Materialien 1992
Weihnachtsüberraschung im BR
Weihnachten ist bekanntlich das Fest der Überraschungen. Eine solche bringt vor allem dann Freude, wenn der oder die Beschenkte nun wirklich nicht damit gerechnet hatten. Eine wahre Überraschung in diesem Sinn bereitete heuer der Bayerische Rundfunk seinen freien Mitarbeiter/innen, und zwar rechtzeitig zur Weihnachtszeit. Wer jetzt dahinter eine Geldspende des Hauses vermutet, liegt falsch. Wer wird schon so materiell denken! Der BR zumindest nicht, im Gegenteil. Die Überraschung ist eher ideeller Art: Auch die Freien dürfen an der Sparwelle teilnehmen. Immerhin gilt es, im BR ein Defizit von 35 Millionen Mark im nächsten Jahr abzuwenden. Also dürfen die Freien nicht vergessen werden: sie dürfen heuer auf die freiwillige Weihnachtszuwendung verzichten, so der Beschluss aus den Führungsetagen. Die Überraschung ist gelungen. 250 Mark gab’s bisher als Maximum – die meisten bekamen weniger oder einen guten Tropfen. 250 Mark Maximum als Dank für die maßgebliche Arbeit während des Jahres. Immerhin könnten im BR viele Sendeminuten ohne die Freien nicht ausgefüllt werden. Dabei geht es nicht um den Geldbetrag als solchen. Durch die Streichung wird sicher kein Freier vor dem leeren Gabentisch sitzen oder auf die Weihnachtsgans verzichten müssen. Es geht um den symbolischen Wert der mildtätigen Gabe.
Insgesamt kostete die Zuwendung vom Christkind den BR sicher nicht mehr als 500.000 Mark. Das reduziert das anstehende Defizit auf immerhin 34,5 Millionen Mark – ist doch etwas, oder? Die Freien meinen nein! Natürlich rechnet sich jeder Betrag hoch – und gespart werden muss. Aber gerade die Freien sind es, die jetzt schon die Sparwelle zu spüren bekommen. Immer öfter werden dort Redakteure/innen für Moderation und Beiträge eingesetzt, wo früher freie Mitarbeiter/innen auf dem Dienstplan standen. Immer öfter wird ein Beitrag durch Musik ersetzt. Immer öfter wird beim Honorieren die untere Grenze im Honorarrahmen herangezogen. Rechnet es sich dann wirklich, den Freien das Weihnachtsgeschenk zu streichen? Dennoch: Weihnachten ist ja bekanntlich das Fest der Überraschungen – vielleicht ist der BR zu einer zweiten fähig.
Bi
Publizistik & Kunst. Zeitschrift der IG Medien 12 vom Dezember 1992, 10.