Materialien 1990

Mit Fremden leben

Bericht über die Vortragsreihe „Zukünfte denken“ der HU München

Im Januar und Februar 1990 fand an fünf Abenden in der LMU wieder eine Vortragsserie in der Reihe „Zukünfte denken“ statt. Das Thema dieses Jahres lautete „Mit Fremden leben“ und stand in Konkurrenz zu einer ganzen Reihe von anderen Veranstaltungen zum gleichen Grundthema, woraus man die Aktualität des gewählten Themenkreises entnehmen kann. Das Ziel der Reihe war indes darauf gerichtet, statt theoretischer Abhandlungen zu den angeschnittenen Fragen möglichst in praktischer Arbeit mit fremden Mitbürgern, erfahrene Sprecher zu Wort kommen zu lassen, bzw. sogar die Betroffenen selbst.

Jeder Vortrag hatte sein spezielles Publikum angezogen und die anschließenden Diskussionen waren teilweise sehr lebhaft, wobei noch manche wesentliche Ergänzung zum vorangegangenen Vortrag formuliert wurde.

Der erste Vortrag wurde gehalten von Privatdozent Dr. Klaus Müller vom Institut für Deutsch als Fremdsprache der Uni München. Sein Thema „Sprachbarrieren“ umriss die Situation des Spracherwerbs für die zugereisten Erwachsenen einerseits und ihrer Kinder andererseits. Gerade das wechselseitige Sprachverhalten spiegelt die Kultur und Vorurteilsbarrieren wider, die erkannt und möglichst reduziert werden müssen, um den Verstehens- und Verständigungsprozess zu fördern.

Den nächsten Vortrag hielt Rechtsanwalt Werner Dietrich aus München unter dem Titel „Grenzen auf für Flüchtlinge?“ Aus seiner reichen Praxiserfahrung mit Entscheidungen der Gerichte legte er die Tendenzen bloß, wie sich die BRD gegen die Opfer der internationalen Arbeitsteilung abzuschotten versucht. Es wurde klar, dass insbesondere mit der Öffnung der europäischen Binnengrenzen die bisher angewandten administrativen Mittel nicht mehr helfen können. Bis dahin müssen partnerschaftliche Regelungen gefunden werden, die möglichst frei von distanzierter Abwehr, aber auch von Verklärung der Asylbewerber sein müssen.

Als nächste sprach Frau Sabine Kriechhammer-Yagmur vom Verband bi-nationaler Familien und Partnerschaften (IAF). Ihr Thema lautete „Warum haben Sie einen Türken geheiratet?“ Sie berichtete ihre Erfahrungen, wie bi-nationale Ehen und Partnerschaften von Freunden und Nachbarn mit Misstrauen begleitet und vom Staat reglementiert werden. Hier muss noch vieles geschehen, um die gegenwärtigen Schwierigkeiten zu mildern und in Zukunft solchen Verbindungen zu voller gesellschaftlicher Gleichberechtigung zu verhelfen.

Den nächsten Vortrag hielt Frau Dagmar Müller-Holve, eine Hauptschullehrerin aus dem Münchner Westend, zum Thema „Erziehung zwischen den Kulturen“. Sie erläuterte die Verunsicherung, die die deutschen Vorstellungen von   Schulbildung, Sozialverhalten und Berufslaufbahn für die hier lebenden ausländischen Familien bedeuten, die mit ihren eigenen Vorstellungen in Konflikt geraten. Dabei scheint sich die Situation durchaus auch umkehren zu können, wenn z.B. in Hauptschulklassen dreiviertel der Schüler nicht deutsch sind und ihre deutschen Klassenkameraden an Intelligenz deutlich übertreffen

Der letzte Vortrag wurde gehalten von Prof. Dr. Hans-Ulrich Gallwas, Staats- und Verwaltungsrechtler an der Uni München, über „Politische Partizipationsmöglichkeiten von Fremden“. Er behandelte die gegenwärtigen rechtlichen Überlegungen zur Beteiligung der Nichtdeutschen nach langjährigem Aufenthalt in der BRD an Wahlen. Obwohl gerade das Kommunalwahlrecht viel diskutiert wird, hielt es der Referent für verfassungsrechtlich nicht zulässig und plädierte stattdessen für eine großzügige Verleihung von Doppel-Staatsbürgerschaften, von denen aber stets nur die Staatsbürgerschaft des Landes aktiv ist, in dem sich der Träger gerade aufhält. Dies wäre vielleicht ein interessanter Weg für viele, sich tatsächlich als volle Bürger zweier Länder zu fühlen und sich aktiv zu verhalten.

Insgesamt hat sich gezeigt, dass der Einsatz für die Belange der ausländischen Bürger bereits in einigen Bereichen stattfindet, gleichzeitig aber noch viele Probleme offen sind; vielleicht hat diese Veranstaltungsreihe einige Denkanstöße geben können, wie diesen beizukommen ist.

Tim Hering


Mitteilungen der Humanistischen Union 129 vom März 1990, 12.

Überraschung

Jahr: 1990
Bereich: AusländerInnen

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