Materialien 1992

Macht und Geld, widewitt

München

Den bevorstehenden Weltwirtschaftsgipfel in München halten Sicherheitsexperten für die „wichtigste Bewährungsprobe“ seit dem Olympia-Massaker 1972.

Pippi Langstrumpf finden Münchens Polizisten gar nicht mehr komisch. Mit einem Lied der frechen rothaarigen Göre aus Astrid Lindgrens Kinderbüchern hetzt neuerdings die linke Szene gegen den Weltwirtschaftsgipfel, der vom 6. bis 8. Juli in München stattfinden soll.

Bei den Treffen der Gipfelgegner, organisiert von einem bundesweiten Aktionsbündnis aus Dritte-Welt-Gruppen, Ökopaxen, Grünen und Autonomen, dröhnt regelmäßig eine Umdichtung des Pippi-Langstrumpf-Liedes aus den Lautsprechern – gegen „Staat und Macht und Geld, widewidewitt, und Bullenschweine“. Das ist dann der Moment, in dem die vorher zusammengezogenen Sondereinheiten der Polizei das Versammlungslokal stürmen.

Zweimal bereits endeten die Konfrontationen in wüsten Rangeleien. Biergläser flogen durch den Haidhauser Bürgersaal zu München, jedesmal gab es auf beiden Seiten Verletzte.

Die Auseinandersetzungen wirken wie ein Vorgeschmack auf den Zoff, den Sicherheitsbehörden für das Treffen der Regierungschefs aus den sieben wichtigsten Industrieländern erwarten. Rund um die Münchner Residenz, die Tagungsstätte, soll denn auch die Innenstadt abgeriegelt werden. Mehr als 7.000 Polizisten sollen etwa 10.000 Journalisten auf Distanz und voraussichtlich ebenso viele Demonstranten in Schach halten.

„Das ist die wichtigste Bewährungsprobe der Polizei seit der Olympiade von 1972“, urteilt Bayerns Innenminister Edmund Stoiber. Der Vergleich weckt schlimme Erinnerungen: Damals endete eine spektakuläre Terroraktion gegen die israelische Olympiamannschaft mit insgesamt 17 Toten.

Mehrfach schon sind die alljährlich stattfindenden Beratungen der Staats- und Regierungschefs der USA, Kanadas, Großbritanniens, Frankreichs, Italiens, Japans und Deutschlands Ziel von Terrorkommandos gewesen. Und die Bedrohungslage hat sich nach Expertenmeinung kaum vermindert.

Auch der kürzlich erklärte Gewaltverzicht der RAF vermag die Gipfelorganisatoren keineswegs zu beruhigen. „Mit Einzeltätern muss man immer rechnen“, so Münchens Polizeipräsident Roland Koller. Schließlich gebe es auch noch Organisationen wie die baskische Eta und die irische IRA, die es auf den spanischen oder den britischen Regierungschef abgesehen haben könnten.

Die Sicherheitsexperten wollen deshalb kein Risiko eingehen. Schon seit Wochen beobachten Spezialisten jede Veränderung rund um den Tagungsort. Für die hohen Gäste sind ganze Hotels reserviert. Im Sheraton etwa werden für 500.000 Mark gleich zwei Etagen für den Amerikaner George Bush umgebaut. Höchste Sicherheitsstufe gilt auch rund um den Bayerischen Hof, wo Francois Mitterrand absteigt, oder im Vier Jahreszeiten, dem Domizil von Helmut Kohl.

Auf diversen Dächern der Innenstadt werden Scharfschützen postiert. Die City wird für Münchner und Touristen in der heißen Gipfelphase weitgehend geschlossen. Selbst weit vor der Stadt müssen sich Bahnreisende und Autofahrer auf Kontrollen einstellen: Potentielle Aufrührer sollen bereits in den Zügen oder auf den Autobahnen abgefangen werden und in den sogenannten Unterbindungsgewahrsam kommen. Diese Spezialität erlaubt den Ordnungsbehörden, mögliche Störenfriede bis zu zwei Wochen lang vorsorglich in Haft zu nehmen.

Auch auf die vielen Flüchtlinge in der Stadt hat die Polizei ein scharfes Auge geworfen. Wochenlang geisterte sogar das Gerücht durch die Boulevardpresse, nigerianische Söldner des libyschen Revolutionsführers Gaddafi seien, getarnt als Asylanten, nach Bayern eingesickert. Anlass waren vier Nigerianer, die im Herbst vergangenen Jahres versucht hatten, als Touristen einzureisen, aber am Flughafen zurückgewiesen wurden, weil sie sich damit gebrüstet hatten, in Gaddafis Truppe gedient zu haben.

Einen wahren Hort der Verschwörung hat Innenstaatssekretär Günther Beckstein in seiner Heimatstadt Nürnberg lokalisiert. Dort betreiben Autonome im Kommunikationszentrum KOMM ein Cafe mit dem verräterischen Namen Molotow.

Gegenüber dem KOMM haben bayerische Ordnungshüter noch eine alte Rechnung offen: Vor elf Jahren blamierten sie sich bundesweit, als sie auf einen Schlag 141 Jugendliche ohne triftigen Grund verhafteten – eine Aktion, die später von der Justiz als völlig überzogen verurteilt wurde.

Als jetzt V-Leute der Polizei im KOMM ein Rundschreiben abfingen, das unter dem Motto „Die imperialen Schweine zum Teufel jagen“ zum Vorbereitungstreffen gegen den Münchner Gipfel einlud, analysierten Staatsschützer im Innenministerium prompt, das KOMM sei das „Zentrum der gewaltbereiten Gruppen in Bayern“.

„Diesen Leuten werden wir die Treffen etwas unbequemer machen“, kündigte Beckstein an. Vor allem werde die Polizei bei den Versammlungen auf ihrem Teilnahmerecht nach Paragraph 12 des Versammlungsgesetzes bestehen – wenn es sein müsse, auch mit Gewalt.

Mit ihren massiven Einsätzen wollten die Sicherheitskräfte die Gipfelgegner „einschüchtern und kriminalisieren“, sagt die Münchner Bürgermeisterin Sabine Csampai. Die Grünen-Politikerin, die selbst zu den Förderern eines Gegengipfels zählt, prophezeit, dass das „Gerangel bis zum Wirtschaftsgipfel weitergeht“.

„Münchner, flieht vor dem Gipfel!“ riet derweil die Boulevardzeitung tz ihren Lesern: „Fahren Sie in Urlaub und versuchen Sie anschließend, die Politshow als besondere Belastung von der Steuer abzusetzen.“


Der Spiegel 21 vom 18. Mai 1992, 63 ff.