Materialien 1992
Alles wird wieder gut
Schöner Wohnen in München
Ob ich diesen Tag wohl noch erleben werde? Jenen, an dem eine marodierende Horde von Wohnungslosen, Kautionsgeschädigten und Isarbrückenbewohnern das Marmorfoyer eines großen Immobilienmaklers stürmen, die schwarzen Ledersitzgruppen im Vorzimmer zerschlitzen, die Personalcomputer zertrümmern, die Sekretärin in die Besenkammer sperren und ihren Chef mit dem Telefonkabel erdrosseln. Es wird wohl noch eine Weile dauern: stattdessen schleichen im Moment diese Speckmaden der freiesten aller Marktwirtschaften mit ihren diskreten Sechszylinder-Limousinen durch die Straßen von Prag, Leipzig und Cottbus – moderne Raubritter auf der Suche nach Opfern. Ahnungslose Kommunalpolitiker bieten ihnen Kaffee an und unterschreiben alles, was ihnen der gut gekleidete Westler unter die Nase hält, in der Hoffnung, dass die vor sich hinrottende Bausubstanz der Stadt nun endlich gerettet werde.
Irgendwann wird es dann sein wie hier: knapper Wohnraum zu Mondpreisen. Wir kennen das – und dennoch: immer wieder finden sich in dieser Stadt Leute, die das nicht hinnehmen wollen.
Ein Sack an und für sich kluger Menschen ist jetzt auf die Idee gekommen, es mit einer ganz pfiffigen Idee zu versuchen: wie wäre es, wenn Mieter ihre „etwaige Zweitwohnung im Ballungsgebiet München (sog. Freizeit- oder Theaterwohnung) einem Mitbürger in Wohnungsnot zur Verfügung stellten?“ Uiiih ja !! Sie formulierten eine „Münchner Konvention Humanes Wohnen“, eine Art Friedensvertrag für zwei bis aufs Blut verfeindete Lager. In wohlabgemessenen Worten appellieren gutmeinende Mitmenschen an das Gute im Nächsten. Von „sozialer Verantwortung“ ist darin die Rede, vom „fairen Interessenausgleich“.
Unterschrieben hat diese Erklärung auch Gerhard Bletschacher, der charmanteste Reaktionär im Münchner Stadtrat. Was er unter „fairem Interessenausgleich“ versteht, hat er kürzlich am Beispiel der Bewohner des Stachus-Untergeschosses deutlich gemacht: Dieses „wilde Camp“ müsse weg, da Ladeneingänge und Schaufenster blockiert würden, die Behörden sollen endlich einschreiten. Das ist unser Herr Bletschacher, wie wir ihn kennen und schätzen. Klingt doch gleich anders als dieses sozialfürsorgerische Geschwätz, unter das er seinen Namen gesetzt hat. Wer als Vermieter die „Münchner Konvention“ unterschreibt, verpflichtet sich beispielsweise „zu vermeiden suchen, dass ein Mieter durch Mietsteigerung oder Kündigung Härten erleidet, die ihn im Kern seiner wirtschaftlichen oder gesundheitlichen Existenz schädigen könnten, auch wo Rechtsund Marktlage dies zuließen“.
Klar: bitte einen Wolf, er möge doch das Jagen von Schafen bleiben lassen, sage einem Zocker, er solle niemand mehr übers Ohr hauen, und wir bekommen die friedlichste und schönste aller Welten.
Solidarität! Versucht, „eine eventuell fehlbelegte Sozialwohnung zu Gunsten eines dafür berechtigten Mieters durch Umzug freizumachen“ oder eine „etwaige Zweitwohnung im Ballungsgebiet München einem Mitbürger in Wohnungsnot zur Verfügung zu stellen“.
Dieser Schwachsinn ist nicht das Papier wert, auf dem es gedruckt wurde. „Im überhitzten Wohnungsmarkt jedoch kann das Gebot der Fairneß und Solidarität unter den Beteiligten leicht übersehen werden“. Zum Totlachen komisch, doch angesichts 30.000 Wohnungsuchender in dieser Stadt will das nicht so recht gelingen. Und das gilt bis zum Beweis des Gegenteils.
Ejo Eckerle
Münchner Stadtmagazin 8 vom 1. April 1992, 146.