mindestens dreimal sind die Postzensoren bereits von Gerichten zur Ordnung gerufen worden. Das Bundesverwaltungsgericht erlaubte den Umweltschützern von Greenpeace im Herbst 1985 die Verwendung ihres Friedenssymbols, der Lebensrune, das ihnen die Bundespost zur Dekoration eines geschäftlichen Freistempels vorenthalten hatte. Das Grundsatzurteil hebt den hohen Wert der Meinungsfreiheit hervor, hat bisher aber in die gängigen Kommentare des Postrechts keinen Eingang gefunden.

Erst Montag letzter Woche gab das Oberverwaltungsgericht Münster die Abbildung eines durchgestrichenen Kernkraftwerks frei, die der Grünen-Kreisgeschäftsstelle in Siegen als „politischer Vermerk“ ausgelegt und von der Post für einen Freistempel verboten worden war. Dasselbe Gericht hatte 1984 dem Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz einen Freistempler mit stilisierter Margerite erlaubt, weil die Richter, im Gegensatz zu den Oberverdachtschöpfern der Post, Margeriten als „unpolitische Blumen“ ansahen.

Nicht so unpolitisch reagierten zahlreiche Postbeamte auf die Wurfsendung der DVU. Rund 120.000 Frey-Briefe, deren Annahme die Haushalte verweigert hatten, wurden zum Postamt München-Pasing zurückverfrachtet, obwohl die Dienstvorschriften die Vernichtung zurückgegebener Wurfsendungen vor Ort verlangen. In Postkreisen gilt die Aktion als stiller Massenprotest der Postler gegen das Postministerium.


Der Spiegel 5 vom 30. Januar 1989, 78 f.