Flusslandschaft 1994

Atomkraft

Am 22. Januar protestieren die Bürger gegen Atomreaktor Garching e.V. und weitere Atomkraft-
gegner und – gegnerinnen, unterstützt von der Münchner Ruhestörung, vor dem Forschungsre-
aktor in Garching. – Am 5. März gründet sich das Bündnis gegen den Atomreaktor Garching mit über zwanzig europaweiten Organisationen; es will den Bau des Forschungsreaktors München II (FRM II) verhindern. – Freitag, 29. April: Die Frauenunion München-Land (CSU) unter Führung von Monika Hohlmeier wirbt ab 15 Uhr im Bürgerhaus für den FRM II. Das Motto: „Damit es wirk-
lich allen Frauen möglich ist, sich hier zu informieren und ihre Meinung einzubringen.“ Dagegen planen AtomkraftgegnerInnen eine Demonstration mit Infoständen auf dem Bürgerplatz schon um 14 Uhr.

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Vor dem Erörterungsverfahren am 3. Mai

Zweiunddreißig Organisationen und Initiativen mobilisieren gegen den neu geplanten Atomreak-
tor in Garching. Am 3. Mai, Dienstag, beginnt der Erörterungsverfahren zum Bau des Garchinger Atomforschungsreaktor FRM II in der Rudi-Sedlmayer-Halle. Um 9 Uhr findet vor dem Hauptein-
gang eine Kundgebung statt. Ab 10 Uhr wollen sich etwa 1.000 Einwenderinnen und Einwender mit ihren Einwänden zu Wort melden. Die Leitung hat wieder Frau Edeltraud Böhm-Amtmann, Ministerialrätin im bayrischen Staatsministerium für Landesentwicklung und Umweltfragen, die nicht zuletzt durch ihre blau gefärbten Haare auffällt. Offenbar will sie, dass das Debakel der Anhö-
rung vom Januar 1993 in Augsburg sich nicht wiederholt. Einige äußere Voraussetzungen stimmen zunächst versöhnlich. Die Verhandlungsführung besteht aber zunehmend darauf, dass nach der von ihr beschlossenen Tagesordnung vorgegangen wird. Sowohl ein Gast aus Österreich wie auch Vertreter von Kommunen können keine zusammenhängenden Statements abgeben. Am 5. Mai, Donnerstag, verlassen die Vertreter des Bündnisses gegen den Atomreaktor unter Protest gegen die undemokratische Verhandlungsführung von Frau Böhm-Amtmann die Halle. Am 9. Mai, Mon-
tag, verlässt auch Umweltschutzreferent Joachim Lorenz im Namen der Stadt München das Hea-
ring.2 – Ein Luftballonwettbewerb soll die latenten Gefahren aufzeigen. Auf den an den Luftbal-
lons befestigten Karten steht: „Ich will Dir mit meinem Luftballon zeigen, wie weit im Falle einer Katastrophe die radioaktive Verseuchung mindestens reicht, wenn in Garching bei München ein neuer Atomreaktor gebaut wird. Ich will verhindern, daß so etwas passiert und denke, Du auch! Schicke deshalb diese Karte frankiert mit Deiner Adresse an unsere Bürgerinitiative zurück. Wir nehmen dann beide an einer Verlosung teil und gewinnen vielleicht einen Preis.“ Am 1. Mai 1995 findet die Preisverleihung des Luftballonwettbewerbs statt: „Im Rahmen der Garchinger Umwelt-
woche übergeben Astrid Leis und Ingrid Wundrak Gutscheine für den Dritte-Welt-Laden, Kasset-
ten und Schirme mit dem Aufdruck „I mog koan Reaktor“. Auf Rang eins landet der Münchner Dominik Zens. Sein Luftballon kam aus Polcenigo in Italien zurück. Er flog 256 km weit. Den zweiten Platz belegt Polina Burkhart, deren Ballon 207 km weit bis nach Österreich geweht wurde. Der drittweiteste flog ebenfalls nach Österreich, immerhin 176 km weit. Die weiteren Plätze gehen an Marlene Schlenker aus Lohhof, den Garchinger Julius Adorf und den Münchner Markus Lang.“3 – Samstag, 14. Mai: Etwa fünfzig Kernkraftgegner demonstrieren ab 10 Uhr mit einem Fahrrad-Corso von der Siemens-Zentrale am Wittelsbacherplatz zum Garchinger Bürgerplatz, wo neben den Infoständen der AtomkraftgegnerInnen eine Zwischenkundgebung stattfindet. Um 13.30 spricht schließlich Karin Wurzbacher vor dem Garchinger Atomei. – 6. September: Die Firma Siemens erhält trotz zahlreicher Schmiergeldaffären den Generalunternehmervertrag zum Bau des FRM II, obwohl noch keine Baugenehmigung erteilt ist. Kosten des Atomreaktors: 720 Mio DM. Der Haushaltsausschuss des bayrischen Landtags bewilligt trotz der Proteste der Oppo-
sition 720 Mio DM für den Bau des Reaktors, obwohl noch keine atomrechtliche Genehmigung vorliegt. Bis vor einem halben Jahr waren die Kosten noch um 200 Mio DM weniger veranschlagt. Über 3 Mio DM fließen ausschließlich in die Öffentlichkeitsarbeit, um die Akzeptanz des Projekts in der Bevölkerung zu erhöhen. Die jährlichen Betriebskosten sind mit 22 Mio DM veranschlagt.

Am 1. Februar genehmigt das bayrische Umweltministerium den Einsatz von MOX-Brennelemen-
ten. Am gleichen Tag verteilt Karin Wurzbacher ein Protestflugblatt vor den Isar-Amperwerken anlässlich der Jahreshauptversammlung der Aktionäre. – Jeden Sonntag veranstalten Atomkraft-
gegnerinnen und –gegner vor dem Atomkraftwerk Gundremmingen ab 15 Uhr eine Mahnwache. Am 6. Februar besuchen die Münchner Mütter gegen Atomkraft (MgA) die Mahnwache.4

Zum achten „Tschernobyltag“, Dienstag, 26. April, betreuen David gegen Goliath und die seit Tschernobyl aktiven Mütter gegen Atomkraft (MgA) Infostände auf dem Marienplatz. Um 17.30 Uhr kommt es zur traditionellen Familiendemonstration.

Das Büro der MgA befindet sich seit Juli in der Frohschammerstraße 14 in Milbertshofen. Die Bürgerinitiative kann auf eine ausgefeilte Organisationsstruktur verweisen.5

Dienstag, 15. November: Der Bund Umwelt und Naturschutz (BUND) sowie die Ärzte gegen den Atomkrieg (IPPNW) demonstrieren vor der Siemens-Zentrale auf dem Wittelsbacher Platz. Mit 5.000 Luftballons verweisen sie auf ihren Erfolg, dass Siemens 20 Millionen DM Verlust beim Verkauf medizintechnischer Geräte zu verzeichnen habe. Solange der Konzern aus der Nuklear-
technik nicht aussteige, gehe der Boykott weiter.

Siehe auch „CSU“.


1 Foto: Cornelia Blomeyer (www.cornelia-blomeyer.de)

2 Siehe „Gedanken – Fetzen – Erörterung FRM II – Mai 1994“ von Gio Göring, „Unnötige Risiken“ von Hans Ackermann, „Fünf Minuten Rederecht für zigtausend EinwenderInnen“ und „Erörtern nicht erlaubt!“ von Christina Hacker.

3 www.frm2.de.

4 Siehe die Bilder der „mahnwache“ vor dem Atomkraftwerk Gundremmingen am 6. Februar von Cornelia Blomeyer.

5 Siehe „mütter gegen atomkraft“.