Materialien 1991

Schluss mit der Hexenjagd

Jeder in der Republik kennt mittlerweile die schwäbische Kleinstadt Memmingen. In einem § 218-Musterprozeß hat dort die bayerische Justiz ein Exempel statuiert unter der Devise: „Keine wirtschaftliche und soziale Lage kann so schlimm sein, dass es einer Schwangeren nicht zuzumuten ist, das Kind auszutragen.“ Die Presse sprach von einer regelrechten Hexenjagd auf Frauen, die des illegalen Schwangerschaftsabbruchs angeklagt waren.

Anders sieht es freilich die CSU-Staatsregierung in Bayern. Hartnäckig kämpfen die Herrschaften weiter für eine Verschärfung des § 218. Im März diesen Jahres reichten sie gar Normenkontrollklage beim Bundesverfassungsgericht gegen Teile des § 218 und 219 StGB ein. Ihre Philosophie: Notfalls kann ein Kind ja gleich nach der Geburt zur Adoption freigegeben werden.

Dass diese Haltung in den Ohren der Frauen wie Hohn klingt, ist verständlich. Denn ausreichende Hilfestellungen für Familien und Alleinerziehende mit Kindern sind weit und breit nicht in Sicht. Bei der Versorgung mit Kinderkrippen bildet Bayern das unrühmliche Schlusslicht in der Bundesrepublik. Für die 340.000 Kinder im Krippenalter stehen ganze 3.200 Krippenplätze zur Verfügung. Nicht einmal ein ganzes Prozent also!

Dass Kindergartenplätze fehlen, beklagt sogar die CSU selbst. Aber für ein vernünftiges Kindergarten- oder gar ein Hortgesetz hat es in Bayern immer noch nicht gereicht.

Darum geht es also den Frauen: Sie wollen selbstverantwortlich darüber entscheiden, ob sie ihr Kind austragen, und sie wollen vor allem sehen, dass in unserer Gesellschaft Kinder tatsächlich gewollt werden. Nur ein Teil des Engagements, das die konservativen Politiker jetzt in der Debatte um den Schwangerschaftsabbruch an den Tag legen, für eine kinderfreundliche Gesellschaft aufgebracht, würde uns schon reichen.

Weither mit der Hilfe ist es wirklich nicht. Auch die vollmundigen Erklärungen zur „Landesstiftung Mutter und Kind“ gehen an der Wirklichkeit vorbei. Finanziell ohnehin zu schlecht ausgestattet gibt es für Geld aus der Stiftung keinen Rechtsanspruch. Vor allem aber kann eine derartige Stiftung kein Ersatz für eine familienfreundliche Politik sein.

Was wir Frauen wirklich brauchen, ist Schutz vor Kriminalisierung. Der § 218 muss aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden. Dafür kämpfen die Frauen im DGB!

Walburga Steffan
DGB-Landesbezirk Bayern, Abt. Frauen


Freidenkerinfo. DFV Ortsgruppe München vom Januar – April 1991, 16.

Überraschung

Jahr: 1991
Bereich: Frauen

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