Materialien 1990
X ray
Konzept der Kulturinitiative „x-ray“ e.V.
Münchner Verhältnisse
Redet man in anderen deutschen Städten über Münchner Kultur, so erntet man meist nur ein müdes Lächeln. Das, was dem auswärtigen Betrachter einfällt ist die „Saubermann-Kultur“; es zählt nur das, was glänzt; ein Nationaltheater, ein Gasteig, ein Filmfest. Zu oft schon hat man im Rest Deutschlands von geflüchteten Ex-Münchnern die Geschichten vom großen Besen gehört, der alles, was nach Bewegung und Innovation riecht, dahinfegt. Namen wie Cola-, Alabamahalle und Flohmarktgelände an der Dachauer Straße fallen einem ein. Dort, wo früher eine „andere“ Kultur gemacht wurde, stehen heute das City-Hilton, das BMW-Forschungszentrum und das Goethe-Institut mit ihren Hochglanzfassaden.
München, das noch in den 60ern eine Stadt mit vielfältigsten Kulturbewegungen war, wird begradigt zu einer linientreuen Fast-Food-Einheitskulturwüste, in der sich selbst die Schickis langsam nicht mehr wohl fühlen – jedes Lebensgefühl wird abgetötet.
Aber immer noch gibt es Leute, die diese Stadt nicht aufgeben und, wie die anderen, ins Exil gehen wollen. Immer wieder versuchen kleine Initiativen gegen diese kommerzielle Gleichschaltung anzukämpfen. Sie starten verschiedenste Feste, Konzerte, Ausstellungen, organisiert in versteckten Räumen und Hallen, die immer sehr bald vom KVR (Kreisverwaltungsreferat) und Konsorten geschlossen werden. Dies, aber auch der Mangel an Erfahrungen und Unterstützung von anderen Leuten ist der Grund dafür, dass die meisten sehr bald wieder aufgeben.
Diese, hier sehr verkürzt abgefasste, Situationsanalyse ist die Grundlage, die uns, die Leute von x-ray, dazu bewegt hat unser Projekt ins Leben zu rufen. x-ray ist zuerst einmal ein eingetragener und gemeinnütziger Verein, der formell die Förderung der Münchner Kunst und Kultur zum Ziel hat (hier werden schon viele Leute stutzen: „schon wieder solche Vereinsmeier“, aber aus rechtlichen, steuerlichen und finanziellen Gründen ist dies für uns die günstigste Organisationsform).
Kultur verstehen
Wir verstehen Kultur nicht als konsumorientiertes Instrument zum Ausfüllen des immer größer werdenden Freizeitanteils in unserer Gesellschaft, sondern vielmehr als ein aktives Kommunikationsmedium, das auch dem einzelnen die Möglichkeit bietet, sich und seine Entwicklung in einen progressiven Prozess einzubringen. Sie kann Träger einer gesellschaftlichen Diskussion sein, in die verschiedenste Vorstellungen von „Leben“ einfließen, wodurch sie zu einem Mittel zur Bekämpfung der Sprachlosigkeit wird.
Ebenfalls ist Kultur für uns ein Ausdruck des Protestes, der durch seine Lautstärke, Grellheit und Konsequenz sehr viel Öffentlichkeitswirksamkeit haben kann. Somit ist unser Verständnis von Kultur ein sehr politisches. Wir wollen die Flucht vor der Realität, die die Kultur heute oft darstellt, negieren und aus ihr einen aktiven Spiegel eben dieser Realität machen, so wie es ja auch schon von einigen politischen Gruppen in München praktiziert wird, die Straßen- und Solidaritätsfeste organisieren, um so von einer verbalen Verkrampfung wegzukommen, die in den letzten Jahren in eine Sackgasse geführt hat. Wer geht denn heute noch auf Diskussionsveranstaltungen?
Wir verstehen also eine konstruktive Hausbesetzung oder die Aktionen der streikenden Studenten im letzten Jahr ebenso als Ausdruck der Lebenskultur wie ein Konzert.
Aktionen
Unser Ziel ist es, einen Beitrag dazu zu leisten München aus seiner Lethargie herauszureißen. Zum einen dadurch, dass wir Konzerte, Feste, Lesungen, Ausstellungen usw. selbst organisieren oder durch aktive Unterstützung von Leuten, die so etwas veranstalten wollen. Zum anderen wollen wir ein Medium, eine Zeitung, herausbringen, die eine Infrastruktur für München bietet, damit aus den vielen Einzelkämpferaktionen eine Lobby werden kann, die dann nicht zuletzt auch politische Kraft besitzt.
Was wir also machen bzw. anbieten wollen
Im Bereich Veranstaltungen:
Organisation und Durchführung von Konzerten, Ausstellungen, Lesungen, Festen usw., wobei vor allem auch neue Formen der Verbindung verschiedener Kulturarten wie z.B. Fest mit Lesung und Performance angestrebt werden.
im Bereich Unterstützung und Beratung:
Wir wollen Leute, die selbst Ideen haben, bei der Durchführung unterstützen. Dies kann z.B. durch das Anlegen von Karteien mit Bands, Veranstaltungsräumen, Finanzierungsmöglichkeiten oder auch Rechtsberatung geschehen. Modell hierfür könnte z.B. das Rockbüro Bonn sein.
im Bereich Zeitung:
Wir planen eine Zeitung herauszubringen, die Informationen, Diskussionsraum und praktische Tips bietet. Unser Stichwort hierfür ist „Anwenderzeitung“, es soll eine Zeitung sein, die nicht nur konsumiert wird, sondern auch dazu anspornt selbst aktiv zu werden, z.B. dadurch, dass man bestehende Kulturinitiativen vorstellt, wodurch andere angeregt werden sollen, auch so etwas aufzuziehen.
im Bereich Vernetzung:
Zur Zeit arbeiten in München mehrere Initiativen. Wir wollen versuchen, diese Leute an einen Tisch zu bringen, um so zu einer Vernetzung der Münchner Subkultur zu kommen. In so einem Rahmen wäre es möglich, viele Dinge zu vereinfachen, wie z.B Terminplanung, Informationsaustausch, Werbung, Öffentlichkeitsarbeit usw …
Wer Interesse hat mitzuarbeiten oder sich über das Projekt informieren will, kann sich an folgende Kontaktadressen wenden:
Veranstaltungen/Vernetzung
Brigitta Erdödy, Müllerstraße 56, 8000 München 2, Tel: 089-266603
Hans-Georg Stocker, Pippinger Str. 39, 8000 München 60, Tel: 089-0203862
Zeitung
Ingo Gleixner-Böhm, ’Therese-Giehse-Allee 55, 8000 München 83
V.i.S.d.P.: Martin Jung, Thalkirchner Str.68. 8 Mü 2. E.i.S.
Flugblattsammlung, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung.