Materialien 1995

Legal, illegal - scheißegal?

WN: Ihr führt seit einiger Zeit regelmäßige Hausversammlungen durch. Was ist der Anlass dafür?

L. Miet: Im Mai dieses Jahres haben wir durch ein Schreiben der Stadt erfahren, dass das Haus zum Verkauf steht und die Stadt ihren Vorkaufsrecht prüft. Davor, im März oder April, wurde das Treppenhaus ziemlich oberflächlich gestrichen, gerüchteweise war zu hören, dass die Leiharbeiter-
firmen, die in dem Haus „Werkwohnungen“ gemietet haben, ausziehen müssen. Dann bekamen wir irgendwann von der alten Hausverwaltung einen Brief, dass das Haus von einem Dr. Lutz ge-
kauft sei. Von dem neuen Eigentümer selbst haben wir aber nichts gehört. Im August wurden dann die zwei Kellertüren ohne irgend eine Ankündigung aufgebrochen und sämtliche Gegenstände, die sich in den Abteilen befanden, abtransportiert. Bei mir beläuft sich der Schaden auf ca. 7000,- DM.

WN: Warum nur zwei Keller und nicht alle?

L. Miet: In dem Haus haben nur zwei Mietparteien Kellerabteile, die nämlich, die schon länger in dem Haus wohnen, die anderen Wohnungen haben keine Unterstellmöglichkeiten.

WN: Eben war die Rede von Werkswohnungen für Leiharbeiterfirmen, kannst Du das näher er-
läutern?

L. Miet: Ich wohne seit Mitte 1977 in dem Haus. Damals waren zwar die Mieten überdurchschnitt-
lich hoch, aber man bekam als Wohngemeinschaft relativ einfach einen Mietvertrag. Die damalige Hausverwaltung rechnete anscheinend damit, dass die Wohngemeinschaften ziemlich bald wieder auseinanderziehen würden, und die Wohnungen wieder teurer vermietet werden könnten. Teilwei-
se war es schon so, dass die Leute nach einem halbem oder dreiviertel Jahr wieder auszogen. Dane-
ben hatte sich aber eine gute Hausgemeinschaft von länger dort Wohnenden gebildet, die sich ge-
gen den Hausbesitzer wegen Kellerabteilen, falscher Nebenkostenabrechnungen usw. wehrte. Ab 1986/87 wurden die Wohnungen nur noch über Makler vermietet. Seit Anfang der 90er standen manche Wohnungen des öfteren leer. Damals mietete sich die erste Leiharbeiterfirma dort ein. Teilweise wohnten bis zur 8 Arbeiter in einer 60qm-Wohnung, darunter Schichtarbeiter, die ver-
schiedene Schichten hatten, in einem Zimmer. Jetzt wurde das Haus wieder wie zu den Wohnge-
meinschaftszeiten lauter, aber nicht positiv. Obwohl es keine direkten Aggressionen gegen die anderen Hausbewohnerinnen und -bewohner gab, war die Stimmung geladen. Dann mietete sich eine zweite Leiharbeiterfirma ein. Die Briefkästen wurden öfters aufgebrochen, Schmierereien im Treppenhaus, Saufereien … Die langjährigen Bewohnerinnen und Bewohner, bis auf zwei Miet-parteien, sind nach und nach ausgezogen, haben dies nicht mehr ausgehalten.

WN: Und jetzt gibt es Gerüchte, dass die Leiharbeiterfirmen ausziehen müssen?

L. Miet: Der neue Eigentümer will die Fassade sanieren, eine Sammelheizung bauen, das Dachge-
schoss soll weiter ausgebaut werden …Das Haus hat schon mal einen Fassadenpreis bekommen, der dann aber später wegen der Praktiken des damaligen Besitzers, Renner, wieder aberkannt wurde. Ich denke mir, dass den Leiharbeitern von ihren Firmen ein Teil des Lohnes als Miete einbehalten wurde, und das dürfte nicht wenig sein, und dann hatten sie auch die Funktion, das Haus zu „entmieten“. Jetzt, wo sie ihre Funktion erfüllt haben, können sie gehen. Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen.

WN: Wie geht es jetzt weiter?

L. Miet: Wir wollen, daß die Wohnungen alle wieder Kellerabteile bekommen, ob das aber hinhaut, ist noch unklar. Dann haben wir auf der letzten Hausversammlung z.B. über die Mülltonnen ge-
redet, die teilweise mit Bauschutt vollgemacht werden … Wir versuchen, uns zu wehren.

WN: Vielen Dank für das Gespräch.


Westend Nachrichten. Stadtteilzeitung für das Westend und die Schwanthaler Höh 24 vom Oktober 1995, 4 f.

Überraschung

Jahr: 1995
Bereich: Stadtviertel

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