Materialien 1992

Lieber Weiber-Wirtschaft als GeldHERRschaft

1992 ist das Jahr mehrerer offizieller politischer Ereignisse, beginnend im Juni mit der UNO-Umweltkonferenz in Rio de Janeiro, gefolgt vom Weltwirtschaftsgipfel (WWG) in München vom 6. bis 8.7.’92, am 12. Oktober dem Höhepunkt der Feierlichkeiten zu 500 Jahre Kolonisierung Amerikas und schließlich mit dem Jahresbeginn 1993 die offizielle Einführung des EG-Binnenmarktes.

Diese Ereignisse sind Ausdruck eines Systems der rassistischen Vernichtung, Ausbeutung und der Durchsetzung eines weiß-westlich-männlichen Weltbildes.

Zentrales Ereignis für uns hier in München wird der WWG sein. Der Weltwirtschaftsgipfel, auch G7 genannt (Gruppe der 7, nämlich der sieben reichsten Industrienationen) findet seit 1975 jährlich als Treffen der jeweiligen Staatschefs sowie der Außen- und Wirtschaftsminister statt. Während es in der Extrarunde der Wirtschaftsminister darum geht, die internationalen wirtschaftlichen Regulierungsmechanismen abzustimmen, verhandeln die Regierungschefs die übergeordneten politischen Themen. Insgesamt ist zu sagen, dass der WWG eine Veranstaltung zur Machtdemonstration der Industrienationen ist. Es gibt eine lange Tradition von Kampagnen gegen den WWG, die von breiten Bündnissen gemischtgeschlechtlicher Gruppen getragen werden.

Innerhalb dieses nahezu die gesamte Welt umfassenden Systems sind Frauen bestimmte Rollen zugeteilt. Deshalb ist es wichtig, dass wir als Frauen unsere Themen von unserem Standpunkt aus vertreten, und nicht nur als quasi „Unterthema“ innerhalb der allgemeinen Gegenkampagne. Weltwirtschaftsordnung ist nichts Abstraktes, sondern bestimmt unser alltägliches Leben und die verschiedenen Funktionen, die Frauen weltweit erfüllen sollen. Darüber hinaus wollen wir zum Thema machen, dass weiße Frauen von diesem System auch profitieren.

Wir verstehen das Treffen als Möglichkeit, Vorstellungen und Ideen auszutauschen, und eine Koordination aller Frauen/Lesben(-gruppen) zum Weltwirtschaftsgipfel aufzubauen. Abgesehen von diesem konkreten Anlass gilt unser Interesse einer Vernetzung untereinander, um politisch handlungsfähig zu werden.

Die Frauenkoordination plant bisher, auf dem in München stattfindenden Gegenkongress zum WWG am Sonntag, 5. Juli, ein Frauenforum abzuhalten, auf dem die vom gemischt organisierten Gegenkongress eingeladenen Referentinnen zum Thema „Wo stehen wir weltweit mit unseren feministischen Ansätzen“ sprechen sollen. Desweiteren ist ein Veranstaltungsreihe in Vorbereitung, zu der bisher folgende Themen vorgeschlagen wurden: Bevölkerungspolitik, Rassismus, 500 Jahre Kolonialismus, Frauen in der DDR, in der Türkei, Frauen und Militarismus, Gen- und Reproduktionstechnologie, Situation der Flüchtlinge, Situation in der CSFR, EG-Binnenmarkt, Arbeitssituation für Frauen in der „3. Welt“, unser Blick auf fremde Frauen, Sextourismus, Abschlussveranstaltung zum WWG. Außerdem organisiert die Frauenkoordination eine 8.-März-Demonstration unter dem Motto: Lieber Weiber-Wirtschaft als GeldHERRschaft.

Die Demonstration soll am 8. März um 15 Uhr auf der Postwiese in Haidhausen beginnen. danach findet ein Fest in der TU statt.


Stadtratte 9 vom Februar/März 1992, 25.