Materialien 1992

Münchner Rechtssprechung

Voraussichtlich im Oktober wird in München der Prozeß gegen Norbert und Annette stattfinden. Ihnen wird vorgeworfen, Silvester 91/92, einen Brandanschlag auf die Zentrale der rechtsradikalen DVU (Deutsche Volksunion), in der Paosostraße 2 , München Pasing, verübt zu haben.

Folgender Brief ist uns von einigen Münchner Antifaschistinnen und Antifaschisten zugesandt worden:

München ist nicht nur die Stadt weltberühmter Biere, sondern auch die Stadt weltberühmter Re-
pression. Seit langem sind ihre Justiz- und Exekutivorgane um eine Vorreiterrolle in der Unter-
drückung praktischen Antifaschismus bemüht. Einige Beispiele aus den letzten Jahren (keine vollständige Liste):

 Am 16. November 1991 fand eine Demo der Republikaner statt. Zur Auftaktkundgebung erschie-
nen ca. 200 Antifaschistinnen und Antifaschisten, um ihr Missfallen auszudrücken. Keine Viertel-
stunde nach ihrem Eintreffen wurden die ersten Leute vom USK (bayerisches Unterstützungskom-
mando) festgenommen. Bilanz: ca. 60 Festnahmen.

 Im Herbst 1992 wurden Michael und Roland verhaftet, weil sie einem Faschisten die Jacke mit eindeutigen Aufnähern abgenommen haben sollen. Michi wurde am 26. September verhaftet, Roli am 12. Oktober. Beide saßen mit einer kurzen Unterbrechung bis Anfang Dezember in Untersu-
chungshaft.

 Am 1. Mai 1993 führt der „Nationale Block“ einen vom KVR genehmigten Fackelmarsch zum „Tag der Deutschen Arbeit“ durch. Es nehmen Neonaziführer aus der ganzen BRD teil. Es gelingt den ca. 350 anwesenden Antifaschistinnen und Antifaschisten zwar, die Nazis lautstark zu über-
tönen, nicht aber – wegen des massiven Polizeiaufgebotes – den Marsch der Faschisten zu ver-
hindern.

Demgegenüber funktioniert München als Schaltzentrale internationaler, faschistischer Strukturen (Republikaner, DVU, ehem. AVÖ; jetzt APR-Althans Public Relation).

München ist auch die Stadt, die „Nein“ sagt. Die Idee der Lichterkette ist, bis auf einzelne Ausnah-
men in den Reihen der CSU, von den bürgerlich-demokratischen Parteien allgemein begrüßt wor-
den. Kein Wunder, denn diese und ähnliche Aktionen haben keinen politischen Inhalt. Hier wird lediglich der Bestürzung übergewalttätige Angriffe auf „Ausländerinnen und Ausländer“ Ausdruck gegeben, aber keine antifaschistische Haltung eingenommen. Denn das würde bedeuten, dass die Anschläge als politisch motiviert erkannt und die Täterinnen und Täter zum Thema gemacht wür-
den. Darüber hinaus wird nicht im mindesten der Wille zur gesellschaftlichen Veränderung for-
muliert. Dabei wird übersehen, dass eine erklärtermaßen unpolitische Handlung dadurch politisch wird, dass sie die vorhandene gesellschaftliche und wirtschaftliche Organisierung als positive Ziel-
setzung verteidigt. Es wird an die Vertreterinnen und Vertreter des Staates appelliert, die Gewalt zu unterdrücken und die „Ausländerproblematik“ mit rechtsstaatlichen Mitteln zu lösen.

Aus diesem Grunde sind solche Veranstaltungen nicht nur höchst willkommen, sondern für diverse Politikerinnen und Politiker auch eine attraktive Bühne, um den Menschen im In- und Ausland vorzugaukeln, man werde die Probleme in den Griff kriegen und arbeite an ihrer Lösung. In der Tat, da das Problem nicht die zunehmende Faschisierung ist, sondern die unschönen Übergriffe auf „Ausländerinnen und Ausländer“, ist die Lösung einfach, man schafft diese eben ab.

Schließlich weisen der politische Wille der Staatsoberen der BRD und der der Faschisten wesent-
liche Übereinstimmungen auf(z.B. Hegemonialmacht Deutschland, Rassismus, gesellschaftliche Organisierung in der Kleinfamilie, etc.)

In diesem Sinne funktionieren Faschisten als Regulativ der Macht. Einerseits werden ihre Forde-
rungen übernommen, andererseits dient ihre Praxis unter anderem als Begründung für die Auf-
rüstung des Polizeiapparats, wenn vorgegeben wird, dass die Verfolgung von Faschisten aufgrund des Kräftemangels der Polizei so dünn ausfällt (siehe Rostock).

Gegen wen dieser Apparat dann allerdings zum Einsatz kommt, liegt auf der Hand. Schließlich müssen die Ostgrenzen dicht gemacht werden, „Ausländerinnen und Ausländer“ gejagt, politische Gegner und Unzufriedene im Land zum Schweigen gebracht werden.

Jeder antifaschistische Ansatz muss logischerweise die Veränderung der politischen Verhältnisse zum Ziel haben.

Der Staat deckt, schützt, fördert Faschisten, wo er nicht selbst offen faschistisch vorgeht. Wir for-
dern alle Menschen auf, öffentlich Stellung zu beziehen, sich zusammenzuschließen und sich zu organisieren, gegen die chauvinistischen, nationalistischen, rassistischen Angriffe, und für eine Beendigung der Herrschaftsverhältnisse zu kämpfen.

Kommt zum Prozess! (Termin wird bekannt gegeben)
Keine Verurteilung von Norbert und Annette!
Kampf dem Faschismus

Einige Antifaschistinnen und Antifaschisten aus München


Westend Nachrichten. Stadtteilzeitung für das Westend und die Schwanthalerhöh’ 9 vom September/Oktober 1993, 7.

Überraschung

Jahr: 1992
Bereich: Rechtsextremismus