Materialien 1994
Ohne Schmiergeld läuft nichts
„Elektromafia“ zieht Manager und Politiker in Sumpf der Korruption
Heftig wurde in dem Sumpf herumgestochert, der sich rund um das Münchner Rathaus ausgebreitet hat. Da immer wieder neue oder auch alte Bestechungsaffären in städtischen Ämtern ans Licht kamen, hatte sich der neue Oberbürgermeister Christian Ude gezwungen gesehen, eine Sonderkommission einzusetzen und selbst ein Bündel trüber Akten auf den Tisch zu legen. An Straf- und Disziplinarverfahren in Sachen Korruption war kein Mangel.
Die Mühlen der Justiz hatten sich in Bewegung gesetzt. Nach Auskunft des bayerischen Innenministeriums von Februar 1994 liefen 85 Ermittlungsverfahren in Kommunen wegen unzulässiger Preisabsprachen, nachdem bereits 52 von über 400 Beschuldigten abgeurteilt wurden. Schwerpunkt war München, und hier waren hauptsächlich Würdenträger der CSU betroffen, ehemalige und noch amtierende. Aber auch hohe Manager gerieten in den Sumpf. Neun Topleute von Siemens saßen bereits auf der Anklagebank. Sie hatten 680.000 Mark für einen städtischen Millionenauftrag auf ein Schweizer Nummernkonto eingezahlt; die „Provisionen“ flossen in die Taschen federführender Amtspersonen. Schon am ersten Verhandlungstag hatte ihr Verteidiger Steffen Ufer den denkwürdigen Satz gesprochen: „Man muss davon ausgehen, dass wir eine Bananenrepublik sind und kein Bauvorhaben im öffentlichen Bereich ohne Schmiergeld läuft.“ Auch beim Bau des neuen Großflughafens hatte eine „Elektromafia“ durch gegenseitige Angebotsabsprachen Aufträge von 80 Millionen Mark ergattert, wobei drei Prozent Schmiergeld üblich waren.
Korruption hatte plötzlich Konjunktur. Staatsanwälte, speziell geschulte Kriminalbeamte, danach auch Richter bekamen reichlich zu tun. Als die Fälle Anfang 1994 kumulierten, lud eine Münchner Studenteninitiative zu einem Vortrag unter dem griffigen Titel „Krawatten, Klüngel, Korruption“. Hans Brendel, Leiter der „Soko Bestechung“ beim Polizeipräsidium Oberbayern, wollte darstellen, wie der Ballungsraum München allmählich „im Filz von Bürokratie, Wirtschaft und Politik“ zu ersticken droht.
Doch dazu kam es nicht. In letzter Minute „konnte dem Referentenwunsch im Einvernehmen mit der Staatsanwaltschaft und dem Innenministerium nicht entsprochen werden“, hieß es von Amts wegen. Man habe befürchten müssen, dass Fakten aus laufenden Verfahren besprochen werden. Kommissar Brendel durfte auch keine Interviews mehr geben.
So viel war jedenfalls bekannt geworden: Ein Ermittlungsverfahren wegen Falschaussage und Steuerhinterziehung lief gegen Erich Kiesl (63), Oberbürgermeister von 1978 bis 1984. Der spätere Rechtsanwalt, Landtagsabgeordnete und Ehrenvorsitzende der Münchner CSU wurde beschuldigt, zusammen mit Parteifreunden eine Treuhandfirma, einer der ehemals größten Außenhandelsbetriebe der DDR, durch Finanztricks ruiniert und dann einige Millionen kassiert zu haben. Auch von Geldwäsche, Prozessbetrug und Falschaussagen war die Rede.
Als Kronzeugen des Staatsanwalts standen im Fall Kiesl drei seiner damaligen Geschäftspartner zur Verfügung, die im Juli 1993 wegen Veruntreuung zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt worden waren, darunter der Ex-CSU-Stadtrat Hans-Joachim Gaub. Die faulen Millionengeschäfte soll der Münchner Immobilienhändler Erich Kaufmann eingefädelt haben. Dieser schillernde Mann, der sich in der City ein „Antic Haus“ leisten konnte, war 1991 in seinem Haus am Tegernsee von einem Hausmeister, der laut Brendel „einen Reibach“ machen wollte, erschlagen worden.
Vorher und nachher aber war sein Name wiederholt im Zusammenhang mit dunklen Affären aufgetaucht. Eine seiner Holdings in der Schweiz war zu 50 Prozent an einem Münchner Lokal namens „Wardar-Grill“ beteiligt. Und dieses war nach Feststellung der Grenzpolizei ein „zentraler Treffpunkt für ausländische Straftäter“. Zu den Stammgästen gehörten Diebe, Hehler, Drogenhändler und Zuhälter. Nach Ermittlungen der Staatsschützer wurden hier auch Waffen für den Balkankrieg gehandelt.
Trotzdem hat sich der türkische Clan Ylmaz, der diese und eine andere Spelunke betrieb, nach Erkenntnis eines Oberstaatsanwalts „besonders gut“ mit Beamten des Münchner Kreisverwaltungsreferats, der obersten Münchner Ordnungsbehörde, verstanden. Den Leiter der Gaststättenabteilung, Gerhard Nickel, lud Ylmaz zum Urlaub in die Türkei ein, er verköstigte ihn kostenlos und „verkaufte“ ihm drei Wohnungen zu einem Spottpreis. Auch gegen diesen ungetreuen Beamten wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, nachdem ihn die Stadt ins Bestattungsamt versetzt hatte. Ein weiterer Verwaltungsamtmann, dem der Türke einen Jugoslawienurlaub bezahlt hatte, wurde disziplinarisch belangt.
Doch nicht nur die beiden Stadtbeamten sollen ihre tolerante Hand über dieses verbrecherische Milieu gehalten haben, sondern auch ihr politischer Amtschef, der damals Peter Gauweiler hieß. Diesen Verdacht brachte kein Geringerer als Oberbürgermeister Ude auf einer Pressekonferenz an die Öffentlichkeit. In alten Akten entdeckte er Hinweise darauf, dass „immer großzügigere Genehmigungen erteilt wurden, je mehr diese Gaststätte als Treffpunkt von Kriminellen in Verruf geriet“. So hat ein Sachbearbeiter vermerkt: „Anruf von Hr. Dr. Gauweiler; Sperrzeitverkürzung für Samstage soll gegeben werden.“
Nach und nach wurde die Polizeistunde für den Ganoven-Grill, in dem es auch mal zu Schießereien mit der Polizei kam und sogar eine Bombe explodierte, bis 3 Uhr früh verlängert, obwohl der Bezirksausschuss dagegen ankämpfte und der Kreisverwaltungsreferent von einem Parteifreund nach den „Hintermännern dieses Unternehmens“ gefragt wurde. Dass auch Kaufmann am höchst ominösen „Wardar-Grill“ finanziell beteiligt war, stellte sich erst bei Udes Nachforschungen heraus. Ahmet Ylmaz, der schon zweimal ausgewiesen worden war, hat den Betrieb Ende 1990 wegen „beruflicher Veränderung“ aufgegeben.
Der Name eines möglichen Hintermannes tauchte erst im OB-Wahlkampf 1993 auf, den Ude über seinen Konkurrenten Gauweiler gewann: Erich Kaufmann habe nicht nur Kiesl begünstigt, sondern – so wurde gemunkelt – auch Gauweiler. Den hatte er jedenfalls bis zur Amtsübernahme 1982 als Anwalt beschäftigt. Ihm soll er von 1980 bis 1985 hochwertige Geschenke gemacht haben, was der OB-Bewerber Gauweiler, inzwischen bayerischer Umweltminister, energisch bestritt. Immerhin musste er sich wegen der Verpachtung des Mandantenstammes seiner Anwaltskanzlei für 10.000 Mark monatlich im Landtag rechtfertigen.
Was weiter geschah
Erich Kiesl wurde am 26. Mai 1998 nach vier Monate dauerndem Prozess vom Landgericht München der uneidlichen Falschaussage sowie der Beihilfe zu Bankrott und Untreue schuldig gesprochen und zu 20 Monaten Haft auf Bewährung und 45.000 Mark Geldbuße verurteilt. Im August folgte eine weitere Geldstrafe, weil der Alt-OB Vollstreckungsbeamte als „Arschlöcher“ und „Nazis“ beschimpft hatte. Im Juli 1999 verwies der BGH das Verfahren nach München zurück und befand, Kiesl habe, als er als Zeuge im Prozess gegen Gaub fünf Mal gelogen hat, offenbar einen Blackout gehabt, wie er bei bayerischen Politikern häufiger vorkomme. Am 2. Februar 2000 stufte das Landgericht die Bewährungsstrafe auf neun Monate und 9.000 Euro Buße herab. Im März meldete Kiesl Konkurs an; bei einer Bank stand er mit mindestens zwei Millionen Euro in der Kreide.
Peter Gauweiler trat im Februar 1994 auf Drängen von Ministerpräsident Stoiber als Umweltminister zurück. In der fraglichen Sache selbst kam er jedoch ungeschoren davon: Im Juli 1994 sprach die CSU zum Abschluss eines Untersuchungsausschusses den Parteifreund in den Kernpunkten frei, rügte aber sein Verhalten in der Kanzlei-Affäre; im Oktober stellte auch der Staatsanwalt die Ermittlungen ein, weil sich „keine zureichenden Anhaltspunkte“ für Vorteilsnahme im Amt ergeben hätten. Gauweiler (heute Bundestagsabgeordneter) wurde von Kaufmann „keineswegs gekauft, sondern sogar geschädigt“, bestätigt auch Hans Brendel, der längst im Ruhestand ist und trotzdem über seine Ermittlungen schweigen muss.
Diese hatten sich im Wesentlichen gegen die Raiffeisen-Zentralbank gerichtet, die Kaufmann, nachdem er von der Hypo nicht einmal 10.000 DM bekommen hatte, Kredite von insgesamt 360 Millionen Mark gegeben habe. Kurz vor der Ermordung beantragte Brendel Haftbefehl gegen Kaufmann, der nebenbei auch „Lehrmädchen serienmäßig verführt“ und Geschäftspartnern zugeführt habe. Die Hauptkorruption sei nur deshalb aufgedeckt worden, weil ein vietnamesischer EDV-Spezialist gewisse Spuren auf der Festplatte eines Computers gelöscht habe. Kaufmann sei aber nur einer von vielen Verdächtigen gewesen, mit denen sich seine Sonderkommission befasst habe. Schließlich habe er, Brendel, das Herumstochern im Korruptionssumpf aufgegeben.
Karl Stankiewitz, Weißblaues Schwarzbuch. Skandale, Schandtaten und Affären, die Bayern erregten, München 2019, 255 ff.