Flusslandschaft 1964
Nazis
Die in der Öffentlichkeit vorherrschende Tabuisierung der NS-Vergangenheit schwindet. Der Eich-
mann-Prozess 1961/62 und der Auschwitz-Prozess 1964/65 bewirken eine Wendung im öffentli-
chen Bewusstsein vor allem der jüngeren Generation. Nachdem das Verbrecherische des NS-Systems beispielhaft vor Augen geführt wird, verliert die ältere Generation an Glaubwürdigkeit und Autorität. Im Juni wird Bundespräsident Lübke, dem seine Nazivergangenheit vorgeworfen wird, wiedergewählt.
Karl Friedrich Otto Wolff (geboren am 13. Mai 1900 in Darmstadt; gestorben am 15. Juli 1984 in Rosenheim), deutscher SS-Obergruppenführer und General der Waffen-SS, avancierte zum Chef des „Persönlichen Stabes Reichsführer-SS“ und „Verbindungsoffizier der SS zu Hitler“. Er war einer der erfolgreichsten SS-Karrieristen des NS-Regimes. Am 30. September 1964 verurteilt ihn das Landgericht München II wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 300.000 Fällen (Deportatio-
nen in das Vernichtungslager Treblinka) zu 15 Jahren Haft. Vor dem Münchner Justizpalast de-
monstrieren während des Prozesses Studenten, auf deren Schildern zu lesen ist: „Keine Verjährung für NS-Verbrechen!“ 1971 wird Wolff Haftverschonung wegen Haftunfähigkeit gewährt.
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Rolf Seeliger veröffentlicht im November im Selbstverlag Schriften, in denen er auf die national-
sozialistischen Karrieren von Hochschullehrern hinweist, die auch jetzt noch oder schon wieder im Amt sind. Dabei ist auch Kultusminister Prof. Dr. Theodor Maunz2. Mit diesen Veröffentlichungen gibt er der Diskussion um das „braune Erbe“ in Lehre und Forschung einen neuen Impuls.3 Auch an anderen Universitätsstandorten in der Bundesrepublik beginnen heftige Auseinandersetzungen mit kompromittierten Professoren.4
1 Archiv der Münchner Arbeiterbewegung
2 Siehe „Kunst/Kultur“ 1961.
3 Siehe „Braune Universität“; vgl. Rolf Seeliger, Braune Universität. Deutsche Hochschullehrer gestern und heute. 3 Bde., München 1964/1965.
4 So Dr. Rolf Eckart am 4. Mai 2009.