Materialien 1995

FrauenLesben-Plenum: Offener Brief

An: Backstage, Café Marat, Café Uneinzs, Die Glöckner, Froh und Munter, Kafé Kult und Schädl

Wir sprechen euch an, weil ihr euch als Teil der linken politischen Szene oder Szeneumfeld begreift, als Alternative oder Autonome. Ihr versteht euch als diejenigen, die sich gegen die herrschende Gewalt organisieren, oder als diejenigen, die den Anspruch haben, die herrschenden Verhältnisse zu durchbrechen. Oder ihr begreift euch als diejenigen, die anders sein wollen und es anders machen wollen, als sie es in dieser Gesellschaft erlebt haben.

Seit circa zwei Monaten ist Vergewaltigung und sexueller Missbrauch das bestimmende Thema in den Münchner Zusammenhängen, weil betroffene Frauen die von ihnen erlebten sexuellen Übergriffe öffentlich gemacht haben. Das heißt für Freunde, Freundinnen, Umfeld und politische Zusammenhänge sich spätestens jetzt damit auseinanderzusetzen.

Jenseits einer notwendigen politischen Debatte müssen wir mit den minimalsten pragmatischen Schritten beginnen und das heißt für uns:

Dass Männer, die sexuelle Gewalt ausüben, keinen Zugang mehr zu eurer Kneipe bekommen. Es muss möglich sein, dass Frauen sich in ihren gewohnten sozialen Räumen aufhalten können, ohne dass sie Gefahr laufen, ihrem Vergewaltiger zu begegnen. Es ist nicht Sache der Frau, die Räume zu verlassen und zu meiden, es ist Sache der Männer, die sexuelle Gewalt ausüben. Und es ist Sache der Kneipe, dafür zu sorgen, dass Frauen sich dort ungestört bewegen können. Ein neutrales Verhalten gibt es nicht. Nichtverhalten bedeutet immer Parteinahme für den Mann, der sexuelle Gewalt ausübt, und gegen die Frau.

In der letzten Zeit ist uns des öfteren der Vorwurf begegnet, dass diese Forderung für den Vergewaltiger soziale Isolation bedeute. Dieses Argument sagt aber implizit, dass dann die Frau ihre gewohnten sozialen Räume zu verlassen hat, wenn sie ihrem Vergewaltiger nicht begegnen will.

Das Problematische eines Ausschlussverfahrens besteht darin, dass damit das Kapitel „sexuelle Gewalt“ als erledigt betrachtet werden könnte. Ein Ausschluss von Orten und Ereignissen ist erst einmal ein rein formales Verwaltungsverfahren. Es ändert nichts an den Strukturen und Gründen, aus denen sexuelle Gewalt entsteht. Es entspringt aus der pragmatischen Notwendigkeit, Freiräume für Frauen zu schaffen.

Wir sehen die Perspektive nur darin, dass Männer und Frauen, die das wollen, sich mit denjenigen, von denen sexuelle Gewalt ausgeht, auseinandersetzen, und dass eine politische Diskussion über Patriarchat und Sexismus geführt wird: Das heißt nicht nur politische Analyse, sondern auch ganz konkret, dass Männer sich mit ihren eigenen Strukturen auseinandersetzen.

Konkreter Anlass dieses Papiers ist das Bekanntwerden von sexuellen Übergriffen durch Alan. Alan ist nicht der einzige, aber bei den wenigsten Männern wird es öffentlich, was sie machen. Wir finden es immer richtig, die Namen von Männern, die sexuelle Gewalt ausüben, bekannt zu machen.

Wir fordern euch auf, in euren Kneipenkollektiven über die von uns angesprochenen Punkte zu diskutieren und bitten euch um eine Stellungnahme innerhalb der nächsten zwei Wochen. An: OFFENER BRIEF, c/o Frauenkoordination, c/o Werkhaus, Leonrodstraße 19, 80634 München.

FrauenLesben-Plenum


Material Rüdiger Tresselt, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung.