Materialien 1993

Die Schwabinger Friedensinitiative

Die Schwabinger Friedensinitiative wurde vor dem Ostermarsch 1982 anlässlich der geplanten Stationierung der Mittelstreckenwaffen Pershing II und Cruise Missiles von sechs besorgten Schwabinger Bürgerinnen und Bürgern gegründet. Zunächst hatte die Initiative einen eigenen gemütlichen Laden, in dem sich manchmal bis zu hundert Leute drängten. Dann erhielt sie Asyl bei der evangelischen Erlöserkirche. In dieser Zeit zählten fünfzig Frauen und Männer zum „harten Kern“; sie trafen sich regelmäßig in sechs Arbeitsgruppen. In der „Betriebsgruppe“ bemühte man sich um Kontakte zu Betriebsräten der in und um Schwabing angesiedelten Firmen (z.B. Buchge-
werbehaus und BMW), um die friedenspolitischen Forderungen auch in den Gewerkschaften zu verstärken. Die „Blockadegruppe« organisierte Blockaden militärischer Einrichtungen, hier be-
sonders der geplanten Stationierungsorte neuer Raketen, als Akt des zivilen Widerstandes. Einige Frauen und Männer der FI (= Friedensinitiative) blockierten den Raketenstandort Mutlangen, was mit Strafverfahren geahndet wurde. Viele Mitglieder begannen damals an der demokratischen Substanz des Staates zu zweifeln.

Neben den friedenspolitischen Themen engagierte sich die Initiative auch in Fragen sozialer und demokratischer Grundrechte. So nahm sie an der Protestbewegung gegen die Volkszählung teil, ebenso am Widerstand gegen die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf (WAA), vor allem in Hinblick auf die Möglichkeit, aus der WAA waffenfähiges Plutonium zu gewinnen.

Die Schwabinger Friedensbewegung veranstaltete jedes Jahr im Advent und zu anderen passenden Gelegenheiten Mahnwachen am Siegestor zu wechselnden Themen. So beschäftigte man sich z. B. unter den Mottos „Keine Atomwaffenfabrik“ mit der geplanten WAA; „Feindbild abrüsten“ mit der programmatischen Aussage, dass die Aufrüstung zunächst ideologisch vorbereitet wird; „Stoppt den Krieg gegen die Armen!“ mit dem Weltwirtschaftsgipfel 1992, und mit „Asyl ist Menschen-
recht“ im Jahr 1992, wo gegen die Abschaffung des Grundrechts auf Asyl protestiert wurde.

Auch wird fast jedes Jahr eine Gedenkveranstaltung zum „Hiroshima-Tag“ organisiert. Im Jahr 1987 flatterte ein riesiges Transparent vom Siegestor mit der Aufschrift „Hiroshima 6. 8. 45, 8.00 Uhr“, mit dem gegen die Atomrüstung und deren Konsequenzen protestiert wurde.

Als die Friedensbewegung gegen Ende der 80er Jahre unter personellem Schwund litt, war auch die Schwabinger Initiative betroffen. Allen Auflösungserscheinungen zum Trotz hielt aber ein har-
ter Kern durch, da nach Meinung der Gruppe „die Existenz einer Friedensbewegung auch nach dem INF-Abkommen (Abkommen zur Abrüstung von Mittelstreckenwaffen zwischen den USA und der UdSSR) dringlicher denn je ist“. Als Teil der außerparlamentarischen Opposition nahm man 1992 natürlich auch an Gegenveranstaltungen zum Weltwirtschaftsgipfel der G 7 in München teil. In dessen Vorfeld fanden gut besuchte Veranstaltungen statt, die sich mit der Situation der Flücht-
linge, der Entwicklungshilfepolitik und der Weltwirtschaftsordnung auseinandersetzten.

Weiter beschäftigt sich die Initiative besonders mit drei Themenkomplexen: Verhinderung der Ab-
schaffung des Asylrechts, Information der Öffentlichkeit über out-off-area Einsätze der Bundes-
wehr und Situation im ehemaligen Jugoslawien mit Diskussion dieses Konflikts. Transparente mit den Losungen „Alle Menschen sind Ausländer – fast überall“, „Friede den Container-Lagern, Krieg den Palästen“ sowie „Medien, Staat und Polizei sind beim Zündeln dabei“ zeigten auch in Bonn die Auffassung der Schwabinger zur Asylrechtsänderung. Wichtiger Teil des sozialen Lebens der Grup-
pe sind Feste und Treffen außerhalb der politischen Arbeit. So geht man anschließend an die regel-
mäßigen Treffen in der Seidlvilla in die Kneipe. Das zehnjährige Bestehen der Gruppe wurde im Heppel & Ettlich gefeiert. Zu diesem Anlass trafen sich fast sechzig Leute wieder, die jahrelang zu-
sammen im Stadtteil Politik gemacht hatten. Die Initiative sucht weiter Frauen und Männer, die sowohl über theoretisches als auch praktisches Potential verfügen. Sie trifft sich jeden Montag in einem Raum des Bürgerzentrums Seidlvilla um 20 Uhr.


Reinhard Bauer, Schwabing. Das Stadtteilbuch, München 1993, 138 f.

Überraschung

Jahr: 1993
Bereich: AusländerInnen

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