Materialien 1990

Kundgebung vor JVA Stadelheim trotz Verbotsdrohung durchgesetzt

Etwa 60 Menschen unterstützten den Protest gegen die Zwangsverlegung der aufständischen Gefangenen, unter ihnen Rolf Heißler, von Straubing nach Stadelheim und den totalen Einschluss der verbliebenen Straubinger Gefangenen über mindestens eine halbe Woche. Weiter forderten sie auf der Kundgebung die Erfüllung der Forderungen des Straubinger Knastaufstandes, die Freilassung aller haftunfähigen Gefangenen, die Zusammenlegung der politischen Gefangenen und die Schaffung von freien Gefangenenkollektiven. Ein Beitrag rief zur Solidarität mit den hungerstreikenden Gefangenen in Spanien auf.

Sollte ursprünglich nur Rolf Heißler nach Stadelheim verlegt werden, verschärfte sich die Situation, als die Woche vor dem Kundgebungstermin alle hundert Aufständischen nach Stadelheim verlegt wurden, die am 2. August auf ein Dach der JVA Straubing gestiegen waren. 80 dieser Häftlinge waren am 3. August von per Hubschrauber abgesetzten USK-Kommandos vom Dach geholt worden, davor und danach sollen viele Häftlinge geprügelt worden sein. Die Dachbesteigung gelang, weil mit einem Abtrennungsseil aus dem Schwimmbecken viele Häftlinge auf das Dach gezogen werden konnten. Andere Häftlinge sorgten spontan für Verpflegung, Tabak etc. Über diesen Verlauf wurde eine Informationssperre verhängt, so war in der Presse nichts über einen Einsatz der Hubschrauber und des USK zu finden.

Die Situation in Stadelheim gleiche nach der Verlegung der Straubinger Gefangenen dorthin „einem Pulverfass“ meinte Anstaltsleiter Schmuck und trat für starke Auflagen bei der Kundgebung ein. Nachdem das KVR zunächst eine Beschränkung der Lautstärke für die Kundgebung durchsetzen wollte, wurde dann die Lautsprecheranlage und der Aufbau einer Bühne untersagt und dieser Bescheid konnte auch vor dem Verwaltungsgericht nicht wesentlich geändert werden. Eine Rockband, die uns und den Gefangenen zur Erheiterung spielen wollte, konnte somit nicht auftreten, die Redebeiträge mussten über Megaphon gehalten werden. Bedenklich erscheint uns an diesem Vorgang, dass ein Anstaltsleiter über die Knastmauern hinaus zu regieren beginnt.

Trotzdem konnte die Kundgebung mit Beiträgen auch von ehemaligen Gefangenen ihr Anliegen deutlich machen und öffentliche Solidarität mit den Forderungen der Gefangenen und ihrem mutigen Aufbegehren gegen die Verschärfung der Verhältnisse in den bayerischen Gefängnissen herstellen. Angesichts der zugespitzten Lage in den Gefängnissen war die Teilnehmerzahl leider zu gering, das unterstützende politische Spektrum sehr schmal. Zumal die Auseinandersetzung über den Strafvollzug in vielen gesellschaftlichen Bereichen geführt wird: So hatte die Fachschaft Psychologie erst eine Veranstaltungsreihe über den Knast durchgeführt, die Grünen schufen eine Halbtagsstelle für Gefängnisarbeit, die ESG beschäftigt sich in einer Arbeitsgruppe mit der Lage in den bayerischen Gefängnissen und hat einen Besuchsdienst eingerichtet.

Offensichtlich wird die Kriminalisierung des öffentlichen Eintritts für die Anliegen der Gefangenen gefürchtet, was auch tatsächlich nicht ganz unbegründet ist.

So erwog das KVR gegenüber der Kundgebung ein Gesamtverbot, zwei „Gründe“ wurden aufgeführt:

 Zum einen wurde das Münchner Polizeipräsidium zitiert: „… die Auswertung des Bekennerschreibens nach dem Sprengstoffanschlag auf den Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Hans Neusel, am 27. Juli 1990 hat ergeben, dass es eines der Ziele der RAF ist, konkrete Forderungen der ,Gefangenen aus RAF und Widerstand’ gewaltsam durchzusetzen. In dem Bekennerschreiben wird weiter darauf verwiesen, dass zur Durchsetzung dieses Zieles ,jede Initiative, die jetzt kommt zählt’. Die Veranstaltung vor der JVA München-Stadelheim könne von den Veranstaltern als eine solche Initiative verstanden werden.“

 Ferner wurden den Anmeldern Kontakte mit „Personen des terroristischen Umfelds“ unterstellt, zwei Menschen, die so bezeichnet wurden, waren sogar namentlich genannt. Die Betroffenen werden versuchen, eine öffentliche Rücknahme dieser Behauptung seitens des Münchner Polizeipräsidiums zu erreichen.

Die Verhältnisse in den Gefängnissen müssen unter öffentliche Kontrolle! Wir fordern alle Interessierten zur Mitarbeit und Zusammenarbeit mit dem AK Knast auf! Termine können beim GNN-Verlag erfragt werden. Wir wollen auch versuchen, den Gefangenen Diskussionsmöglichkeiten mit der Öffentlichkeit zu eröffnen. So stehen die Münchner Lokalberichte für Beiträge von Gefangenen grundsätzlich offen. Gefangene können die Münchner Lokalberichte kostenfrei beziehen.

Für den Herbst ist eine bayernweite Demonstration vor dem Justizministerium geplant.

(chi, ecg)


Münchner Lokalberichte 17 vom 22. August 1990, 6.

Überraschung

Jahr: 1990
Bereich: Militanz

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