Materialien 1991
Schlägertrupp überfällt Gottschalks Privatsender
(Bild, 11. Februar 1991)
Was wirklich geschah:
Am Samstag, den 9. Februar 1991 wurde von einer Anzahl KriegsgegnerInnen der Radiosender XANADU besetzt. Die BesetzerInnen wollten durch eine friedliche Besetzung gegen die rigide Pressezensur durch die Medien protestieren.
Eine Sendung war vorbereitet, in der endlich die zu Wort kommen sollten, die der Krieg zwar hautnah betrifft, aber von den Medien größtenteils todgeschwiegen werden:
Ein Bundeswehrsoldat, der sich weigert, einem Einsatz in der Türkei oder anderswo Folge zu leisten. Ein Vertreter des Kurdistan-Komitees mit Berichten über den Widerstand der Bevölkerung im türkisch besetzten Teil Kurdistans, über die mangelhaften Schutzmaßnahmen und die neue Welle von Terror und Not, die der Golfkrieg über die Zivilbevölkerung bringt. Ebenso hätte sich die Frauenorganisation Scherazade zu Wort gemeldet, die für eine weltweite Abstimmung gegen den Golfkrieg eintritt.
Die BesetzerInnen betonten gegenüber den Mitarbeitern von Radio Xanadu, dass sich diese Aktion keinesfalls gegen deren Sender speziell richtete, sondern vielmehr sie sich gezwungen sahen, diese Form des Protestes zu wählen, da den KriegsgegnerInnen der Medienapparat so gut wie nicht zur Verfügung steht.
Die BesetzerInnen wollten keine Konfrontation mit dem Xanadu-Team. Nicht so die zwei im Studio anwesenden Discjockeys, die sofort eine Schlägerei anzetteln wollten und nur mit großer Mühe zu beruhigen waren. Dass sich dabei Mike A., wild um sich schlagend den Kopf am Türstock leicht verbeulte (von einer Platzwunde kann keine Rede sein), bedauern die BesetzerInnen. So und nicht anders wurde der Ablauf vom RTL-Fernsehteam festgehalten und vom AZ-Fotograf bestätigt.
Nachdem die BesetzerInnen feststellen mussten, dass Xanadu sich strikt weigert der vorherrschenden Zensur und Kriegspropaganda 20 Minuten authentische Berichterstattung entgegenzusetzen, haben sie die Radiostation verlassen und wollten ihren Protest abbrechen. Währendessen war sich das Xanadu-Team nicht zu Schade, sofort die Polizei zu verständigen und damit die Verhaftung von über 20 Personen zu veranlassen.
Doch in diesem Land versucht niemand ungestraft über die Wahrheit dieses Krieges zu berichten, über den täglichen Mord an Tausenden Menschen und die Verwüstung ihrer Lebensgrundlage. Ein Konvoi von Polizeiautos, VW-Busse und Dutzende von Polizisten hatten sich am Tatort eingefunden und verhinderten den Abzug der Demonstranten. Die einzelnen Polizisten wussten zwar nicht, um was es sich eigentlich handelt, aber eine Anweisung genügte, um wahllos Demonstranten und vor allem einfach Zuschauer zu jagen, auf sie einzuprügeln und sie teilweise mit Handschellen in das Polizeirevier in der Ettstraße zu verfrachten. Über sechs Stunden wurden sie verhört, ihre Fingerabdrücke abgenommen, fotografiert, vermessen und fein säuberlich registriert.
Eine Anzeige wegen Körperverletzung, Hausfriedensbruch und Nötigung wird in einigen Wochen ins Haus flattern und soll verhindern, dass KriegsgegnerInnen es jemals wieder wagen, auf die vorherrschende Kriegspropaganda mit einer spektakulären Aktion hinzuweisen.
Eine Kriegberichterstattung, die Not und Leid verschweigt, obschon bekannt ist, dass allein am ersten Kriegtag das fünffache der Bombenmenge, die Dresden im 2. Weltkrieg zerstörte, auf Ziele im Irak abgeworfen wurde. Eine Berichterstattung, die verschweigt, dass durch die Zerstörung von Giftgasanlagen, der chemischen Industrie, atomarer Anlagen und Raffinerien, das Wasser stinkt und verfärbt ist, die Luft verunreinigt und die landwirtschaftlichen Erzeugnisse nicht mehr gegessen werden können.
Die Zensur soll uns den Krieg schmackhaft werden lassen oder wenigsten vergessen lernen. „Den Vietnamkrieg haben wir durch die Presse verloren, in diesem wird uns das nicht passieren.“ So ein US-Militär am ersten Kriegstag. Peu a peu wird uns dann auch mal eine verkohlte Leiche im Frühstücksfernsehen präsentiert, dabei wird geheult und bedauert, weil es leider Bürgerpflicht ist, sich an Mord und Todschlag zu beteiligen.
Im Gegensatz dazu werden die Stimmen gegen den Völkermord tabuisiert und kriminalisiert und können ungestraft als „Schlägertrupps“ bezeichnet werden. Hetze in dieser Art hat schon einmal schreckliche Auswirkung gehabt. Erinnern wir uns an Rudi Dutschke und die anderen Opfer der Anti-Kriegsbewegung während des Vietnamkriegs.
Wir müssen uns davor hüten, wieder ohne Protest zuzulassen, dass mit Verhaftungen und Zeitungsschmierern, die das Halali auf die Friedensbewegung blasen, jeglicher Protest kriminalisiert und somit im Keim erstickt wird.
Um die notwendige Verteidigung der KriegsgegnerInnen zu ermöglichen und die anfallenden Prozesskosten zu decken, benötigen wir dringend Spenden. Gespendet werden kann auf folgendes Sonderkonto: Werner Ströhlein, Sonderkonto Reseve, Ktonr.: 248811-808, Postgiroamt München, BLZ 70010080.
V.i.S.d.P.: W. Kral, Schilfweg 13, 8038 Gröbenzell. E.i.S.
Flugblattsammlung, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung.