Materialien 1992
Humanistische Union fordert Namenschilder für Polizisten
Als Reaktion auf die brutalen Übergriffe der Polizei auf die Demonstranten gegen den Wirtschaftsgipfel im Juli in München hat die Humanistische Union (Landesverband Bayern) den Bayerischen Landtag und Innenminister Stoiber aufgefordert, alle Polizeibeamten und Polizeibeamtinnen im Einsatz mit Namens- oder Nummernschildern zu kennzeichnen. Da die Polizeiführung offensichtlich nicht in der Lage sei, die Vollzugsbeamten zu einem absolut rechtsstaatlichen und deeskalierenden Verhalten bei Demonstrationen auszubilden, müsse der Bürger besser vor Polizei-Übergriffen geschützt werden. Die Täter dürfen sich nicht anonym hinter ihrer Polizeiuniform und ihrem vermummenden Schutzhelm verstecken.
Wolfgang Killinger, Sprecher der HU Bayern, weist darauf hin, dass die meisten der bei dem „Münchner Kessel“ misshandelten Demonstranten vor Gericht in Beweisnot kommen werden, da sie die Namen ihrer Peiniger nicht kennen. Wie bei ähnlichen Anlässen in der Vergangenheit, z.B. bei einer Hausbesetzung in München 1981 oder bei Demonstrationen in Wackersdorf 1987, wird es Monate später kaum mehr möglich sein, die durch ihre Kampfanzüge mehr oder wenig vermummten Polizisten zu identifizieren. Die vom Grundgesetz vorgeschriebene Rechtsweggarantie laufe damit ins Leere.
Nur durch Namensschilder können Straftaten im Amt geahndet werden, nur so können Polizeibeamte und -beamtinnen, die sich streng an die rechtlichen Maßstäbe halten, vor denen geschützt werden, die durch Brutalität und Amtsmissbrauch den Ruf der Polizei verspielen. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der bewaffneten Polizisten müsse hinter das Recht der Bürger vor Missbrauch der staatlichen Waffengewalt zurückstehen.
Die vom Bayer. Innenministerium entgegengehaltene Anweisung, wonach sich der leitende Beamte gegenüber dem Betroffenen ausweisen müsse, ist wirkungslos, wenn der nicht neben dem prügelnden Polizisten steht. Den der Humanistischen Union bekannt gewordenen betroffenen Demonstranten war am 6. Juli 1992 in München verwehrt, sich an Ort und Stelle an die Einsatzleitung zu wenden, um den Namen des sie misshandelnden Beamten zu erfahren. Denn sie wurden zuvor zur Vernehmung weggeschleppt.
Die von verschiedener Seite behauptete Gefahr, Namensschilder würden zu vermehrten Rachehandlungen oder falschen Anschuldigungen führen, sind nach Auffassung der Humanistischen Union unbegründet. Denn würde das Argument zutreffen, dann müssten auch andere Beamte wie z.B. Richter, Staatsanwälte, Finanzbeamte und Lehrer, deren Namen den Betoffenen ja immer bekannt sind, vermehrt Opfer solcher Handlungen sein. Darüber existieren keine statistischen Beweise.
Evident dagegen sind positive Erfahrungen bei Versuchen mit Namensschildern in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. Die Schilder trugen zur Entspannung bei Kontakten zwischen Vollzugsbeamten und Bürgern bei. Die zitierten negativen Begleiterscheinungen sind nicht beobachtet worden.
27. Juli 1992
Mitteilungen der Humanistischen Union 139 vom September 1992, 60 f.