Materialien 1992
Demokratie, Wahlen und die Folgen
IG Medien im allgemeinen und Jutta Ditfurth im besonderen
Es gibt ein Problem. Das Unglück hat mit der wohl als politische Großtat gedachten Entscheidung argloser Delegierter begonnen, Jutta Ditfurth in ein hervorgehobenes Gewerkschaftsamt zu wählen. Ich kann sie als Politikerin respektieren, ich spreche ihr aber jede Eignung dafür ab, Journalistinnen und Journalisten zu repräsentieren und für sie nutzbringend zu arbeiten.
Wie im Brennglas ist das Problem in Jutta Ditfurths letztem Buch „Feuer in die Herzen“ (Carlsen Verlag, Hamburg, September 1992) zu besichtigen. In dieser (inhaltlich streckenweise faszinieren-
den) Sammlung von Aufsätzen, Artikeln und Reden bedient sich die Autorin über weite Strecken einer Sprache, die eine Journalisten/Journalistinnen-Vorsitzende einfach nicht führen kann. Das ganze Buch durchzieht der Begriff „faschistisch“ in allen Abwandlungen in einer erschreckend unhistorischen, undifferenzierten, inflatorischen Weise. Gentechnologische Probleme in der Arbeitswelt, sicher schwerwiegend und eine deutliche Sprache fordernd, werden, das Bild der
Züge in die KZs aufnehmend, als „Selektion an der Rampe zum Arbeitsplatz“ bezeichnet (S. 42 ff.). Das ist die Verbreitung einer Auschwitz-Lüge anderer Art.
Ich habe, als ich gestern einen Gewerkschaftsaufruf zur Wiederkehr der Reichspogromnacht unterzeichnete, auch nicht das Gefühl gehabt, dass durch solche „DGB-Anzeigen gegen (!) Ausländerfeindlichkeit … rassistisches Bewusstsein auch noch stabilisiert“ wird (S. 301 f.),
bloß weil auf die Unentbehrlichkeit der Fremden hingewiesen wird.
Ich weiß ferner nicht, welche Satzungsänderungen im DGB für 1995 diskutiert werden, „die den Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit tatsachenwidrig aufheben und die Kollaboration mit staatstragenden Parteien und dem Kapital ganz offiziell einleiten soll“ (S. 251).
Ich meine auch nicht, dass folgendes wahr ist: „Die DGB-Spitze unterläuft die Kampffähigkeit
der Gewerkschaften bereits heute etwa damit, dass der DGB-Vorsitzende Meyer (SPD) sich für Kampfeinsätze der Bundeswehr unter UN-Hoheit ausspricht“ (S. 251 f.).
Ich halte es schließlich für unanständig, dass eine Journalisten-Vorsitzende, über die auch journalistisch, also als Kollegin tätige Antje Vollmer ohne jede Beweisführung, aber mit umso größerem, in gemeinsamen Grünen-Zeiten gewachsenen Hass schreibt: „Antje Vollmer macht
das Bündnis mit den ÖkofaschistInnen zu ihrer politischen Angelegenheit“ (S. 152) und ihr „ideologische Berührungspunkte mit rechtsextremistischen Positionen“ (S. 162) unterstellt.
Wie sollen wir auf Seminaren, wie soll ich in der Münchner Journalistenschule und der Bayerischen Presseakademie mit jungen Kolleginnen und Kollegen über die Verwilderung von Sprache reden und was man dagegen tun muss; wie sollen wir glaubwürdig die sprachlichen Exzesse von Politikern gegen Flüchtlinge und Asylsuchende in den Medien zurückweisen, wenn eine solche Kollegin an unserer Spitze steht?
Ich trage das nicht mehr mit, weil natürlich die Vermengung persönlicher Arbeit und Gewerkschaftsfunktion im vollen Gang ist. Zudem hat die Debatte auf dem Gewerkschaftstag in Augsburg in Sachen Meyer/Kampfeinsätze gezeigt, wie eine Mediengewerkschaft, angeheizt von solchen Konfliktstrateginnen, bundesweit als Hort der Meinungsfreiheit diskreditiert werden kann – auch bei mir und bei Kolleginnen und Kollegen, die Meyers Position inhaltlich ablehnen.
Was müsste, legt man die Augsburger Maßstäbe zugrunde, nach dem oben Dargelegten eigentlich mit Jutta Ditfurth geschehen? Aber das ist nicht mein Problem. Ich habe nach fast 20jähriger Mitgliedschaft meinen Austritt aus der IG Medien erklärt.
Michael Stiller, München
Publizistik & Kunst. Zeitschrift der IG Medien 12 vom Dezember 1992, 4.