Materialien 1995

Offene Antwort auf den offenen Brief

Café Schädel
Preysingstraße 18
81667 München

An: FrauenLesbenPlenum, Backstage, Café Marat, Café Uneinzs, Froh und Munter, Kafé Kult

Sehr geehrtes FrauenLesben-Plenum!

Hiermit legen wir, nicht fristgerecht, Widerspruch gegen das von Euch eingeleitete formale Verwaltungsverfahren ein.

Wir betonen ausdrücklich, dass sich dieser Widerspruch nicht prinzipiell gegen Euer Hauptanliegen richtet. Dieses haben wir so verstanden, dass Frauen ihre sozialen Räume betreten können, ohne Gefahr zu laufen, ihrem Vergewaltiger zu begegnen. Dieses Anliegen ist für uns selbstverständlich. Bis jetzt sind wir so verfahren, dass derartige Arschlöcher grundsätzlich Hausverbot erhielten. Dies gilt auch für den Fall, dass unsere Lokalität nicht zum sozialen Raum der betroffenen Frau gehört. Arschlöcher, die rausfliegen, sind für uns übrigens auch Frauen und Männer, die z.B. ihre Kinder schlagen.

Der Widerspruch liegt in folgendem:

Wir denken, dass sexueller Missbrauch und das Umgehen mit konkreten Fällen nicht als formales Verwaltungsverfahren abgehandelt werden kann. Und das nicht nur deshalb, weil diese Verfahren einen großen Teil unseres Daseins bestimmen und einige von uns ja genau gegen diese administrativen Strukturen angehen …

Wir haben jedenfalls keinen Bock auf irgendwelche Listen, Steckbriefe oder dergleichen, nach denen wir dann Zutrittskontrollen durchführen müssten, um weiterhin, oder überhaupt, p.c.¹ zu sein. Wir wollen und werden auch in Zukunft im Einzelfall nach den uns vorliegender: Informationen (nicht zu verwechseln mit Gerüchten) im Kollektiv über unser Verhalten oder Nichtverhalten entscheiden.

Passt Kritik neben Widerspruch? Sei’s drum, wir haben welche:

Erst mal hat es uns total gestunken, dass Ihr uns mit so einem Brief angeschrieben habt, ohne erstmal mit uns zu reden. Wir finden es komisch, wenn Menschen, die sich kennen, über solche Briefe in Kontakt treten (grad, dass es kein Einschreiben mit Rückschein war). Des weiteren fragen wir uns, wie eine sicherlich notwendige politische Debatte überhaupt zustande kommen soll, wenn die, wie Ihr es nennt, „minimalsten pragmatischen Schritte“ mit einem derart ultimativen, in überwiegend repressiver Sprache gehaltenem Text gegangen werden. Um was es Euch ja geht, ist unsere Zustimmung zu Eurem Hauptanliegen, wobei ein „tut das, oder ihr seid selber Schweine“ dasteht. Was Ihr uns vorenthalten oder vergessen habt, ist, uns eventuelle Sanktionen mitzuteilen. Das hätten wir doch erwarten können, wo doch jeder billige Strafzettel eben diese und sogar eine Rechtsbehelfsbelehrung enthält.

So weit erstmal, vieles ist sicherlich etwas unausgegoren, viel Zeit habt Ihr uns aber auch nicht gelassen. Ihr habt jedenfalls mitgekriegt, dass wir teilweise genervt sind. Und das bezieht sich bei denjenigen von uns, die mehr davon mitbekommen, nicht nur auf Euren Brief, sondern auf die ganze Art der momentanen Diskussion.

Hochachtungsvoll
Der kleinste gemeinsame Nenner des Schädel-Kollektivs

Morituri vos salutant!

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¹ = politisch korrekt

Material Rüdiger Tresselt, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung.