Materialien 1992

„Aufrechter Gang“

(München, 1. Dezember 1992)

Laudatio zur Preisverleihung der Humanistischen Union, München, an Gisela Forster

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde, liebe Gisela Forster, lieber Magnus, Thomas, liebe Gabriele (Claudia Doris Viktoria Emanuela Pippilotta)!

Es gibt zwei traditionelle Grundwahrheiten, erstens, Männer sind klüger als Frauen, zweitens, die Erde ist eine Scheibe.

Letztere wurde jüngst stark erschüttert. Ereignete es sich doch, dass 350 Jahre nach dem Tode Ga-
lileis dieser nun im Jahre 1992 von Papst Johannes Paul II. in den Schoß der Kirche zurückgeholt wurde … in den Schoß der Kirche … welch treffende Beschreibung! „Voreilig und unglücklich“ sei Galileo Galilei geächtet worden, „aus tragischem gegenseitigen Verkennen“, so der Papst. Wir sind verunsichert, erschüttert, wenn Satz 2 nicht mehr gilt, was ist dann mit Satz 1. Sollte sich auch hier, bezogen auf die Kirche und ihre Einschätzung der Frauen, eine Veränderung, eine Umkehr anbah-
nen? Hier kann ich Sie beruhigen. Die Unterordnung, Unterdrückung, die Ächtung der Frauen hat in der starren Männerhierarchie der Kirche ohne Veränderung ihr Fortbestehen. Durch zwei Jahr-
tausende, durch alle Jahrhunderte, trotz Renaissance und Revolution, trotz Aufklärung und Hu-
manismus, trotz Demokratie, Frauenwahlrecht und sog. Gleichberechtigung fährt diese weltweit manifestierte Männergesellschaft der kath. Kirche fort, die Frau zu ächten und zu missachten. Einzig eine, die nicht mehr lebt, die durch den Makel der Geburt nicht verschmutzt wurde, darf verehrt werden. Männer der Kirche, die eine lebende Frau achten, sich ihr annähern, sie lieben, werden ebenfalls ausgestoßen und geächtet, so wie es Anselm Forster erleben musste. Gleichzeitig jedoch werden diese Männer von der Kirche wieder umworben. Wenn sie dieser Sünde abschwö-
ren, diesen Fehltritt bereuen, ja dann wäre die Kirche bereit, diese reuigen Männer-Sünder wieder aufzunehmen. Wenn sie dem Schoß der Frauen abschwören, dann werden sie wieder in den Schoß der Kirche aufgenommen. Wenn sie der Missachtung der Frauen wieder Ausdruck geben, dann sind sie wieder kirchenfähig und dürften sogar das Wort Gottes wieder verkünden. Für die Frau jedoch bleibt diese Kirche verschlossen.

Wie wohltuend und erfreulich, dass wir heute hier beisammen sind zur Preisverleihung „Aufrech-
ter Gang“ der Humanistischen Union an Gisela Forster. Der Humanistischen Union herzlichen Dank für diese Entscheidung! Der Lebenslauf von Gisela Forster offenbart eine typische Frauen-
Vita: mehrere Ausbildungen, Abschlüsse, hochqualifiziert, trotzdem ist die Karriere unterbrochen, umgeleitet, der Drahtseilakt mit drei Kindern – haben diese genug Aufmerksamkeit? – ein Durch-
tauchen durch die gewaltigen Ansprüche der Kindererziehung und des Berufs, daneben der starke Wunsch, ein Leben nach eigenen Vorstellungen zu gestalten … Gisela Forster, geboren 1946 in München, aufgewachsen in Berg, Wangen, Schlagenhofen, alle im Landkreis Starnberg, und in München. Erster Berufswunsch, Ministerin in Bonn, am liebsten für Wohnungsbau, um die Woh-
nungsmisere zu beenden und den Wohnräumen wieder einen neuen Ausdruck zu geben. Zwei Studien, Kunsterziehung an der Akademie der Bildenden Künste in München, Ingenieurstudium an der TU. Zwei Abschlüsse, Kunsterzieherin für Gymnasien, Diplom-Ingenieurin. Statt Karriere das erste Kind. Um Beruf und Familie zu vereinbaren, Tätigkeit als Kunsterzieherin, schließlich in der Klosterschule Schäftlarn, siebzehn Jahre, in dieser Zeit die Freundschaft mit Anselm, Benedik-
tiner und Schulleiter, eine fruchtbare Zeit im wahrsten Sinne des Wortes, zwei Kinder mit Anselm, daneben ein offenes und reiches Schulleben, viele Preise für Schülerinnen und Schüler (erster Platz bei den Schulfilmtagen, drei Einzelpreise bei „Jugend forscht“, 1. Preis bei einem Erfinderwettbe-
werb, 2. Preis beim bundesweiten Wettbewerb „Lesen gegen Angst“, Sonderpreise), und eine viel-
seitige eigene künstlerische Tätigkeit (Ausstellungen, Galerieeröffnung, Gründung des Kunstver-
eins, Ateliertage Berg, Malerei, Plastiken, Installationen, Städtebauentwurfsarbeiten, Illustratio-
nen, Plakate, Kurzfilme, Montagefilme). Ihre künstlerische Arbeit war so vielseitig, ausdruckstark und unbequem wie ihr Leben.

1989 treten sie und ihr Mann als Eltern der Kinder Thomas und Gabriele an die Öffentlichkeit. Existenzverlust für beide. Fristlose Kündigung. Keine Versorgung der Kinder. Anselm verliert nach über fünfunddreißig Jahren als Benediktiner seine Schulleiterstelle, sein Nachfolger ist ein weltli-
cher Lehrer, Vater von zwei Kindern, aber Anselm wird diese Tätigkeit verwehrt. Durch die stan-
desamtliche Trauung ist er aus dem Orden ausgeschlossen. Beide sind exkommuniziert, von den Sakramenten ausgeschlossen, aber nicht vom Zahlen der Kirchensteuer. Anselm findet nach lan-
gem Suchen eine Stelle an einem Privatgymnasium. Gisela ist arbeitslos. Beiden bleibt auch eine staatliche Stelle verwehrt, denn wer gegen die Kirche verstößt, verstößt auch gegen den Staat. Die Brüderschaft der Männerpfründe reicht über die Kirche hinaus. Nach 1½ Jahren erhält Gisela eine Umschulung zur Altenpflegerin. 75.000 DM kostet diese Umschulung den Steuerzahler, weil ihr eine Arbeit im alten Beruf verwehrt wurde. Auch hier wieder ein erfolgreicher Abschluss der Aus-
bildung, Freude und Begeisterung, sich auf Neues einzustellen. Gisela arbeitet jetzt bei der Stadt München in der „Beschützenden Pflege“, mit Menschen, die nachts hinter Gittern sind und tags mit ihr zusammen. „Eine erfrischende, befreiende Arbeit“, wie sie sagt. Sie schätzt die klaren Ant-
worten dieser Menschen, die so wenig gemeinsam haben mit dem Verbiegen, Wegtauchen, ums Problem Herumreden. Man denke in diesem Zusammenhang nur an die verbogenen Debatten und Aktivitäten zur Änderung des Asylrechts, in denen mit scheinheiligen Argumenten gewaltdulden-
der und gewaltsäender Fremdenfeindlichkeit Raum gegeben wird. Ausdruck ihrer unbequemen Auseinandersetzung mit vorgegebenen Hierarchien wird auch ihr politisches Engagement. Seit 1990 ist sie Kreisrätin der GRÜNEN im Landkreis Starnberg. Ihre aufrechte Gangart führt sie konsequenterweise auch in die rechtliche Auseinandersetzung mit der Kirche. Mit Unterstützung der GEW steigt sie im Jahr   1989 in einen Prozess vor dem Arbeitsgericht gegen ihre fristlose Kündigung ein. Fristlose Kündigung für eine Alleinerziehende von drei minderjährigen Kindern, eine wahrhaft christliche Tat! Die Begründung der fristlosen Kündigung war von Seiten der Kirche in drei Punkten gegeben: 1. die Beziehung zu einem Priester, 2. die Tatsache, dass sie mit diesem Priester zwei Kinder hat und Punkt 3, der schwerwiegendste, dass sie Punkt 1 und 2 öffentlich be-
kannt gab. Der Sündenfall, dass Beziehungen mit Priestern entstehen und Kinder zur Welt kom-
men, ist zunächst nicht so dramatisch. Erst durch die öffentliche Bekanntgabe wird dieses zum „sündigen Dauertatbestand“, der dann bei der Kirche arbeitsrechtliche Konsequenzen auslöst. Aber Gisela gewinnt den Prozess gegen die fristlose Kündigung. Die rechtliche Auseinandersetzung um die ordentliche Kündigung läuft weiter. Es geht nun darum, ob das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung, in dem sie sagt, wer der Vater ihrer Kinder ist, gegen den Schutzanspruch ihres Arbeitgebers als Tendenzbetrieb verstößt.

Ein zweiter Prozess läuft nach allen Instanzen, die verloren wurden, jetzt als Musterprozess vor dem Europarat in Straßburg vor der Europäischen Menschenrechtskommission. Gisela Forster führt diesen Prozess stellvertretend für ihre Tochter Gabriele, die als Tochter eines Priesters, der über kein eigenes Einkommen verfügte, Alimente von der Kirche einfordert. Das gibt es ja durch-
aus, dass die Kirche für Kinder von Priestern zahlt – aber nur dann, wenn Frauen von ihren Prie-
ster-Männern wegziehen, wenn sie schweigen, dann zahlt die Kirche Schweigegeld. Sie zahlt also nur, wenn der Vater Priester bleibt und nichts von seinem „Fehltritt“ an die Öffentlichkeit dringt. Welch verqueres Rechtsdenken, welch unverantwortlicher Umgang mit dem Recht der Kinder auf ihre Väter, mit dem Recht der Frau auf Unterstützung durch den Vater ihrer Kinder! Welche Miss-
achtung der Frau, immer nach dem gleichen Muster – sie hat den Mann ‚der Kirche gestohlen’, sie hat ihn verführt, sie muss die Konsequenzen tragen. Würde ein Priester ohne eigenes Einkommen einen Verkehrsunfall mit finanziellen Folgen verursachen, würde die Kirche ja durchaus zahlen, aber natürlich nicht bei derartigen lebensbejahenden, sexualitätsbejahenden, freudigen Ereignis-
sen! Hier wird klar, wie die Kirche das Leben verachtet und wie sie diese Verachtung an die Frauen und ihre Kinder weitergibt.

Der Zölibat, verankert seit dem Laterankonzil von 1139, ist mit seiner heute noch praktizierten Ausprägung in der kath. Kirche unglaublicher Ausdruck der Verachtung der Frauen und gleich-
zeitig Instrument der Machtausübung der Amtskirche über Männer. Neben dem Ausdruck der Sexual- und Lebensfeindlichkeit hat der Zölibat handfeste wirtschaftliche Hintergründe. Es lohnt sich für die Kirche, wenn Erbschaften und Reichtum der Kirche gesichert bleiben. Was wäre, wenn die Frauen und Kinder der Priester nach geltendem Recht möglicherweise erbberechtigt wären? Hätten sie nicht Anspruch auf die materiellen Früchte der Arbeit ihrer Vater, zu Lebzeiten und auch nach deren Tod? Die katholische Amtskirche diffamiert Frauen und die Kinder ihrer Priester durchs Zölibat in einer Weise, die mit der heutigen Rechtssituation nicht vereinbar ist.

Angesichts dieser Tatsache ist es notwendig, einen Blick auf die Finanzierung der Kirche durch die öffentliche Hand zu werfen, auf die Finanzierung einer Einrichtung, in der die Rechtsbeugung täg-
lich praktiziert wird. Neben der automatischen Zuführung der Kirchensteuer über das öffentliche Steuersystem zahlt der Freistaat Bayern den Konkordatsvereinbarungen von 1964, 1979 und 1980 entsprechend derzeit jährlich über 110 Millionen DM an Gehältern und Sachkostenzuschüssen. Im Haushalt des Freistaates liest sich das dann so: 1,14 Millionen DM für die Jahresrenten der Erzbi-
schöfe und Bischöfe. 160.000 DM Gehaltszulagen für zwölf Weihbischöfe, 1,67 Mio DM für die Jahresrente der Dignitäre, 6,15 Mio DM für die Jahresrenten der Kanoniker usw. Die Unterhalts-
zahlungen für die Kinder der Kirche sind nirgends zu finden. 1987 forderten DIE GRÜNEN eine symbolische Kürzung dieser Mittel um 10.000 DM, um darauf aufmerksam zu machen, in welchem Umfang die Kirche über die Kirchensteuer und die Finanzierung der kirchlichen Einrichtungen hinaus bezuschusst wird. Dieser Antrag wurde abgelehnt. Und dies, obwohl nach unserem Ver-
ständnis die Finanzierung der Gehälter der Kirchendiener eigentlich eine originäre Aufgabe der Kirchen ist.

Daneben müssen weitere Finanzierungen durch allgemeine Steuermittel angesprochen werden, z.B. die Mitfinanzierung der nichtstaatlichen Theologenausbildung, die Finanzierung der Katho-
lischen Universität Eichstätt zu ca. 90 Prozent, die Finanzierung der Gehälter der LehrerInnen an kirchlichen Schulen, die Finanzierung von Kindergärten, Krankenhäusern, Altenheimen zu 80 – 90 Prozent. Wobei dies durchaus wichtige Einrichtungen sind, ohne die das Sozialnetz des Staates völlig zusammenbrechen würde. Nur, es ist zu sehen, dass auch hier eine öffentliche Finanzierung erfolgt. Die Kirchensteuer selbst wird zu weniger als 10 Prozent, wie die Humanistische Union im Dezember 1990 dargelegt hat, für soziale Zwecke eingesetzt. Gleichzeitig wissen wir auch, dass in manchen dieser Einrichtungen durchaus oft   großzügiges und wertvolles menschliches Handeln seinen Raum hat, besser als in so manchen staatlichen Einrichtungen.

Die Verflechtung von Kirche und Staat muss auch aus einem anderen Blickwinkel gesehen werden. Ist es nicht gerade die finanzielle Abhängigkeit, die die Kirche gegenüber dem Staat mundtot und politisch hörig macht? Diese Verflechtung macht es für die Kirche unmöglich, klar und deutlich auf politische Entwicklungen zu reagieren. Was ist mit dem Schweigen der Kirche zur lebenszerstö-
renden Atomtechnologie, zur schöpfungsverachtenden Gentechnologie, zur klimazerstörenden Verkehrs- und Energiepolitik. Den gegenwärtig verantwortlichen Politikern ist dies nur zu recht. Im Gegenzug kann die Frauendiskriminierung mit weiterer staatlicher Unterstützung bzw. Dul-
dung rechnen. Wann begreift die Kirche, dass nur die Trennung von Kirche und Staat ihr wieder die notwendige Freiheit und Glaubwürdigkeit geben kann? Müsste die Trennung von Kirche und Staat nicht oberstes Anliegen der Kirche selbst sein? Angesichts der Aussagen des neuen Weltkate-
chismus, angesichts des Festhaltens der Kirche am Zölibat, am Verbot der Empfängnisverhütung und des vorehelichen Geschlechtsverkehrs, am Verbot des Schwangerschaftsabbruchs, angesichts des Nein der Kirche zur Priesterinnenweihe der Frauen – und wir erinnern uns, dass die Entschei-
dung der Anglikanischen Kirche, Frauen zum Priesteramt zuzulassen, als „neues und schwerwie-
gendes Hindernis auf dem Weg zur Versöhnung“ bezeichnet worden ist – bleibt uns nur festzustel-
len: Wir sind froh, dass es Menschen wie Gisela Forster gibt. Wir wünschen ihr weiterhin viel Kraft und Energie, viel Durchhaltevermögen und weiterhin den „Aufrechten Gang“ gegenüber allen Instanzen und Hierarchien.

Ruth Paulig, MdL DIE GRÜNEN


Mitteilungen der Humanistischen Union 141 vom März 1993, 7 ff.

Überraschung

Jahr: 1992
Bereich: Religion

Referenzen