Materialien 1996

Naziverbrechen relativiert und geläutert

Letzten Sonntag ging ich zu der Gedenkfeier im Hofgarten, die im Rahmen des Volkstrauertages stattfand.

Meiner Meinung nach hatte die Veranstaltung einen äußerst einseitigen Charakter, da nur die gefallenen deutschen Helden beider Weltkriege geehrt wurden, während die wirklichen Opfer, nämlich 6 Millionen Juden, verfolgte Zigeuner, Homosexuelle, Widerstandskämpfer und andere Minderheiten offenbar keiner Erwähnung wert waren. So kam zum Beispiel von CSU-Mitglied Erich Riedl die Äußerung. dass „in dem von Deutschland und Russland verursachten Krieg alle deutschen Soldaten ihre Pflicht getan“ hätten.

Sozusagen „am Rande“ gab es einen Aufmarsch von (im Gegensatz zu den verkappten Pseudodemokraten) offen bekennenden Faschisten, den Jungen Nationaldemokralen sowie Burschenschaftern und anderen rechtsradikalen Gruppierungen. Unter anderem wurde ein Transparent gehalten. auf dem zu lesen war „Unsere Väter waren keine Verbrecher – und WIR SIND STOLZ AUF SIE!“ Es sollten also ganz einseitig Naziverbrechen relativiert und geleugnet werden!

Ich finde, dass diese Tatsachen mehr als deutlich zeigen, in welche Richtung dieses „Gedenken“ gehen sollte und was für eine Veranstaltung sich eigentlich unter dem seriösen Deckmantel verbarg.

Mit diesem Hintergrund waren einige überhaupt nicht einverstanden und haben dann während der Kranzniederlegung „Tod dem Militarismus! Tod dem Faschismus!“ gerufen. Daraufhin wurden alle sechsundzwanzig Jugendlichen (darunter auch ich) innerhalb kürzester Zeit festgenommen und ins Polizeipräsidium gebracht. Dort verbrachten wir teilweise bis zu acht Stunden, in denen wir, wenn wir nicht gerade in Zellen der Haftanstalt eingesperrt waren, einzeln verhört und erkennungsdienstlich behandelt wurden. Wie Schwerverbrecher mussten wir uns alle auf einen Stuhl setzen, uns von vorne, links und rechts fotografieren lassen, die Fingerabdrücke wurden genommen, und nicht zuletzt wurde verlangt, wir sollten den Mund aufmachen, damit sie unsere Zähne betrachten konnten.

Dieses Erlebnis hat mir wieder mal gezeigt, wie skrupellos und vor allem verlogen dieser Staat ist. Einerseits soll politisches Wissen und eigenständige Meinungsbildung gefördert werden. Sobald du dich aber hinstellst, und deine Meinung frei äußerst, die abweicht von dem, was „man“ erwartet, wird einem nicht nur das Maul gestopft, sondern du wirst dafür eingesperrt!!

Durch solche Einschüchterungsversuche soll einem die Motivation genommen werden, eigenständig und selbstverantwortlich zu denken und zu handeln. Wir dürfen uns das auf keinen Fall gefallen lassen und müssen uns dem unbedingt widersetzen! Denn wenn wir uns gemeinsam wehren, sind wir stark genug!

Name ist der Redaktion bekannt.


Haidhauser Nachrichten 12 vom Dezember 1996, 1 ff.

Überraschung

Jahr: 1996
Bereich: Gedenken

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