Materialien 1992

Was haben Peter, Pitt und Henry Higgins auf der 8. März-Demo verloren?

Am 8. März fand in München eine Frauen/Lesben-Demonstration zum Internationalen Frauentag statt. Sie wurde von der Münchner Frauenkoordination gegen den Weltwirtschaftsgipfel (WWG) unter dem Motto „Weiberwirtschaft gegen GeldHERRschaft – Frauen/Lesben kämpfen weltweit gegen Sexismus, Rassismus und Kapital“ organisiert. Es war eine laute und powervolle Demonstra-
tion, an der sich ca. 400 Frauen/Lesben beteiligten. Eine Pressenotiz vor hundert Jahren hätte so geheißen: Unter dem Absingen infantiler Lieder, unter dem Ausstoßen von hysterischen Schreien und grellen Pfiffen zog eine Meute liederlicher Frauenzimmer, mal rennend, mal obszön zu Ur-
waldrhythmen sich bewegend, durch Münchens Straßen. Die Redebeiträge kritisierten die spezifi-
schen Auswirkungen, die die HERRschende Weltordnung und 500 Jahre Kolonialismus weltweit auf Frauen haben. Die Demonstration war die erste größere Veranstaltung, die sich klar und deut-
lich gegen den WWG, der im Juli in München stattfinden wird, richtete. Schon seit Monaten treibt das Innenministerium die Kriminalisierung des Widerstands gegen den WWG voran. Durch absur-
de Hetzartikel quer durch die Medienlandschaft wird versucht, diese Kriminalisierung in der Öf-
fentlichkeit zu legitimieren. In diesem Zusammenhang stehen auch die polizeilichen Übergriffe auf sechs Frauen, die nach Abschluss der Demonstration festgenommen bzw. personalienkontrolliert wurden.

Insgesamt fand die Demonstration von Anfang an unter massiver Überwachung durch Zivilpolizei innerhalb und außerhalb des Demozuges statt. Einheiten des bayerischen Eingreiftrupps „Unter-
stützungskommando“ (USK) hielten sich in großer Anzahl einsatzbereit.

Während der Demonstration erteilte der Einsatzleiter den Hinweis, ein Lied mit dem Titel „Die Rote Zora“ solle nicht mehr gespielt werden, da es möglicherweise unter den Straftatbestand des § 129a fallen könne. Die TV-Serie für Kinder „Die rote Zora und ihre Bande“ dürfte damit wohl nicht gemeint sein. Jedenfalls ist es uns nicht bekannt, dass der Intendant des bayerischen Fernsehens ein Verfahren wegen § 129a am Laufen hat. Dann gibt es noch die Rote Zora als satirisches Lied der Kölner Kabarettgruppe Heiter bis Wolkig, deren Schallplatte ganz legal überall im Handel erhält-
lich ist. Das Lied dürfte Berliner RadiohörerInnen wohl bekannt sein und auch ein Ermittlungsver-
fahren gegen einen Radiosender in Freiburg musste eingestellt werden.

Schließlich steht die Rote Zora als Name für einen organisierten Frauenzusammenhang, dessen Inhalte z.B. in der Zeitschrift Emma dokumentiert sind: Selbstverständlich gehen wir davon aus, dass das private politisch ist. Deshalb sind unserer auffassung nach alle sozialen ökonomischen und politischen verhältnisse, die das sog. private ja erst strukturieren und verfestigen, eine auf-
orderung zum kampf gerade für uns frauen. Das sind die ketten, die wir zerreißen wollen. Aber es ist zu kurz gegriffen, die unterdrückung von frauen hier in der brd zum alleinigen dreh- und an-
gelpunkt von politik zu machen und andere herrschafts- und gewaltverhältnisse wie klassenaus-
beutung, rassismus, die ausrottung ganzer völker durch den imperialismus, dabei auszublenden. Diese haltung geht der misere niemals auf den grund: dass nämlich frauenunterdrückung und geschlechtliche arbeitsteilung voraussetzung und grundlage für ausbeutung und herrschaft in jeglicher form sind – gegenüber anderen rassen, minderheiten, alten und kranken, und vor allem gegenüber aufständischen und unbezähmbaren.
(Zitat aus Emma, Juni 1984). Die Rote Zora wählt üblicherweise andere Aktionsformen als die Beteiligung an Münchner Frauen-Demos. Also kann diese Rote-Zora-Variante vom Einsatzleiter auch nicht gemeint sein. Daraus schließen wir, dass sich der Einsatzleiter bezüglich des Liedes geirrt hat und sich entweder durch das Lied „Wart’s nur ab, Henry Higgins“ aus dem Musical My Fair Lady bedroht oder durch Marianne Ro-
senberg, die „Ich bin wie Du“ singt, zu Unrecht vereinnahmt fühlte.

Wie dem auch sei, der Lautsprecherwagen wurde nach Verlassen des Abschlusskundgebungsplat-
zes von USK-Einheiten angehalten und die Personalien der Insassinnen unter laufenden Videoka-
meras festgestellt. Die angebliche Fahrerin wurde wegen Verdacht auf § 129a vorläufig festgenom-
men, der Lautsprecherwagen beschlagnahmt. Gleichzeitig wurden am Hauptbahnhof die Persona-
lien einer anderen Frau mit der gleichen Begründung festgestellt.

Zwei weitere Frauen wurden direkt am Abschlusskundgebungsplatz wegen des Verdachts auf Sachbeschädigung festgenommen. Die Festgenommenen wurden bis zu 6 Stunden lang im Polizei-
präsidium in der Ettstraße festgehalten und erkennungsdienstlich behandelt.

Das Frauenreferat der TU München veranstaltete am Abend ein Frauen/Lesbenfest zum Interna-
tionalen Frauentag. Im Vorfeld wurde von der Polizei der Versuch unternommen, das Fest in Ver-
bindung mit dem Widerstand gegen den WWG zu bringen, um ein Verbot durch den TU-Präsident zu erreichen. Das Fest konnte trotzdem stattfinden. Allerdings wurde es von der Polizei unter Be-
teiligung von USK und Zivilbeamten massiv belagert und von außen überwacht.

Die Demonstration der Münchner Frauen-Koordination bildete den Auftakt der Mobilisierung gegen den WWG. Für das Innenministerium ist es die größte Sorge, der Weltöffentlichkeit einen oppositions- und reibungslosen Ablauf des WWG’s gemäß dem Image von München als „befriede-
ter“ Stadt präsentieren zu können. So wird versucht, schon im Vorfeld Gegenaktivitäten aus dem linksradikalen Spektrum zu kriminalisieren. Hierzu wird der Paragraph 129a gemäß seiner Funk-
tion als Gesinnungsparagraph eingesetzt. Das heißt, es wird der Versuch unternommen, linkspo-
litische Inhalte zum Straftatbestand zu erklären, und dadurch öffentliche Diskussionen über un-
liebsame Themen zu verhindern. Laufende 129a-Verfahren bieten einen erweiterten Überwa-
chungsspielraum (uneingeschränkte Telefon- und Postüberwachung, erweiterte Durchsuchungs- und Beschlagnahmebefugnisse auch gegenüber Unbeteiligten).

Daten und Informationen, die im Zuge solcher Verfahren gesammelt werden, können gegebenen-
falls als formale Begründung für den Vollzug des sogenannten Unterbindungsgewahrsams heran-
gezogen werden. Laut Polizeiaufgabengesetz steht hinter dieser nichtssagenden Bezeichnung die Möglichkeit, vorbeugend, ohne konkreten Straftatbestand, Menschen für einen Zeitraum von bis zu zwei Wochen gefangen zu halten.

Übrigens werden in der Justizvollzugsanstalt Neudeck 20 weitere Zellen errichtet, wohl kaum für die Ehefrauen der G7-Herren, falls in München die Hotelbetten zu knapp werden sollten.

Vereinigung gegen die Kriminalisierung politischer Satire

Wir lassen uns nicht spalten! Wir solidarisieren uns mit den festgenommenen und personalien-
festgestellten Frauen! Wir fordern die sofortige Einstellung aller Ermittlungen! Abschaffung des Unterbindungsgewahrsams!

UnterstützerInnen: AK Grenzenlos (gegen 218), Angelika Lex, Stadträtin der Grünen im Rathaus, Autonomer Feministischer Arbeitskreis, Frauen/Lesbentag im Infoladen, Judith Schmalzl, Stadt-
rätin der Grünen im Rathaus, Koreanische Frauengruppe München, Marlenes andere Pläne – 218 Beratung, Münchner Frauenkoordination gegen den WWG, Referat mit Lesben und allen anderen Frauen der Katholischen Stiftungsfachhochschule München, Schlaflose Nächte: Autonome Femini-
stinnen, Sigrid Pickhardt, Fraktionsassistentin der Grünen im Rathaus, AK Antirassismus/Antifa-
schismus der Katholischen Stiftungsfachhochschule München, AK gegen Weltwirtschaftsgipfel, Aktionskomitee gegen Rassismus und Faschismus, Antifa-Plenum im Infoladen, Antifa-Referat der Uni München, Autonome Sozialistische Jugend (ASJ), Cafe Stöpsel, Dritte-Welt Cafe, El Salvador Komitee, Hans-Günther Schramm, MdL. K.O. Back, LAK EinwandererInnen und Flüchtlinge der Grünen in Bayern, Sozialistische Arbeitergruppe (SAG), Stadtratte, Studentenparlament und ASTA der Katholischen Stiftungsfachhochschule München, Vereinigte Sozialistische Partei, ZEF

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PRESSEERKLÄRUNG

Am 30. März 1992 wollte die Münchner Frauenkoordination gegen den Weltwirtschaftsgipfel (ein Bündnis verschiedener Münchner Frauengruppen) in der Seidlvilla, Nikolaiplatz 1 b, München Schwabing, eine Veranstaltung zum Thema Gen- und Reproduktionstechnologie durchführen.

Zu Veranstaltungsbeginn traf die Polizei ein, die uns eröffnete, sie würde von ihrem Recht (laut Versammlungsgesetz) Gebrauch machen, an der Veranstaltung teilzunehmen, diese aufzuzeichnen und bei strafbaren Äußerungen oder Handlungen einzuschreiten. Auf Nachfrage begründete die Polizei ihre Anwesenheit damit, dass die Veranstaltung im Zusammenhang mit dem Weltwirt-
schaftsgipfel stehe.

Die Frauenkoordination gegen den Weltwirtschaftsgipfel hat beschlossen, unter den Bedingungen polizeilicher Überwachung keine Veranstaltung durchzuführen. Wir werten derartige Überwa-
chungsaktionen als Einschüchterungs- und Kriminalisierungsversuche gegenüber der Münchner Frauenbewegung – insbesondere im Zusammenhang mit der Gegenbewegung zum bevorstehen-
den Weltwirtschaftsgipfel – und als generelle Einschränkung der freien Meinungsäußerung.

Da sich die Polizei nach längeren Verhandlungen nicht abweisen ließ, wurde die Veranstaltung offiziell abgesagt. Bei der Abfahrt vom Veranstaltungsort bemerkten wir in der Nähe vier Mann-
schaftswagen der Polizei.

Bereits am 8. März kam es auf der Demonstration der Frauenkoordination zum Internationalen Frauentag zu ersten gezielten polizeilichen Übergriffen.

Wir lassen uns nicht einschüchtern; wir werden auch in Zukunft keine Veranstaltung unter Poli-
zeiüberwachung durchführen! Die Veranstaltungsreihe wird bis zum Weltwirtschaftsgipfel fort-
gesetzt!

München, 31. März 1992
Münchner Frauenkoordination

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- nur für Frauen – nur für Frauen -

Veranstaltungsreihe der Frauenkoordination gegen den Weltwirtschaftsgipfel

4. Mai: Frauen in der Ex-DDR — Für uns (k)ein Thema?
11. Mai: Auswirkungen des EG-Binnenmarktes auf Frauen
18. Ma: zum Thema Flüchtlingspolitik
20. Mai: zum Thema Bevölkerungspolitik
25. Mai: 500 Jahre Kolonisierung Lateinamerikas
1. Juni: Arbeitssituation von Frauen in der „3. Welt“
4. Juni: Militarismus und Gewalt gegen Frauen
22. Juni: zum Thema „Unser Blick auf fremde Frauen“

Alle Veranstaltungen finden um 19 Uhr in der Seidlvilla, Nikolaiplatz 1 b (Schwabing) statt, es ist aber möglich, dass sich noch Änderungen ergeben!

Großveranstaltung: In der Woche vor dem Weltwirtschaftsgipfel wird eine Frauen-Großveranstal-
tung mit Redebeiträgen und Kultur zu den Themen „Internationale Frauensolidarität“, „Frauenwi-
derstand“ und „Weltweite Wirtschaftsstrukturen“ stattfinden.

Münchner Frauenkoordination gegen den Weltwirtschaftsgipfel, c/o Werkhaus, Leonrodstraße 19, 8 München 19, Tel. 089/168 116, Bürozeit: Montag 14.00 bis 16.00 Uhr

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An alle Frauen/Lesben, die
♀ Lust haben, andere Frauen/Lesben zu treffen,
♀ Lust auf Kneipe ohne Männer haben,
♀ bestimmte oder unbestimmte Vorstellungen von selbstbestimmten Leben haben und sie jetzt schon leben wollen,
♀ keine Lust mehr haben, mit Sexisten über autonome Politik zu reden.

Kommt alle in die Frauen/Lesben-lnfo-Kneipe immer den 2. Montag im Monat ab 19.00 Uhr (meistens mit Film) im Infoladen, Breisacherstraße 12, 8 München 80

♀ Wir nehmen uns die Räume, die wir brauchen!!


Stadtratte 10 vom Mai/Juni 1992, 33 f.