Materialien 1996
Alle Jahre wieder: Hetze gegen Kurdinnen und Kurden
Newroz 1996
Die Kurdinnen und Kurden feiern am 21. März ihr Neujahrsfest. Bis in die späten 80er Jahre konnten sie dies auch in der BRD relativ ungestört. Doch das hat sich geändert. Seit einigen Jahren kommt es um den 21. März regelmäßig zu Auseinandersetzungen. Die Waffenbrüderschaft des deutschen und des türkischen Staates, hinter der natürlich wirtschaftliche Interessen stecken, wird von vielen Menschen erkannt und auch kritisiert. Ebenso die Lage der Bevölkerung im Osten und Südosten der Türkei, die hauptsächlich kurdisch besiedelt ist. Doch wenn sich Kurdinnen und Kurden hier bei uns organisieren, werden sie sehr schnell zu „Terroristen“ erklärt.
Der Druck auf Kurdinnen und Kurden ist nicht nur auf den Zeitraum um Newroz beschränkt. Das Verbot der PKK war und ist ein Mittel, um jegliche politische Betätigung und Aktivität zu kriminalisieren, die den staatlichen Stellen nicht genehm ist. So geschehen z.B. mit dem kurdischen Elternverein in der Lindwurmstraße, der in einträchtiger Zusammenarbeit von Presse und Polizei zum „PKK-Treffpunkt“ erklärt und geschlossen wurde. Was folgt, sind etliche Anklageerhebungen gegen die einzelnen Vereinsmitglieder, die Beschlagnahme der Vereinsunterlagen und die Zerstörung einer Kommunikationsmöglichkeit.
Auch wenn Beweise für diese Behauptungen fehlen und die Angeklagten vor den Gericht freigesprochen werden (z.B. wurde November 1993 der Verein Komala Kurdistan, München, von Bundesinnenminister Kanther verboten, dies aber wurde vom Bundesverwaltungsgericht verworfen), bleibt das Bild des „kriminellen Kurden“ im Gedächtnis der Bevölkerung haften. In der Regel wird man so ein Gerichtsurteil in der Presse auch vergeblich suchen: Die Freisprechung der Kurdinnen und Kurden von Vorwürfen ist nicht für Schlagzeilen geeignet, da haben nur die Bilder Platz, die sie als asiatische Halbwilde darstellen, von den Bergen Kurdistans in die europäischen Städte hinabgestiegen, um hier einen Krieg auszutragen. Das ist auch die einhellige Meinung aller Politiker und Journalisten, ob sie sich zum rechten Rand, zum „liberalen“ oder gar zum sozialdemokratischen Lager zählen. Die Türkei müsste ihre Kurdistanpolitik ändern, aber die „PKK-Terroristen“ gehören „sofort in die Türkei“ abgeschoben (Kohl laut SZ vom 20. März 1996), man könne nicht dulden, dass das „Gastrecht“ missbraucht werde.
So auch dieses Jahr. Im Gegensatz zur Türkei, wo die Regierung seit zwei Jahren den Versuch macht, Newroz als einen alten türkische Brauch zu vereinnahmen (wo sicherlich etwas Wahres dran ist, denn wie sollte es auch anders sein, als dass Grenzen zwischen Kulturen fließend sind?), verbot der deutsche Staat fast alle Feierlichkeiten, Demonstrationen und Kundgebungen als „PKK-Veranstaltungen“. Die Politik verhängte über Menschen mit „kurdischem“ Aussehen den Ausnahmezustand, ihre eh bescheidenen Rechte wurden gänzlich aufgehoben und für die Polizei waren sie Freiwild. Die Medien übernehmen wie so oft die offiziellen Verlautbarungen, ohne sie zu hinterfragen, fertig ist das Bild der „terroristischen PKK-Kurden“ (O-Ton Kohl am 19. März).
Laut Kohl werde „in keinem zivilisierten Land Europas“ Vergleichbares zugelassen, was nun kompletter Schwachsinn ist. Kein einziges Land in Europa (von der Türkei abgesehen), das sich gegenüber Kurdinnen und Kurden so repressiv verhält wie die BRD. Ob in Frankreich, Belgien, den Niederlanden oder Großbritannien, überall existieren kurdische Organisationen, Vereine usw. ganz legal, können ungestört demonstrieren und ihre Feste feiern. Im Gegensatz zur Bundesrepublik kommt es in diesen „zivilisierten“ Ländern auch nicht zu solch gewaltsamen Auseinandersetzungen. Eigentlich müsste es jedem vernünftigen Menschen klar sein, dass man nicht immer auf die Leute einschlagen und dabei noch erwarten kann, dass sie ruhig bleiben. Die Krawalle entstehen nicht, weil Kurdinnen und Kurden irgendwie so veranlagt sind oder es ihnen Spaß macht, sich mit deutschen Polizisten zu prügeln, sondern weil ihnen nicht der kleinste Raum gelassen wird, wo sie ihr Anliegen äußern können, und weil die Bundesrepublik die Hauptunterstützerin des Krieges in Kurdistan ist.
Eine sinnvolle und verantwortliche Politik müsste die Einstellung jeglicher finanzieller und militärischer Hilfe an die Türkei, den Schutz für die hierher geflüchteten Menschen und Wahrung ihrer Menschenwürde beinhalten. Doch dem stehen die Interessen des deutschen Staates und des von ihm vertretenen Kapitals entgegen. Die Herrschenden, die heute zur Türkei halten, weil es ihren wirtschaftlichen Interessen – auch im Hinblick auf die türkischsprachigen Länder der ehemaligen Sowjetunion und des Nahen Ostens – zugute kommt, würden ihre Unterstützung des Krieges des türkischen Militärs in Kurdistan sofort beenden, wenn sie erkennen, dass ihre Profite besser mit anderen Mitteln zu sichern sind. Zur Zeit ist aber noch keine Alternative zum türkischen Staat abzusehen.
mü
Westend Nachrichten. Stadtteilzeitung für das Westend und die Schwanthalerhöh’ 30 vom April 1996, 12 f.