Materialien 1994

Kriminalhauptkommissar Hans Brendel

Um die Mitte des Jahres 1998 ging der Kriminalhauptkommissar Hans Brendel in Pension. Unter der Überschrift „Tango corrupti für einen unbequemen Kommissar“ widmete ihm die Süddeutsche Zeitung einen großen Artikel. Hans Brendel hatte bei der Aufdeckung krimineller Handlungen im Bereich der Wirtschaftskriminalität Großes geleistet. Er war Leiter der Sonderkommission „Bayerische Raiffeisenzentralbank“, deckte die Schmiergeldzahlungen beim Bau von 230 Kläranlagen sowie die Schmiergeldaffäre beim Bau des Münchner Flughafens auf, die 1991/1992 als (erste) Siemens-Bestechungsaffäre bekannt wurde. Damals ergingen nahezu 300 Verurteilungen. Der hoch angesehene Kriminalbeamte hielt bundesweit Vorträge über Korruption.

Erstmals öffentlich bekannt wurde Brendel dadurch, dass er gerade über Korruption nicht reden durfte. Am 2. April 1994 sollte er in der Universität München einen Vortrag halten mit dem Titel „Wirtschaftskriminalität in München – München im Filz von Bürokratie, Wirtschaft und Politik“. Doch ein hoher Herr griff ein: Auf Veranlassung des Generalstaatsanwalts Hermann Froschauer wurde Brendel der Vortrag vom Polizeipräsidium Oberbayern untersagt.

Der Skandal war perfekt, der Generalstaatsanwalt kam groß in die Presse. Für dieses Verbot gab es keine Rechtsgrundlage. Nach Artikel 74, Absatz 1, Nummer 4 des Bayerischen Beamtengesetzes war Vortragstätigkeit einem Beamten erlaubt. Sie konnte nur dann untersagt werden, wenn der Beamte dabei Dienstpflichten verletzte. Dafür aber gab es keinerlei Anhaltspunkte. Zudem hatte Brendel vorher schriftlich versichert, dass er nicht über laufende Verfahren sprechen würde.

Dennoch trumpfte der Generalstaatsanwalt öffentlich auf. Die Leitung von Ermittlungsverfahren läge bei der Staatsanwaltschaft. Deshalb habe nur sie über Mitteilungen hierzu zu entscheiden. Das allerdings galt nicht, wenn der ganze Fall abgeschlossen war. Der Generalstaatsanwalt nahm den Kriminalhauptkommissar per Telefax auch noch persönlich ins Visier. „Herr Brendel redet zu viel …«“ Froschauer hätte sich sicher nicht so weit aus dem Fenster zu hängen gewagt, wenn er nicht die Rückendeckung des Justizministeriums gehabt hätte, genauer: die des Justizministers.

Im Übrigen hielt der Herr Generalstaatsanwalt selbst am 14. Januar 1997 in der Münchner Juristischen Gesellschaft einen Vortrag über das Thema „Bekämpfung der Korruption“.

Überhaupt wusste die Süddeutsche Zeitung Seltsames aus dem Zuständigkeitsbereich des Generalstaatsanwalts zu berichten: „Sobald ein Referatsleiter der Staatsanwaltschaft im Schmiergeldgeflecht auf brisante Personen aus Konzernen, Behörden oder aus einer bestimmten Partei stieß, wurde er versetzt.“ Brendel habe man schon lange bei seinen Ermittlungen zu behindern versucht, sogar durch Disziplinarverfahren.

Im Fall Siemens, so hieß es, habe die Staatsanwaltschaft seinerzeit keine Durchsuchung bei den Niederlassungen in Karlsruhe und Erlangen vorgesehen, sondern nur in München. Dort aber hätten von den Unterlagen große Teile gefehlt. Offenbar sei eine Vorwarnung erfolgt.

Brendel prangerte das Verhalten der Staatsanwaltschaft an. Vor Gericht sagte er 1992 aus: „Die Staatsanwaltschaft hatte uns angewiesen, alle Aktionen gegen Siemens mit deren Rechtsanwalt Professor Hammerstein abzusprechen. So etwas habe ich in 31 Jahren als Polizist vorher nicht erlebt.“

Nachdem Brendel den Anwalt Hammerstein davon unterrichtet habe, dass er am nächsten Tag bei Siemens in Erlangen nach einem Beleg für eine Schmiergeldzahlung suchen würde, sei der Beleg nicht mehr zu finden gewesen.

Was Brendel aussagte, war der klare Vorwurf der strafbaren Strafvereitlung und Rechtsbeugung. Da ein Verfahren gegen Siemens natürlich Chefsache war, richtete sich der Vorwurf, ohne dass Brendel dies ausdrücklich sagen musste, zugleich gegen den Generalstaatsanwalt Froschauer und den Justizminister. Verständlicherweise aber erhob die Staatsanwaltschaft keine Anklage gegen ihre eigenen Vorgesetzten – so etwas war im Justizsystem nicht vorgesehen.

Und noch einen weiteren Justizskandal rügte Brendel öffentlich über Presse und Rundfunk. Ende 1992 gab es einen riesigen Münchner Schmiergeldskandal, die Zentralfigur war der Elektrogroßunternehmer Helmut Schmid (Firma Elsid). Er wurde zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt (vom Bundesrechnungshof geschätztes Vermögen: 300 Millionen Mark). Doch während 34 andere Verurteilte in Haft saßen, erhielt Helmut Schmid unverzüglich Freigang, ganz entgegen der allgemein üblichen Vorgehensweise. In Freiheit absolvierte er ein dichtes Programm, nämlich zweimal in der Woche Massage und bei der Volkshochschule Augsburg den Besuch eines Computerkurses. Nur zur Übernachtung kehrte er in die Strafanstalt zurück. Brendel damals: „Das ist ein Saustall. In 36 Jahren Dienstzeit habe ich so etwas nicht erlebt.“ CSU-Mitglied Brendel machte auch klar, dass die Anweisung von Schmids Freigang „von ganz oben“ kam – das habe ihm der Anstaltsleiter des Gefängnisses gesagt. Der zuständige Oberstaatsanwalt Stocker kommentierte den Freigang Schmids mit den vielsagenden Worten: „Ein ungewöhnlicher Fall.“ Damit bestätigte er, dass die Beschwerde Brendels begründet war.

Von ganz oben – das bedeutete, dass die Weisung der Generalstaatsanwalt erteilt hatte, sicher in Absprache mit dem Justizministerium. Das öffentliche Vorbringen Brendels zum Fall war wiederum nichts anderes als der Vorwurf der Strafvereitlung. Daher war es durchaus nachvollziehbar, wenn der Generalstaatsanwalt rügte, Brendel rede zu viel.

Freilich kann nicht angenommen werden, dass das Justizministerium und der Generalstaatsanwalt von sich aus auf die Idee gekommen wären, Helmut Schmid entgegen allen Regeln Freigang zu gewähren. Dazu bedurfte es schon eines Anstoßes von außen. Da Helmut Schmid enge Beziehungen zu Politikern hatte, liegt es nicht außerhalb jeder Lebenserfahrung, anzunehmen, dass die Anregung von dorther kam.

Vergleicht man die beruflichen Schicksale des Staatsanwalts Winfried Maier, des Regierungsdirektors Fischer-Stabauer, der Steueramtsrätin Ingrid Meier, des Kriminalhauptkommissars Hans Brendel und mein eigenes, so stellt man fest, dass sie sich in verblüffender Weise ähneln. Dies gilt insbesondere für die persönliche Diffamierung und Maßregelung seitens hoher Amtsträger, aber auch für die massiven Vorwürfe rechtswidriger Eingriffe von hoher Hand.


Wilhelm Schlötterer, Macht und Missbrauch. Franz Josef Strauß und seine Nachfolger. Aufzeichnungen eines Ministerialbeamten, Köln 2009, 315 ff.

Überraschung

Jahr: 1994
Bereich: Bürgerrechte

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