Materialien 1995

„Zerreißt den Mantel der Gleichgültigkeit“

Von der Trauerfeier am 28. Juni 1995

Zu einer Trauerfeier für Asylbewerber und Abschiebehäftlinge, die sich das Leben genommen haben, lud letzten Mittwoch, den 28. Juni 1995, die Initiative „Abschiebung und Menschenrechte“ ein. Die Feier begann um 17.30 Uhr mit einem Trauerzug, bei dem neun symbolische Särge für die neun in Bayern ums Leben Gekommenen vom Marienplatz vor das Innenministerium getragen wurden. Dort fand die eigentliche Trauerfeier mit etwa 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmern unter anderem mit Musik und einer politischen Ansprache statt.

Zur Mitarbeit in der Initiative „Abschiebung und Menschenrechte“ hatte Ende April die Evangelische Studentengemeinde Vertreterinnen und Vertreter von Friedensinitiativen, Kirchen sowie Fachschaften an den beiden Münchner Universitäten eingeladen. Dass sich zahlreiche Menschen das Leben nehmen, die in Deutschland vergeblich Zuflucht suchen, sollte zum Anlass genommen werden, die Öffentlichkeit auf den Umgang mit Flüchtlingen aufmerksam zu machen. In erster Linie fordert die Gruppe politische Maßnahmen, um Fluchtursachen der Menschen in ihren Heimatländern abzubauen. Dazu bedarf es einer Öffentlichkeit einer Politik, die diese Ursachen wahrnehmen und sich nicht durch Abschiebung der Betroffenen der Verantwortung entziehen.

Um 17 Uhr wurden die schwarzen Särge, die, jeweils mit einem Namen eines ums Leben gekommenen Flüchtlings beschriftet waren, auf dem Marienplatz aufgestellt. Etwa 100 Menschen beteiligten sich an dem anschließenden Zug durch die Residenzstraße zum Odeonsplatz, wo die Särge in einer Reihe vor dem Bayerischen Innenministerium als der Behörde, die für den Vollzug der Abschiebungen verantwortlich ist, abgestellt wurden. Nach der Begrüßung der etwa 200 Gäste begleitete ein Streichquartett die Feier mit Musikstücken, die während des zweiten Weltkriegs in verschiedenen Konzentrationslagern komponiert worden waren.

In seiner Ansprache begründete Studentenpfarrer Hans Löhr die Aktion mit der biblischen Aufforderung „Tu deinen Mund auf für die Stummen!“ Durch die öffentliche Trauer und das namentliche Nennen der Verstorbenen solle ihnen ihre Würde wiedergegeben werden, die ihnen durch die Behandlung als nur ein Fall oder eine Zahl genommen worden ist. Bezeichnend dafür sei das Verhalten der Süddeutschen Zeitung, die es abgelehnt habe, eine Traueranzeige mit den Namen der verstorbenen Asylbewerber unter den Todesanzeigen zu veröffentlichen. Da für die Toten der Einsatz der Gruppe zu spät komme, gab er die Forderungen der Gruppe an die Verantwortlichen bekannt. Er erinnerte daran, dass Asyl ein Menschenrecht sei.

Neben der Bekämpfung politischer und wirtschaftlicher Fluchtursachen werden Gesetze gefordert, die Abschiebehaft für Unschuldige grundsätzlich ausschließen. Es ist sicherzustellen, dass niemand in Länder abgeschoben wird, in denen Menschen verfolgt und misshandelt werden. Zur Verbesserung der Situation der derzeit Inhaftierten werden Kontaktmöglichkeiten, Betreuung, Rechtsberatung und Übersetzungshilfen gefordert sowie eine Begrenzung der Abschiebehaft auf höchstens vier Wochen. Eine Schweigeminute wurde mit einem Klagepsalm abgeschlossen, anschließend wurden die Namen der Verstorbenen verlesen sowie Datum, Ort und Todesumstände.

Die Initiative wird unterstützt von amnesty international ai; ASTA der Geschwister-Scholl-Universität München; Bund Deutscher Katholischer Jugend BDKJ; Evangelische Studentengemeinden ESG an der Universität und TU; Friedensinitiative Christen in der Region München; Katholische Hochschulgemeinde KHG an der Universität und TU; Pax Christi; Refugio München; Schwabinger Friedensinitiative; Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten VVN.

Zur Finanzierung der Arbeit werden Spenden erbeten auf das Konto der ESG Nr. 101401823, BLZ 760 605 61, SKB-Bank Nbg., Kennwort „Abschiebung“.


Münchner Lokalberichte 14 vom 6. Juli 1995, 5.

Überraschung

Jahr: 1995
Bereich: Flüchtlinge

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