Materialien 1994

Fünf Minuten Rederecht für zigtausend EinwenderInnen

Nach einer Woche verließen die zweiunddreißig Organisationen und Initiativen des Bündnisses gegen den Atomreaktor Garching den Erörterungstermin. „Wir sind ausgezogen, weil unsere Kritik nicht gehört werden soll,“ so ein Sprecher auf der Demonstration vom 14. Mai und sein Fazit von dieser Show-Veranstaltung: „Frau Böhm-Amtmann [Leiterin des Erörterungstermins, d. Red.] ist eine sture Juristin, die stramm den Auftrag ihres Ministeriums erfüllt. Ihr Ziel war ein möglichst kurzer Erörterungstermin, um die Wahrheit nicht ans Licht kommen zu lassen“.

Psychologie und nicht Physik war bei diesem Erörterungstermin in der Rudi- Sedlmayer-Halle die entscheidende Wissenschaft. Die Forscher von der TU und Siemens wurden drei Wochen lang speziell psychologisch geschult, damit sie, wenn sie zu der Kritik der Bürgerinitiativen am FRM-II schon nichts entgegnen können, das zumindest überzeugend rüberbringen. Das Bayerische Umweltministerium ließ sich seine Psychobetreuung von der Firma IST des ehemaligen Münchner Polizeipsychologen Sieber einiges kosten: die Halle bekam einen rot-grünen Teppichboden, die BürgerInneninitiativen einen eigenen Raum mit Tischen und Stühlen, der Sicherheitsdienst den Befehl zu lächeln – kurz und gut: Bayern gab sich bürgerInnenfreundlich. Die Verhandlungsleiterin des Erörterungstermins Böhm-Amtmann agierte – angewiesen durch ständige Psychologenbetreuung – in den Verhandlungspausen auch sehr nett: Sie entschuldigt sich vorher, wenn die den SprecherInnen der Bürgerinitiativen das Mikro abdrehen lässt; sie bewundert die Geduld der GegnerInnen, so lange zu warten, und lässt sie trotzdem nicht reden; sie bedankt sich für zornige Kritik und nimmt dies zum Anlass, Paragraphen zu zitieren. Alle bisherigen Genehmigungsverfahren seien nicht nach Recht und Gesetz abgelaufen, sie mache das jetzt zum ersten Mal richtig. So bestimmte Böhm-Amtmann; wer wie lange reden durfte (was konkret hieß, fundierte Einwände in fünf Minuten – durch Zwischenfragen unterbrochen – herunterzuspulen), und dass keine Anträge der GegnerInnen angenommen wurden. Sie entschied auch, wann ein Tagesordnungspunkt erschöpft ist, dass wichtige Themen unter Sonstiges abgehandelt werden und, ob TU und Siemens auf Kritik und Fragen antworten sollen. „Als Antragsteller haben wir uns an dem für mündige Bürger unwürdigen Theater der Profi-Einwender sowie deren Rechtsbeiständen nicht beteiligt“, die den Erörterungstermin „zu einem maßlosen Schauspiel arroganter Selbstdarstellung“ benutzt hätten, so die Diffamierungen der TU.

Mit dieser Verhandlungsführung war klar, dass die GegnerInnen des FRM-II nicht mal ihre Meinung äußern durften. Die Bürgerinitiative gegen den Atomreaktor Garching stellt dies in eine Reihe mit der Herrschaftsausübung wie Gummiknüppel und Videokameras – wenn auch subtilerer Art. Mit dem Auszug vom Erörterungstermin entstand die Idee eines alternativen Erörterungstermins, der vermutlich im Herbst stattfinden wird. „Unsere Kritik an dem Garchinger Reaktor soll endlich offen zum Ausdruck gebracht werden können und wir wollen ein Beispiel setzen für eine demokratische Diskussionskultur“, so die BI.

„Die Technische Universität ist mit dem sachlichen Teil des Erörterungstermins im atomrechtlichen Genehmigungsverfahren für den FRM-II zufrieden. Alle wesentlichen Einwendungen wurden angesprochen und durch die TU gegenüber den Genehmigungsbehörden beantwortet“ so das dreiste Fazit zum Abschluss des Erörterungstermins am 12.5. von Prof. Böning (TU) und Rechtsanwalt Steiniger von Siemens. Klar, dass die TU davon ausgeht, dass die atomrechtliche Genehmigung nach Prüfung der Gutachten erteilt wird. Die wird wohl auch bald kommen, schließlich soll im Frühjahr 1995 mit dem Bau des FRM-II begonnen werden. Die BürgerInneninitiative gegen den Reaktor will nach der Genehmigung Klage einreichen, damit zumindest der Baubeginn verschoben werden muss.

Mit der Lieferungsweigerung der USA für hochangereichertes Uran ist der FRM-II noch nicht verhindert. Dieser Stoff ist in Russland, wo bereits Kaufgespräche stattfanden, in England und Frankreich (in Grenoble steht auch ein Neutronen-Forschungsreaktor) zu haben. Die USA tun sich gerade darin hervor, den Handel und die Verbreitung von hochangereichertem Uran zu unterbinden und die Nicht-Benutzung desselben für Forschungsreaktoren (wie das Programm von Carter 1978 festschreibt) zu verhindern. Entsprechend haben sie ihren Einfluss auf diese Staaten ausgenutzt, um eine Verkaufsverhinderung durchzusetzen. Allerdings haben die USA gerade selber einen Forschungsreaktor in Planung, der mit hochangereichertem Uran betrieben werden soll.

Trotzdem sieht es auch aufgrund des Protestes von WissenschaftlerInnen so aus, als ob der Reaktor in der geplanten Form, d.h. mit waffenfähigem Uran, vielleicht nicht gebaut wird. Bei einer Planungsänderung müsste das gesamte Verfahren )… neu aufgerollt werden, und auch die Kosten würden damit wieder in die Höhe schnellen.

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Weitere Informationen bei: „Bürger gegen Atomreaktor Garching e. V.“ Danzigerstr. 19, 85718 Garching


Stadtratte 22 vom Juni/Juli 1994, 6.

Überraschung

Jahr: 1994
Bereich: Atomkraft

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