Materialien 1990
Unter anderen Umständen
Ein schlichtes Plakat sorgt in der Öffentlichkeit für Aufregung: „Asyl rettet Leben“ amnesty inter-
national. Einfach, aber wahr.
Die Stadtwerke weigerten sich, für dieses Plakat im Bereich der Münchner U-Bahn Werbeflächen zu vermieten. Neben den allgemeinen Floskeln und Geschwafel, die das Ablehnungs-Schreiben enthält, stoßen ein paar Sätze ganz schön sauer auf.
„Der sichere und reibungslose Betriebsablauf des öffentlichen Nahverkehrs ist oberstes Gebot. …ist gerade bei politischen Diskussionen größeren Ausmaßes mit Störungen und Gefährdungen des Be-
triebsablaufes zu rechnen.“
Die Stadtwerke gehen also davon aus, dass die anderen Plakate, die sonst so in den U-Bahnhöfen rumdümpeln (von Margarine-Werbung bis ‚Schwarze-Sheriff-Slogans’), ohnehin keinen interessie-
ren. Aber gerade bei diesem Plakat. soll das große Wunder passieren, dass die Leute in der U-Bahn plötzlich anfangen, miteinander zu reden?! Und wenn sie schon mal anfangen, miteinander zu re-
den, dann nicht nur ein paar wenige, sondern viele, ganz viele – vielleicht sogar alle. Das würde dann natürlich die Gleise verstopfen.
Meine Tochter (4) glaubt auch noch an den Osterhasen. Wenn Ihr von den Stadtwerken Lust habt, könnt Ihr ja mal vorbeikommen und mit ihr im Sandkasten spielen. Bringt eine U-Bahn mit!
Eines sollte hier auch mal deutlich gesagt werden: Die Stadtwerke haben das Monopol an den An-
schlagsflächen im öffentlichen Nahverkehr. Wenn ein politisches Plakat abgelehnt wird, ansonsten aber für ‚Magerquark’ munter plakatiert wird, lohnt es sich, über das hässliche Wort Zensur nach-
zudenken.
Die Stadtwerke betonen, ‚sie würden unter geänderten politischen Umständen dieser Plakatakti-
on durchaus nicht ablehnend gegenüberstehen’.
Welche politischen Umständen sollen sich denn ändern? Steht das Asylrecht nicht mehr in unse-
rem Grundgesetz? (Ich schick den Stadtwerken gerne eins zu. Dann werden sie allerdings merken, dass das oberste Gebot ‚vom sicheren und reibungslosen Betriebsablauf des Nahverkehrs’ dort nicht drinsteht.)
Ist es nicht mehr wahr, dass gerade die besten Münchner Schriftsteller dem Asyl ihr Weiterleben in den 30er Jahren verdankten? (Oskar Maria Graf, Lion Feuchtwanger)
Nicht die politischen Umstände haben sich geändert, sondern das Klima.
In das soziale (Ozon-)Loch, das, die etablierten Parteien in unsere Gesellschaft gerissen haben, sto-
ßen nun braune Demagogen.
„Scheinasylanten raus“.
„Lebenslänglich für Drogen-Dealer“.
„… für eine deutsche Wiedervereinigung – aber nicht auf dem Boden der Bundesrepublik, mit Millionen von Sozialismus-Flüchtlingen“. (Vom geistigen Gehalt der Wahlkampfslogans aller Parteien ohnehin nicht verwöhnt – aber so einen blöden Spruch habe ich seit Jahren nicht mehr gelesen!)
Überhaupt frage ich mich, wie blöd eigentlich eine Parole sein muss, damit Menschen mit zum Teil durchaus berechtigten Ängsten (Arbeitslosigkeit, Neue Armut, Wohnungsnot…) ihre vollkommene Hohlheit erkennen. Die braunen Rattenfänger mit ihren modrigen 30er Jahre-Thesen garantieren keine einzige Wohnung und keinen einzigen Arbeitsplatz mehr – aber aus berechtigten und unbe-
rechtigten Ängsten erzeugen sie Hass und Neid.
„Scheinasylanten“ (eine neue Wortschöpfung) gibt es nicht. Ein Mensch beantragt bei uns Asyl. Über den Antrag entscheidet ein ordentliches Gericht. Wird er anerkannt, dann ist er bei uns zu Recht Asylant! Solange er auf das Urteil wartet, ist er Asylsuchender.
„Lebenslänglich für Drogendealer“. – Man freut sich ja schon, dass hier nicht gleich wieder die To-
desstrafe gefordert wird. Aber harte Strafen für Drogen-Bosse und Therapie für 17jährige, die zur Deckung ihres Eigenbedarfs ein paar Gramm Hasch verkaufen, das wäre doch eigentlich die For-
mulierung, die auch die vielen Kriminal-Beamten, die für die Republikaner kandidieren, unter-
schreiben müssten!
„Härtere Strafen für Polit-Chaoten“. – Die das fordern, können sofort in ihren eigenen Reihen an-
fangen!
Eine Kopfverletzung soll Glasauer, Bezirksvorsitzender der sogenannten ‚Republikaner’, gehabt haben, als er forderte, Wackersdorf in ein Arbeitslager für die rot-grünen Deppen umzufunktionen.
Ebenfalls unter Einfluss dieser Kopfverletzung soll er gefordert haben, den Aussiedlern lieber ein Feldpostpackerl zu schicken, da sie zu faul und zu dumm zum Arbeiten sind.
Im Gegensatz zu H. Glasauer, der ein Attest für seine Kopfverletzung vorlegte, wissen wir nicht, was Johnny Klein (CSU) im Kopf plagte, als er die Meinung vertrat, „die Waffen-SS sei eine kämpfende Truppe gewesen, keine Verbrecher“.
Wir wissen auch nicht, was Edmund Stoiber (CSU) fehlte, als er vor einer „durchrassten Gesell-
schaft“ warnte. (Hat diesen Ausdruck in der Zwischenzeit wieder zurückgenommen.)
Über all das müsste man mal reden. Wenn’s sein muß, sogar in der U-Bahn. Unter allen Umstän-
den.
Es sei denn, unsere Demokratie befindet sich wieder in ‚anderen Umständen’.
Günter Knoll
Günter Knoll ist Vorsitzender des Vereins ‚Künstler gegen Rechts’. Weitere Beiträge von ‚Künstler gegen Rechts’-Mitgliedern werden folgen.
Stadtmagazin München 7 vom 23. März 1990, 12.