Materialien 1992
Für wen wird das Westend erhalten?
Wenn mit großem Widerhall in der Presse eine staatliche oder städtische Reform angekündigt wird, stellt sich diese Frage.
Zur Zeit ist es der Erlaß einer Erhaltungssatzung durch die Landeshauptstadt München, die bei den Westendlerinnen und Westendlern Hoffnungen wecken soll. Zuvor hatten wir schon die förmliche Festlegung von Sanierungsgebieten. Noch früher galt die Zweckentfemdungs-Verordnung als taugliches Mittel gegen die Vernichtung preiswerten Wohnraums. Doch all diese Maßnahmen scheinen nicht so ganz das Gelbe vom Ei gewesen zu sein. Der anfänglichen Euphorie folgten neue, aufsehenerregende Spekulationsfälle, die Wohnraumvernichtung (und damit Bevölkerungsvertreibung) ging weiter. Warum ist das so?
Vom Rentenhaus zur Flächensanierung
Schon die Gründung des Westends auf der Sendlinger Heide war ein gigantisches Spekulationsgeschäft am Ende des vorigen und zu Beginn des jetzigen Jahrhunderts. In trauter Zusammenarbeit mit dem damaligen kgl. bayrischen Magistrat sicherten sich „Terraingesellschaften“ große Grundstücke, erschlossen sie durch Straßenterassierung und andere Infrastrukturmaßnahmen (auf dem damaligem Niveau) und verkauften die Parzellen mit erheblichen Gewinn an das städtische Bürgertum. Wohlhabende Handwerker und Kaufleute ließen Miethäuser bauen, aus deren Ertrag ihre Altersversorgung finanziert wurde (daher der Name Rentenhäuser).
Im Westend entstand allerdings (im Gegensatz etwa zu Haidhausen) eine auch quantitativ erhebliche Gegentendenz in Gestalt der Genossenschaften. Teils aus der damaligen Arbeiterbewegung, teils aus kirchlichen Initiativen, teils aus Mitteln des liberalen Bürgertums entstanden Wohnhäuser, die den Regeln der maximalen Grundstücksverwertung nicht unterlagen und bis heute ein relatives Gegengewicht gegen die Bodenspekulation bilden. Der größere Teil des Westends allerdings blieb dieser unterworfen.
Wir übergehen für diesmal die Entwicklungen bis zu den Sechzigern dieses Jahrhunderts und betrachten die Situation, als die Grundstückreserven in der Innenstadt zur Neige gingen und die Innenstadtrandgebiete für die Immobilienbesitzer interessant wurden.
Der Aufschwung der Industrie und damit der Zuzug einkommensstarker Bevölkerung schufen kaufkräftige Nachfrage nach teurem Wohn- und Gewerberaum. Im Westend verschärfte die stürmische Entwicklung der Messe die Lage zusätzlich. Die höhere Nachfrage steigerte die Bodenpreise. Im Verhältnis dazu sank die Grundrente – also der Ertrag im Verhältnis zum Bodenpreis in den überwiegend von Arbeiterfamilien, kleinen Gewerbetreibenden und Sozialrentnern bewohnten Vorstädten. Um die Grundrente zu steigern, mußte also die Nutzung der Grundstücke geändert werden. Wenn die bisherigen Bewohnerinnen und Bewohner von Vierteln wie dem Westend dem Finanzkapital keine „ausreichenden“ Erträge durch ihre Mieten finanzieren konnten, dann mußte diese Bevölkerung eben ausgewechselt werden.
Das sichtbarste Zeichen für diese Nutzungsänderung war das Anfang der siebziger Jahre fertiggestellte „Klein-Manhattan“ an der Theresienhöhe. Dem Klotz fielen zwei schöne Biergärten, eine Grünanlage (Sauerbruchpark) und Wohnhäuser zum Opfer. Großräumig eingesessene Mieter von den Eigentümern gekündigt bzw. durch Mietsteigerungen zum Auszug gezwungen. Die Aufhebung der Mietpreisbindung für München kam (zufällig?) gerade rechtzeitig. Die freigewordenen Wohnungen nutzten viele Eigentümer als Massenunterkünfte für ausländischen Arbeiter, was nicht allein die Mieteinnahmen beträchtlich steigerte, sondern den Hausbesitzern auch Instandhaltungskosten weitgehend ersparte und damit die Grundlage für spätere Abbruchanträge schuf.
Sanierung nach Art des Hauses
Die Gegenbewegung hierzu war die seit Mitte der siebziger Jahre hauptsächlich von der SPD propagierte Sanierung. Sie sollte der Spekulation Hindernisse in den Weg legen, der Verwahrlosung von Wohnungen Einhalt gebieten und der angestammten Bevölkerung (soweit noch vorhanden) das Verbleiben in ihren Wohnungen zu erträglichen Mieten ermöglichen.
In der Tat veränderte die Spekulation ihre Taktik. Wohl nicht allein wegen des Sanierungskonzeptes, sondern weil die Nachfrage nach Schlafstellen bei den ausländischen Arbeitern zurückging. Die hatten mehrheitlich inzwischen ihre Familien nachgeholt bzw. Familien gegründet. Die Massenunterkünfte nahmen ab. An ihre Stelle traten Luxussanierung, Umwandlung in Eigentumswohnungen und Umwandlung in Gewerberaum.
Der fortdauernde Bodenpreisanstieg sorgte dafür, daß der Anreiz für Grundeigentümer zur profitableren Nutzung erhalten blieb oder sich noch verstärkte. Auch jahrelanger Leerstand (z.B. Landsbergerstraße 4) war kein Hindernis, solange die Preissteigerung den Mietausfall übertraf.
Zwar sah das Sanierungskonzept eine Genehmigungspflicht für bauliche Änderungen in förmlich festgelegten Sanierungsgebieten vor – damit sollte die Spekulation behindert werden – doch zweckmäßigerweise waren einschlägige Bauanträge bis zur förmlichen Festlegung meistens bereits gestellt und damit rechtsgültig.
Die Stadt zeigte wenig Interesse, ihr Instrumentarium gegen die Grundbesitzer anzuwenden. Gegen die Verwahrlosung von Wohnraum hätte es z.B. die „Ersatzvornahme“ gegeben, d.h. die Stadt kann notwendige Reparaturen in eigener Regie auf Kosten des Hausbesitzers vornehmen. Der Bezirksausschuß beantragte dies für die Schwanthaler Straße 184. Die Stadt zog es vor, einige Wohnungen in diesem Haus für unbewohnbar zu erklären. Inzwischen ist es in Eigentumswohnungen aufgeteilt und wird zur Zeit nach MGS-Modell saniert.
Die MGS (bzw. die an ihr beteiligten Banken) hielten es für profitabler, Neubauten zu errichten, als vorhandenen Wohnraum durch preiswerte Sanierung den Mieterinnen und Mietern zu erhalten. Dies und die Umwandlungsspekulation sorgten für den reibungslosen Weitergang der Bevölkerungsvertreibung aus dem Westend. Ein neues Beruhigungsmittel für die Mieterinnen und Mieter mußte her.
Die Erhaltungssatzung …
sieht (ähnlich wie die Sanierung) eine Genehmigungspflicht für bauliche Maßnahmen und Nutzungsänderungen vor. Allerdings umfaßt sie das ganze Westend (außer den MGS- und Genossenschaftshäusern).
Ob eine Genehmigungspflicht die Spekulation nennenswert behindern wird, ist fraglich. Die stillschweigende Kumpanei der Stadtverwaltung mit der Spekulation durch ihre laxe Handhabung der bestehenden Gesetze läßt wenig hoffen.
Außerdem sind die Bußgelder, die die Stadt bei Mißachtung ihrer Satzung verhängen kann, mehr als bescheiden. Höchstbußgeld sind DM 50.000, ein Klacks für einen erfolgreichen Immobilienhändler. Zur Umwandlungsspekulation sagt der Erlaß: „… daß weder in Erhaltungssatzungsgebieten noch in anderen Gebieten die Umwandlung verhindert werden kann, sofern die sonstigen Voraussetzungen … gegeben sind“ (Seite 20 des Beschlusses).
Mag sein, daß die Erhaltungssatzung einigen Spekulanten ein wenig lästig sein wird. Im wesentlichen ist sie eine Alibiveranstaltung der Stadt. München und der Stadtratsmehrheit bzw. der sie tragenden Parteien SPD und Grüne.
Ist das Westend noch zu retten?
Solange die Bodenpreissteigerung anhält und damit der Mechanismus der Anpassung der Erträge an den gestiegenen Preis bestehen bleibt, können nur Eingriffe in den Markt, d.h. in die Verfügungsfreiheit über Grund und Boden helfen.
Einige denkbare Maßnahmen der Stadt oder des Gesetzgebers wären: Ein Veräußerungsverbot für Grundstücke vor allem in Ballungsräumen würde den Spekulanten die Realisierung ihrer Gewinne verunmöglichen. Die Beschlagnahme leerstehenden Wohnraums würde nicht nur die Pläne der Spekulanten stören. Die Unterbringung deutscher und ausländischer obdachloser Frauen, Männer und Kinder und von Flüchtlingen würde deren Probleme zumindest teilweise lösen. Ein Umwandlungsverbot würde einen wichtigen Teil der Spekulation abhacken. Die Liste könnte fortgesetzt werden. Leider gibt es zur Zeit wenig Druck in dieser Richtung, doch viel Vertrauen in Scheinlösungen wie z.B. die Erhaltungssatzung. Solange das so bleibt, wird auch die Mieterinnen- und Mietervertreibung aus dem Westend weitergehen.
Peter Eberlen
Das älteste Haus vom Westend, der „Postfranzl“, zum Abriss freigegeben
Westend Nachrichten. Stadtteilzeitung für das Westend und die Schwanthalerhöh’ 2 vom Juli/August 1992, 1 ff.