Materialien 1991

Freie Theater in München

Die Stadt will den kleinen Etat nun auch noch kürzen

Der Hintergrund: Die Stadt München ist pleite. Deswegen muss die Stadt München sparen.
So verlautete es vor einigen Wochen aus dem Rathaus, und der SPD-Oberbürgermeister Georg Kronawitter schrieb an Sepp Rauch, den Vorsitzenden der Münchner IG Medien: „Es werden alle Bereiche mehr oder weniger betroffen sein. Auch der Kulturbereich wird nicht ganz ausgenom-
men werden können.“

Mit der Floskel „nicht ganz ausgenommen“ umschrieb Kronawitter von ihm selbst eingebrachte radikale Einsparungsvorschläge: Der Etat des Münchner Volkstheaters sollte von jährlichen sieben Millionen auf vier Millionen Mark gekürzt, die Restaurierung der Schauburg, Spielstätte des Thea-
ters der Jugend, gestoppt werden. Der Verkauf des zentral gelegenen Schauburg-Grundstücks sollte das städtische Finanzloch stopfen helfen, das Theater der Jugend zukünftig durch Turnhal-
len tingeln. Und schließlich sollte der ohnehin knapp bemessene jährliche Zuschuss zur freien Theaterarbeit von drei auf zwei Millionen Mark gekürzt werden.

Jörg Hube, Leiter der Otto-Falckenberg-(Schauspiel-)Schule : „Öffentlich finanzierte Spielräume preiszugeben, heißt auch ein Stück demokratischer Kultur verwerfen. Niemand verfiele darauf, bei Geldmangel die Lebensmittelkontrolle abzuschaffen oder sich nicht mehr den Schritt zu waschen, mit dem Hinweis, er putze sich zweimal täglich seine gesunden Zähne. Volkstheater und Theater der Jugend sind kein Luxus, sondern notwendige gesellschaftliche Einrichtungen, die zu behindern oder abzuschaffen nicht nur eine kultur- sondern auch eine sozialpolitische Absurdität und Materialismus unglückseligster Art ist.“

Erschreckt reagierten die InitiatorInnen der Sparbeschlüsse im Münchner Rathaus auf die harschen Proteste. Die SPD-Fraktion zog die Beschlüsse ungeachtet der Haltung ihres Ober-
bürgermeisters zurück. Die Grünen lenkten ein. Die CSU-Opposition, die während ihrer Regierungszeit die Finanzmisere der Stadt vorbereitet hat, bekam die Chance, sich in der Öffentlichkeit als Kulturmäzen zu profilieren.

Wenig Beachtung fanden in der allgemeinen Empörung die Kürzungen im Bereich der freien Theater – professionellen Theatern, die sich unabhängig von der öffentlichen Hand gebildet haben.

Von der Arbeit in der freien Szene kann kaum jemand leben. In diesem Jahr steht ein öffentlicher Topf von drei Millionen Mark für freie Theater zur Verfügung. Vierzig von insgesamt rund 170 Privattheatern und freien Gruppen kommen in den Genuss der Förderung. Dabei erhalten einige freie Gruppen ohne eigene Produktionsstätte Projektförderung. Feste Bühnen sind durch die engen Förderungsrichtlinien gezwungen, sich mit Kommerziell verwertbaren Stücken wenigstens ein Eckchen vom Förderungsetat zu ergattern. Keine Experimente – Klassiker sind angesagt. Das lockt noch die eine oder andere Schulklasse an. Rund 40.000   Mark gehen als jährlicher Betriebsko-
stenzuschuss an jede feste Spielstätte. Hinzu kommen qualitätsabhängige Prämien für Produktionen.

Viele Schauspielerinnen der freien Theater bekommen pro Vorstellung gerade mal zehn bis fünfzig Mark ausgezahlt. An einer Hand sind die freien Münchner Bühnen abzuzählen, die eine feste Abendgage von über 100 Mark zahlen. Für die sechs- bis achtwöchige Probenzeit bekamen die Schauspielerinnen lange Zeit keinen Pfennig. Erst allmählich setzte sich bei den Theaterbe-
treiberinnen die gewerkschaftliche Forderung durch, eine Pauschale von 500 bis 1.000 Mark für die gesamte Probenzeit zu bezahlen. Die schlecht bezahlte Probenzeit gilt als eine Art Vorleistung auf den zu erwartenden schlechten abendlichen Verdienst aus den Vorstellungen – eben jene zehn bis fünfzig Mark.

Der Konkurrenzdruck in einer Szene wie München ist groß. Da steht die Angst im Raum: Wenn du klagst, bist du in München tot. In Diskussionen schwingt aber noch ein anderer Faktor mit: Wir sitzen alle in einem Boot – BesitzerInnen von freien Bühnen und SchauspielerInnen. „Wir würden ja gern mehr zahlen“, versichern TheaterbetreiberInnen immer wieder. „Sie können ja nicht mehr zahlen“, lenken die unterbezahlten SchauspielerInnen ein. Verträge, Regelungen – und vor allem Klagen – knebelten die künstlerische Freiheit, argumentieren viele.

Jai Lybel ist Schauspielerin, Vorsitzende der Betriebsgruppe freie Theater München, hat für die nächsten sechs Monate einen festen Vertrag: „Ich werde nie verstehen, dass sich Schauspieler,
die am Existenzrand stehen, die Gedanken der Unternehmer machen.“
Gemeinsam mit ihren Kolleginnen und einem Rechtsanwalt erarbeitet sie zur Zeit einen Mustervertrag. Daraus geht eindeutig hervor, wer ArbeitnehmerIn und wer ArbeitgeberIn ist. Die Finanzierung der Theater
ist für sie eine gesellschaftspolitische Aufgabe. „Die Bezuschussung der freien Theater muss an
die Verpflichtung gekoppelt werden, dass Schauspieler und Schauspielerinnen sozialversichert werden.“

Das klappt in keinem Fall, wenn der Etat für freie Theater weiterhin so gering bemessen wird – und vor allem so lange nicht, wie die Finanzierung der freien Theater die Form einer freiwilligen Leistung der öffentlichen Hand bleibt.

Veronika Mirschel


Publizistik & Kunst. Zeitschrift der IG Medien 12/1991.

Überraschung

Jahr: 1991
Bereich: Kunst/Kultur

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