Materialien 1995

Stellungnahme einiger Leute aus dem Info- und Aktionstelefon gegen Rassismus

Wir sind vor kurzem durch einen Text von Örnie darüber informiert worden, dass er über zwei Jahre hinweg eine Frau sexuell missbraucht/vergewaltigt hat. Der Text unterschlägt u.a., dass sich die Frau gewehrt hat. Die Frau will nicht, dass der Text veröffentlicht wird, wir werden ihn deshalb nicht weiter verbreiten. (Wir nennen die Namen der betroffenen Frauen nicht, weil wir nicht über sie, sondern über die Täter sprechen wollen. Außerdem kann es nicht darum gehen, für das eigene Verhalten, immer die betroffenen Frauen heranzuziehen).

Das soziale Umfeld von Örnie (einige schon länger) und Teile der politischen Zusammenhänge,
in denen er war (MAAG und damalige Männergruppe), wussten seit Frühjahr 1994 von diesen Angriffen. Weder das soziale Umfeld noch Örnie zogen irgendwelche grundsätzlichen Konse-
quenzen. Die Angriffe gingen weiter, bis die Frau im Herbst den endgültigen Bruch mit ihm machte. Durch die Konsequenzlosigkeit von Örnie und seinem Umfeld ist die Frau quasi einer sozialen Isolierung ausgesetzt.

Seit nunmehr fast vier Wochen hängt im Infoladen ein offener Brief, in dem eine andere Frau öffentlich macht, dass Alan seit eineinhalb Jahren ständig über ihre Grenzen hinweggegangen ist, obwohl sie ausdrücklich formuliert hat, dass sie mit Männern keinerlei Körperkontakt haben will. Mindestens die Gruppe Hetepetete wusste davon bereits vor diesem Brief, ohne dass irgendwelche Konsequenzen sichtbar geworden wären.

Angesichts dessen halten wir die Diskussion beim letzten Ladenkrisenplenum über Sexismus von vielen Männern für ignorant und absurd angesichts der Realität.

Wir wollen nun einen Punkt setzen, mit dem NICHT-VERHALTEN brechen und Konsequenzen diskutieren – als Vorraussetzung für alles weitere.

1)

So wie es bisher läuft: alle wissen entweder alles, relativ viel oder ein bisschen was, aber keine/r zieht Konsequenzen und schafft die Basis, dass für die Täter nicht alles so weiterlaufen kann. Es gibt nur kleine kosmetische Veränderungen – die Offenbarungen bzw. die sog. „Auseinander-
setzungen“ sind Alibi zum Weiterwurschteln.

Wir kritisieren, dass sich scheinbar niemand verantwortlich fühlt, solidarisch mit den Frauen Konsequenzen zu ziehen, nicht einfach alles so weiterlaufen zu lassen. Es geht nicht darum, ein Exempel an Örni oder Alan zu statuieren, „sie in die Wüste zu schicken“, wie gleich von einigen befürchtet wird. Das Mitleid ist fehl am Platz.

Es geht darum, mit der MACHTROLLE der Täter zu brechen. D.h. Verzicht auf die Position in
den Strukturen, Angesagt ist für Männer, die sexuelle Gewalt zu verantworten haben erstmal was anderes, als einfach so weitermachen zu können. – Bruch mit ihrer Geschichte, Rolle und die ehrliche Bereitschaft Macht abzugeben und sich zu verändern. (Das gilt natürlich für alle Männer.) Angesagt ist für die Täter erstmal nur noch eine Auseinandersetzung darüber, was sie zu verant-
worten haben und sonst nichts. (Es gibt wesentlich geringere Anlässe sich zurückzuziehen und sich mit sich selbst zu beschäftigen, als zwei Jahre lang immer wieder in vollem Bewusstsein, was Mann macht, die Entscheidung für sexuellen Missbrauch/Vergewaltigung getroffen zu haben). Für das soziale Umfeld muss genau das als Ausgangspunkt für ihr Verhältnis zu den Tätern genommen werden. Alles weitere wird eine Auseinandersetzung zeigen.

Das bedeutet für die Täter: Raus aus allen politischen Gruppen und Strukturen und sozialen Treffpunkten. Die betroffenen Frauen müssen die Möglichkeit haben, alle (Szene)-öffentlichen Orte jederzeit benutzen zu können, ohne mit den Tätern konfrontiert zu sein.

2)

Es muss klar sein, welche Männer anhand welcher Kriterien eine Auseinandersetzung mit
den Tätern führen. Die Entwicklung dieses Prozesses muss transparent, nachvollziehbar und kontrollierbar sein, um jede Form von Männerkumpanei zu verhindern. Und sie muss unserer Ansicht nach eine ernsthafte und ehrliche Entscheidung der Täter als Grundlage haben.

D.h. im Fall Örnie:

Die Aussage Örnies, „um die Freundschaft der Frau zu kämpfen“, zeigt, dass er in den letzten zehn Monaten nichts begriffen hat: darum kann es genau nicht gehen.

Ein paar Kriterien als Beispiel:

- Keine neuen Beziehung zu Frauen.

- Sein Verhältnis, dass jegliche Veränderung nur durch Druck entweder der Frau (Bruch) oder von anderen, zustande kommt, muss er durchbrechen.

- Ein Wegziehen von München zum jetzigen Zeitpunkt käme der Flucht vor den notwendigen Auseinandersetzungen gleich, Das Wegziehen könnte später eine mögliche Konsequenz sein.

3)

Zur Auseinandersetzung in der neuen Infoladenstruktur und der Scene allgemein:

Die Fragen, warum das so lange so laufen konnte, müssen sich alle stellen, auch wir, weil einige von uns auch „etwas wussten“ (Wir werden dazu noch mehr sagen). Alarmzeichen verschiedener Art gab es ausreichend. Die Verantwortung wurde auf’ das unmittelbare soziale Umfeld delegiert, obwohl es ebenfalls genügend Anzeichen für dessen Überforderung und Handlungsunfähigkeit gegeben hat.

Alle Gruppen oder sozialen Zusammenhänge sollen eine Diskussion und Auseinandersetzung über ihr Nichtverhalten, Umgehensweise und zukünftige Vorstellungen führen und dazu ein öffentliches Papier verfassen. Dann erfolgt in der reuen Infoladenstruktur eine Diskussion. Konsequenzen für die Zukunft. Die Verhältnisse im Laden müssen anders werden.


Material Rüdiger Tresselt, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung.