Materialien 1990

Hippius

Der Münchener Mediziner Prof. Dr. Hippius hat im Auftrag des Bundesamtes für Zivilschutz nach neuen Medikamenten geforscht, mit denen Patienten in Paniksituationen ruhig gestellt werden können Die Versuche sollen an dreiunddreißig psychisch Kranken, insbesondere schizophrenen und depressiven Patienten durchgeführt worden sein. Die Humanistische Union hat die Staatsanwaltschaft München gebeten, den Sachverhalt unter strafrechtlichen Gesichtspunkten, insbesondere dem der gefährlichen Körperverletzung (§ 223 a StGB) zu prüfen Die Staatsanwaltschaft München hat das Ermittlungsverfahren nach länger als einem Jahr eingestellt. Die Humanistische Union hat gegen den Einstellungsbeschluss inzwischen Beschwerde eingelegt.

Unabhängig von dem Ausgang des Beschwerdeverfahrens gewährt der Einstellungsbeschluss schon heute tiefe Einblicke in die gegenwärtigen Formen medizinischer Forschung. Hippius ist Vorsitzender der Unterkommission „Verhalten in Belastungssituationen“ der aus achtzig Wissenschaftlern bestehenden „Schutzkommission“ bei dem Bundesminister des Inneren. Die wesentliche wissenschaftlichen Arbeit hat nicht Hippius, ein ärztlicher Multifunktionär, sondern die Ärztin Dr. Albus geleistet. Sie wiederum will das Projekt als Grundlage einer Habilitationsschrift nutzen. Die Zusammenarbeit mit der Schutzkommission erläutert Hippius so, dass nach einem Geldgeber gesucht werden müsse, wenn ein Forschungsvorhaben formuliert worden sei, da die Forschungsmittel der Universität nicht ausreichten. „Ob und inwieweit aus (den) Forschungsergebnissen dann Rückschlüsse für die weitere Arbeit der Schutzkommission oder des Bundesamtes für Zivilschutz oder sonstige Institutionen zu ziehen sein könnten, sei Sache der jeweiligen Institutionen oder Wissenschaftler“.

Geld regiert die Welt. Ein Wissenschaftsfunktionär besorgt das Geld, woher auch immer, eine junge Wissenschaftlerin leistet die Arbeit, um die Grundlage einer wissenschaftlichen Karriere zu legen. Nur die Verwertung der Ergebnisse liegt außerhalb der wissenschaftlichen Verantwortung.

Die Patienten sollen aufgeklärt worden sein. Hier ist interessant, dass im Einstellungsbeschluss für diese Behauptung kein deutsches Wort verwandt, sondern von einem „informed consent“ gesprochen wird. Früher war die Wissenschaftssprache der Medizin Latein, heute ist sie Englisch. Die Behauptung ausreichender Information der Patienten kann nicht stimmen. Selbst die Staatsanwaltschaft ist über die verabreichten Medikamente und den Wirkungen auch Nebenwirkungen uninformiert geblieben und hat es nicht einmal gemerkt. Der Einstellungsbeschluss enthält zu der objektiven Gefahr, in die sich die Patienten begeben hatten, kein Wort, sondern nur die Erklärung, die Patienten hätten keine Nebenwirkungen gespürt.

Hippius und die Staatsanwaltschaft geben zu, dass die Patienten über den Geldgeber und den Verwendungszweck nicht aufgeklärt seien. Diese Täuschung mache die Einwilligung der Patienten jedoch nicht unwirksam Die Staatsanwaltschaft: „Der Geldgeber und der Umstand, dass die Forschungsergebnisse möglicherweise auch anderen als rein therapeutischen Zwecken dienen sollen, kann je nach ideologischer Einstellung im Einzelfall zu einem Zwiespalt führen Jeder verständige Teilnehmer an einem solchen Test wird indes davon ausgehen, dass ein Geldgeber außerhalb der Universität vorhanden ist. Ferner muss jeder Teilnehmer eines solchen Versuches damit rechnen, dass wissenschaftliche Ergebnisse … einem nicht … überschaubaren Kreis zugänglich werden.“ Wissenschaftler und Staatsanwälte Hand in Hand als Vormünder der Patienten. „Verständige“ psychisch Kranke rechnen mit dem Schlimmsten. Die anderen, die sich nicht für eine Kriegsforschung hergeben wollen, sind Ideologen.

Ich muss zugeben, die KZ-Versuche an Patienten durch Ärzte waren weitaus gefährlicher und gewissenloser. Aber in der Grundeinstellung zur ärztlichen Ethik sehe ich keinen Unterschied. Die Staatsanwaltschaft beruft sich darauf, die Aufklärung der Patienten über Geldgeber und Verwendungszweck der Forschungen sei nicht vorgeschrieben. Ist der ärztlichen Ethik alles erlaubt, was nicht schwarz auf weiß verboten ist? So fällt die Kriegsforschung wie zufällig durch den Rost der Bestimmungen und niemand ist verantwortlich.

Die Humanistische Union wird nach Abschluss des Verfahrens auf eine Änderung des Arzneimittelgesetzes dringen.

Ulrich Vultejus


Mitteilungen der Humanistischen Union 134 vom Juni 1991, 24.

Überraschung

Jahr: 1990
Bereich: Psychiatrie

Referenzen