Flusslandschaft 1992

Gewerkschaften/Arbeitswelt

Allgemeines
DGB

- Bayerischer Rundfunk
- Bundespost
- Deckel
- Digital Equipment
- Dresdner Bank
- Eurosil
- Halmburger & Höflich
- Isar-Wellpappe
- Öffentlicher Dienst
- Polizei
- Siemens
- Zeitungen


Immer häufiger sind Arbeitnehmer in der Nacht beschäftigt. Die Gewerkschaften fordern ein gesetzliches Verbot von Nachtarbeit mit zwei Ausnahme: Gesellschaftliche Gründe wie Kranken-
pflege, Polizei, Feuerwehr, Energie- und Wasserversorgung, Verkehr, Gaststätten, Theater und wenn die Produktion aus zwingenden technischen Gründen nicht unterbrochen werden kann.1

Wer wird wie ausgewählt, um in einer Gewerkschaft eine führende Position einzunehmen?
Wer innerhalb der personalpolitischen Stützpfeilersysteme langfristig die Ochsentour vollzieht, erklimmt ohne größere Friktionen Schritt für Schritt seine Posten in den hierarchisch aufeinander aufgebauten Ebenen. Wer von außen einsteigt, vom Profil her dem Funktionärscharakter nicht entspricht und dann noch eine Frau ist, hat es schwer und wird mit Protesten konfrontiert.2

Siehe auch „Armut“ und „Rechtsextremismus“.

DGB

Das Motto zum Ersten Mai lautet „München: Herz allein genügt nicht“. Hauptredner auf dem Marienplatz ist Fritz Schösser. Mitglieder der Aktion Lebensqualität3 gehen häufig in öffentlich zugängliche Veranstaltungen und stellen kritische Fragen: „… An der Mai-Kundgebung des DGB auf dem Marienplatz nehmen inzwischen nur noch 2.000 Menschen teil. Kurden und Türken bilden die Mehrheit der Demonstranten. Die deutschen Gewerkschafter gehen bedrückt wie in einer Prozession. Christliche Gewerkschaftskollegen führen das Symbol ihrer Schutzpatronin, die Hl. Jungfrau Maria, mit. Die Stimmung ist entpolitisiert. Da das Thema Arbeit anscheinend nicht mehr zieht, wird jetzt ein ‘Familienfest’ gemacht. Dabei wäre das Thema Leiharbeiter hochakut. Sie kommen aus Ungarn, Irland und der ehemaligen DDR, wohnen in Containern rund um die Fabrik und werden jeweils für 1 Woche beschäftigt. In einer Extrahalle machen Afrikaner die Dreckarbeit. Ihre Verträge werden von Subunternehmern abgeschlossen. Warum spricht auf der Mai-Kundge-
bung kein Arbeiter?“4

„An den DGB-Kreis München – München, 3. August 1992 – Lieber Kollege Dittrich, Betriebsrat, Vertrauenskörper und Belegschaft der Firma Knorr-Bremse AG München protestieren schärfstens gegen die Äußerungen von DGB-Chef Heinz-Werner Meyer in Bild am Sonntag. Es ist für uns unverständlich, dass sich Kollege Meyer für einen Kampfeinsatz der Bundeswehr außerhalb der Bundesrepublik ausspricht. Unser oberstes Ziel war immer die Einhaltung des Friedens. Dutzende Male haben wir uns auf Demonstrationen, die von Gewerkschaften organisiert waren, dafür eingesetzt, dass unsere Kinder nicht mehr im Krieg geopfert werden. Diese Äußerungen des Kollegen Meyer waren ein Schlag ins Gesicht aller Kollegen. Das lässt die Basis sich nicht bieten. Hat Kollege Meyer schon vergessen, dass es immer die Söhne der Arbeiter und Angestellten waren, die sinnlos geopfert wurden? Wir fordern den Kollegen Meyer auf, diese Äußerungen sofort zurückzunehmen oder zurückzutreten. Mit Menschen, die so denken, wollen wir nichts zu tun haben. – Betriebsrat und Vertrauenskörper der Knorr-Bremse AG.“5

BAYERISCHER RUNDFUNK

Der Bayerische Rundfunk erspart seinen freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Weihnachtsgratifikation. Dies löst Unmut aus.6

BUNDESPOST

„Post-Privatisierung: Was sagen Sie dazu? »Ich halte nichts davon. Ich bin im Schalterdienst beschäftigt, und hier soll es ja gravierende Veränderungen geben. Kleine Postämter sollen dann angeblich dem privaten Markt angeboten werden. Was wird dann mit unseren Arbeitsplätzen?« Monika Winter-Wessely, Schalterdienst, Postamt München 2.“7

Die Deutsche Postgewerkschaft (DPG) fordert 9,5 Prozent mehr Lohn und Gehalt plus 550 DM mehr Urlaubsgeld. Am 24. April beginnt nach dem Scheitern der Tarifverhandlungen bundesweit der Streik bei der Deutschen Bundespost. „Wenn 70 Post-Lkw und eine DGB-Kundgebung aufeinandertreffen, entsteht ein Verkehrschaos. So geschehen am 7. Mai vor dem Münchener Briefpostamt 4. Um keine unbeteiligten VerkehrsteilnehmerInnen gegen die Streikenden aufzubringen, ließen die Streikposten vor der Lkw-Schranke des Postamtes neben den beamteten auch alle anderen Lkw-Fahrer auf dem Posthof parken oder ihre Wagen beim Paketpostamt 3 in der Nähe abstellen. Die Fahrer schlossen sich den Streikenden an. Schlüssel, Tresorschlösser und Ladepapiere übergaben sie ,einer Person ihres Vertrauens’ – dem Arbeitskampfleiter. Schließlich wollten sie später nicht für Schäden an der Ladung belangt werden. Die Beamten der Oberpost-
direktion (OPD) nannten diese ,Sicherheitsverwahrung’ jedoch Diebstahl. Im allgemeinen Trubel konnte der Streikleiter erst am späten Abend den Versuch unternehmen, Schlüssel und Papiere wieder loszuwerden. Den Vorwurf, er habe die Lkw gestohlen, hatte er noch im Ohr und bestand auf postalischen Empfangsbestätigungen. Dazu war niemand in der OPD bereit. Die Lkw blieben auf den Posthöfen stehen. Die ordnungsgemäße – schriftlich bestätigte – Übergabe jedes einzelnen Schlüssels zog sich den ganzen darauffolgenden Vormittag hin. – Auf die Idee, die Lkw auf den Posthöfen zu parken, war übrigens ein besonders schlauer Verwaltungsvertreter gekommen.“8

DECKEL

Der Werkzeugmaschinenbau war bis jetzt ein bundesdeutscher Exportschlager. Hier hat in den letzten Jahren die Automation viele Facharbeiter ersetzt. Ganz offensichtlich führte diese Entwicklung in eine Sackgasse und befördert die gegenwärtige Krise: „… Bei der Münchner Firma Deckel, jahrzehntelang ein Synonym für den hohen Qualitätsstandard von Werkzeugmaschinen ,made in Germany’, hatte die Talfahrt schon früher begonnen, ausgelöst durch ein Familien-Management mit verkrusteten Strukturen. Der erste Sanierungsversuch stand unter dem Motto ,Fortschritt durch High-Tech’. Resultat: 600 hochspezialisierte, computergesteuerte Bearbeitungs-
zentren füllten das Deckel-Lager und wurden schließlich verschleudert, wenn nicht gar ver-
schrottet. Der Vorstandsvorsitzende wurde gewechselt – die Rechnung der Belegschaft präsentiert: Standorte wurden verkauft oder stillgelegt, die Arbeitsplätze im Münchner Stammhaus drastisch reduziert.

Als vor einem Jahr der aus der Baumaschinenbranche kommende Walter Eder, der kurz zuvor die Wanderer Maschinen GmbH übernommen hatte, als Hauptaktionär bei Deckel einstieg, war das Damoklesschwert eines drohenden Konkurses gebannt: Unter Eders Regie wurde jetzt auch der Kapitalschnitt von 5:1 durchgeführt, den die Hauptversammlung Anfang Dezember noch absegnen muss. Für die Zukunft nicht minderbedeutsam aber ist, dass Eder sich das ehrgeizige Ziel eines deutschen Werkzeugmaschinenverbunds gesetzt hat.

Der erste Schritt: eine Kooperation mit dem gleichfalls stark angeschlagenen Unternehmen Gildemeister in Bielefeld, das auf Drehmaschinen spezialisiert ist und mit dem ein weltweit operierendes Vertriebsnetz als gemeinsame Tochterunternehmen aufgebaut wird. Während Eder sich den Titel einer deutschen Werkzeugmaschinenbau-Holding bereits registergerichtlich schützen ließ, überlässt er die Formulierung seiner ‚Vision’ weitgehend dem Deckel-Vorstands-
vorsitzenden Peter-Jürgen Kreher. Der betonte dann auch, dass die Kooperation mit Gildemeister nicht Ende, sondern Anfang der Fahnenstange sein solle. Und auch die Deutsche Bank, Haupt-
gläubiger der tief ins Minus gerutschten Branche, lässt über ihren Unternehmensberater Roland Berger auf Kooperation drängen. Als Angstmacher auch für die Beschäftigten soll die ,japanische Herausforderung’ wirken.

Deckel-Chef Kreher will die Münchner Belegschaft im kommenden Jahr auf 600 reduzieren – und den Umsatz von derzeit 500 Millionen auf 1,5 Milliarden steigern. In den bereits jetzt erschreckend dünn besetzten Deckel-Hallen reden sich die hochqualifizierten Arbeiter vorwiegend mit dem Titel ,Ausscheider’ an.“9

DIGITAL EQUIPMENT

Der weltweit zweitgrößte Hardware-Hersteller Digital Equipment kommt ins Trudeln. Die Konkurrenz und der Verdrängungswettbewerb sind mörderisch. Von bundesweit 4.600 Arbeitsplätzen will der Betrieb fünfhundert abbauen, weltweit sollen 15.000 Arbeitsplätze wegfallen. Seit Anfang des Jahres hat sich die Mitgliederzahl der IG Metall bei Digital verdreifacht. Der Gesamtbetriebsrat versucht einen Haustarif mit sozialem Standard und Rationalisierungs-
schutz durchzusetzen.10

DRESDNER BANK

Die Gewerkschaft Handel – Banken – Versicherungen (HBV) ruft zum Streik: „Banker im Bierkel-
ler – Wer immer noch glaubt, Yuppie-Outfit sei für den aufrechten Arbeitnehmer-Gang hinderlich, der konnte sich Anfang März in München beim Streik der Dresdner-Bank-Belegschaft vom Gegen-
teil überzeugen: Die 700, die zwei Tage lang den zum Streiklokal umfunktionierten Augustiner-
Bierkeller
füllten, waren vorwiegend in italienische Jacketts oder Seidenblüschen gehüllt, trugen Föhn-Frisuren und siezten sich sogar gelegentlich. ,Den Streikaufruf der HBV wird hauptsächlich das Küchenpersonal befolgen, wir rechnen nicht mit Störungen im Kundenverkehr’, hatte das Management noch tags zuvor gegenüber Journalisten getönt.

Tatsache ist: Von den etwa 45 Filialen im Münchner Raum musste die Dresdner Bank am ersten Streiktag 25, am zweiten Streiktag gut 50 zusperren, weil außer den Filialleitern niemand zur Arbeit erschien. In der Wertpapierabteilung, die täglich Börsenorders in Millionenhöhe abwickelt, waren lediglich die Direktoren zurückgeblieben, im Rechenzentrum der Münchner Verwaltung hatten sich komplette Schichten am Streik beteiligt – und jede/r fünfte Mitstreikende war nicht gewerkschaftlich organisiert. ,Ich halte die Aktion für richtig, wir wissen schließlich über die Erträge der Banken Bescheid. Und einen gewissen Ausfall beim Gehalt kann ich dafür ver-
schmerzen – auf Streikgeld bin ich nicht angewiesen’, sagte ein Bankangestellter.

Vom Outfit mal abgesehen: Die Streik-Premiere der Dresdner Bank Anfang März lief ab wie überall, wo Menschen ihre Angst überwinden: ,Gestern hamma noch glaubt, mir san bloß zu zwoat. Und jetzt samma zehne’, riefen die Banker der Filiale Passau, als sie etwas verspätet ins Münchner Streiklokal einzogen – lachend und stolz auf die eigene Kraft. Nach acht Wochen Streik der Bank-
angestellten wird jetzt über das Verhandlungsergebnis abgestimmt: 5,4 Prozent mehr Gehalt plus Sonderzahlungen von 500 und 350 Mark sowie der 31. Dezember arbeitsfrei. Nach Berechnungen der Gewerkschaft HBV ein Abschluss im Volumen von 6,4 Prozent.“11

EUROSIL

Eurosil in Eching fertigt Silicium-Halbleiter. Der Betrieb gehört je zur Hälfte der Deutschen Aerospace AG (DASA) und der Telefunken microelectronic GmbH (Temic). Die Produktion soll Mitte 1993 „wegen zu hoher Personalkosten“ nach Hongkong verlagert werden; die 260 Arbeitsplätze sind bedroht.

HALMBURGER & HÖFLICH

„Halmburger & Unhöflich: Die Münchner Fiat-Werkstatt Halmburger & Höflich soll jetzt vom Arbeitsgericht zur Zulassung einer Betriebsratswahl gezwungen werden, nachdem Firmenchef Karl Halmburger vier seiner Beschäftigten, die einen Termin zur vorbereitenden Betriebsversammlung hatten, unter fadenscheinigem Vorwand rausschmeißen will. Die vier Kollegen, alle langjährig beschäftigt, setzen sich mit Rechtsschutz der IG Metall zur Wehr. Darüber hinaus hat die Verwal-
tungsstelle München mittlerweile beim Arbeitsgericht die Einsetzung eines Wahlvorstands bean-
tragt – und behält sich Strafanzeige gegen den Firmenchef wegen Behinderung der Betriebsrats-
wahl vor. Die rund 60 Beschäftigten in dem Münchner Kfz-Betrieb werden deutlich unterhalb der Tarifsätze entlohnt.“12

ISAR-WELLPAPPE

Nach einigen Streiks erringen die Arbeiterinnen und Arbeiter bei Isar-Wellpappe eine bessere Betriebsvereinbarung zur Ausgestaltung der übertariflichen Zulage.13

ÖFFENTLICHER DIENST

Die Gewerkschaft Öffentlicher Dienst, Transport und Verkehr (ÖTV) organisiert vom 27. April bis 7. Mai einen Streik im öffentlichen Dienst. Zunächst findet das den Arbeitgebern abgerungene Tarifergebnis die Zustimmung der Mehrheit der bayrischen ÖTV-Kreisverwaltungen, aber sowohl die abrupte Beendigung des Streiks wie auch die bundesweite Entscheidung der Führung, es
trotz der hohen Streikbereitschaft der Mitglieder anzunehmen, führen zu heftigen Debatten. Das Ergebnis des Tarifabschlusses ist 5,4 Prozent mehr Lohn und Gehalt für Arbeiter und Angestellte. Besondere Verärgerung löst bei den im Streik befindlichen Betrieben des öffentlichen Personen-
nahverkehrs aus, dass sie nach der vorläufigen Unterbrechung zum „Tag der Arbeit“ nicht mehr
in die Arbeitskampfmaßnahmen einbezogen sind. Der Kreisjugendausschuss mobilisiert die Mitglieder der ÖTV-Jugend München für den sechstägigen Streik an der Krankenpflegeschule Schwabing und einen zweitägigen Streik in der Ausbildungsstätte der Stadtwerke München. Vor und während des Streiks treten etwa neunhundert Jugendliche in die ÖTV ein.

POLIZEI

„Rote Karte für Edmund – Unruhe, aber ordentlich: Rund zehntausend Polizeibeamte in Uniform, mit Trillerpfeifen und Transparenten waren am 27. März durch die Münchner Innenstadt zu einer Protestkundgebung gezogen. Dem obersten Ordnungshüter im Freistaat, Innenminister Edmund Stoiber, schrillten die Ohren. Die Polizeibeamten aus Bayern, unterstützt von Delegationen aus sämtlichen Bundesländern, waren einem Aufruf der GdP (Gewerkschaft der Polizei im DGB) gefolgt und hatten für leistungsgerechte Bezahlung, bessere Arbeits- und Ausbildungsbedingungen demonstriert. Als Stoiber auf der Kundgebung sein mit dem Beamtenbund ausgemauscheltes Konzept zur Ausweitung des höheren Polizeidienstes propagieren wollte, pfiffen ihn die zehntau-
send nieder: ,Stoiber heißt er – uns bescheißt er’, und dazu schwenkten die grünen Uniformträger die ,Rote Karte für Edmund’.“14

„CSU-Stoiber ,zutiefst enttäuscht’ – Edmund Stoiber, bayerischer Innenminister, ist beleidigt: Weil ihm auf der größten Polizisten-Demo der Bundesrepublik, mit der die Gewerkschaft der Polizei Mitte März auf dem Münchner Odeonsplatz für eine verbesserte Laufbahn und Ausbildung ange-
treten war, reichlich ,Rote Karten für Edmund’ entgegengehalten worden waren, hält Stoiber nun ein Sachgespräch mit dem bayerischen Gewerkschaftsvorsitzenden Günter Sommermann ,für wenig zweckdienlich’. Die Pfiffe und Sprechchöre, die Stoiber von den Demonstranten in Uniform zu hören bekam, sind noch Stoibers Ansicht allesamt auf ,von Einpeitschern geschürte Emotionen’ und ,zutiefst undemokratische Einstellung’ zurückzuführen. Denn merke: Was Demokratie ist, möchte in Bayern allemal noch der größte Ordnungshüter aller Zeiten bestimmen. Und wer da glaubt, demokratische Rechte selbst in Anspruch nehmen zu dürfen, von dem ist Stoiber ,zutiefst enttäuscht’.“15

SIEMENS

„Spontaner Streik bei Siemens – Bis zur beschlossenen Verlagerung der Produktion ins österreichische Villach Ende 1994 sollen in den Fertigungsfluren am Münchner Siemens-Standort Balanstraße noch möglichst viele Chip-Scheibchen produziert werden: Am Morgen des 9. April standen die Flure jedoch fünf Stunden lang leer. Nachtschicht und Frühschicht hatten die Arbeit niedergelegt und beteiligten sich an einer Kundgebung der IG Metall gegen die beabsichtigte Vernichtung von 2.000 der bislang noch 4.000 Arbeitsplätze am Standort. ,Wir wollen Arbeits-
plätze – keinen Sozialplan’, stand auf den Transparenten. Der Betriebsrat verhandelt seit Monaten mit dem Ziel, betriebsbedingte Kündigungen zu verhindern und statt dessen Ersatzarbeitsplätze, einen Beschäftigungs- und Qualifizierungsplan anzubieten. Bisher ohne Ergebnis. Der Münchener IG Metall-Bevollmächtigte Harald Flassbeck kündigte an: ,Dies ist erst der Anfang von Aktionen. Wir lassen nicht zu, dass Siemens sich aus der Verantwortung stiehlt.’“16

Ende September ziehen etwa hundert Siemensianer vom Standort Balanstraße vor die Hauptverwaltung am Wittelsbacherplatz und protestieren gegen die „Alternative“, entweder Auflösungsvertrag oder Kündigung. „Mit dem Druck auf einzelne Beschäftigte, das empört
die betroffene Belegschaft besonders, will Siemens offenbar auch den wenige Tage zuvor abgeschlossenen Interessenausgleich unterlaufen. In dieser Vereinbarung hatte Siemens sich verpflichtet, sich zunächst um Ersatzarbeitsplätze für die durch Produktionsverlagerung überflüssig werdenden Stellen zu bemühen. Ferner sollten Qualifizierungsmaßnahmen und Versetzungen eindeutig den Vorrang vor betriebsbedingten Kündigungen haben. Doch die Tinte unter diesem Vertrag war noch nicht trocken, als die Beschäftigten vor allem der unteren Lohngruppen die Daumenschrauben angelegt bekamen.“17

ZEITUNGEN

Zwischen Mai und Oktober kommt es immer wieder zu Streiks bei den Münchner Zeitungsausträgerinnen und -trägern. Dabei spielt Maria Mandlinger eine zentrale Rolle.18

„Zusteller-Streik in München – Seit Mai streiken in München die Zeitungsträger: nicht überall, nicht täglich, aber wirkungsvoll. Der Grund: Die Männer und Frauen wollen für ihren Job einen Tarifvertrag, der ihnen einen angemessenen Lohn sichert und sie in sozialen Belangen mit den festangestellten Beschäftigten gleichstellt. Verlage und Vertriebsgesellschaften lehnen bislang jede Verhandlung ab und setzen Streikbrecher ein, um ihre Produkte an den Abonnenten zu bekom-
men. Mit unübersehbaren Folgen: Die streikenden Zusteller und Zustellerinnen müssen ihre Schlüsselbunde und Tourenbücher abgeben. Diese Bücher aber beinhalten sensible Daten über die Kunden: Name, Adresse, Stockwerk, Zeitung und abwesenheitsbedingte Abo-Unterbrechung – zum Beispiel wegen Urlaub. Gelangen diese Daten in die falschen Hände, schließt die Münchener IG Medien einen Missbrauch nicht aus. Das sehen die Arbeitgeber nicht so. Sie wollen einen Tarifvertrag auf jeden Fall verhindern. Willi Baumann, Landesvorsitzender der IG Medien in Bayern: ,Es gibt Anzeichen dafür, dass die bayerischen Zeitungsverleger keine freie Hand für Tarifverhandlungen haben, da der Bundesverband der Zeitungsverleger nicht zulassen will, dass irgendwo in der Bundesrepublik ein entscheidender Durchbruch erzielt wird.’ Deshalb geht der Arbeitskampf weiter.“19

20
Streikposten (rechts), Streikbrecher (links): Der Kampf geht weiter.

Die Münchner Zeitungszustellerinnen und -zusteller streiken bis 1993 für einen Tarifvertrag. Um diesen zu verhindern, wird die Zustellgesellschaft (BZG) in zahlreiche Einzelbetriebe teilweise noch mit Subunternehmen unter der Federführung der Süddeutschen Zeitung zerschlagen. Gleichzeitig erfolgen Gehaltsaufbesserungen, um die Streikwelle zu brechen. Dann bleibt das Gehaltsniveau 17 Jahre lang auf gleicher Höhe.


1 Siehe „Leben gegen die Uhr“ von Jürgen L. Groß.

2 Siehe „Demokratie, Wahlen und die Folgen“ von Michael Stiller.

3 Siehe „Der Kaiser ist ja nackt!“.

4 Kritik ist unerwünscht: 20 Beispiele für die Gegenaufklärung In: der zeitgenosse 3. Kulturprogramm der Aktion Lebensqualität 1992, Flugblattsammlung, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung.

5 Archiv der Münchner Arbeiterbewegung. Siehe „Werter Kollege Meyer“ von Christian Stupka.

6 Siehe „Weihnachtsüberraschung im BR“.

7 Deutsche Post. Zeitschrift der Deutschen Postgewerkschaft 2 vom Februar 1992, 6.

8 Deutsche Post. Zeitschrift der Deutschen Postgewerkschaft 5 vom Mai 1992, 12.

9 Hannelore Messow: „Spielball der Banken“ In: Metall. Zeitung der Industriegewerkschaft Metall 23 vom 23. November 1992, 15.

10 Siehe „Notfalls Streik für Tarifvertrag“ von Hannelore Messow und „Erfolg mit dem richtigen Partner“ von Hannelore Messow 1993.

11 Metall. Zeitung der Industriegewerkschaft Metall 8 vom 21. April 1992, 12 f.

12 Metall. Zeitung der Industriegewerkschaft Metall 24 vom 4. Dezember 1992, 20 (07).

13 Siehe „Isar-Wellpappe: Ein Betriebsrat nutzt seinen Gestaltungsspielraum“.

14 Metall. Zeitung der Industriegewerkschaft Metall 8 vom 21. April 1992, 12.

15 Metall. Zeitung der Industriegewerkschaft Metall 9 vom 4. März 1992, 6.

16 Metall. Zeitung der Industriegewerkschaft Metall 8 vom 21. April 1992, 18.

17 Metall. Zeitung der Industriegewerkschaft Metall 20 vom 2. Oktober 1992, 23.

18 Siehe „Maria Mandlinger“ von Brigitte Huber.

19 Metall. Zeitung der Industriegewerkschaft Metall 18 vom 4. September 1992, 7.

20 Foto: argum