Materialien 1996
Kein Licht am Ende des Tunnels
Mein Gott, Leute, kennt ihr das, ihr sollt irgendwas möglichst sachlich erwägen, diskutieren und darstellen, und alles was euch zu dem Thema einfällt, ist: Scheiße, Scheiße, Scheiße! – kennt ihr das?
So ein Fall ist der Münchener Tunnelstreit und die bekloppten Bürgerbegehren, wobei die Betonung diesmal ausdrücklich auf Bürger liegt, um nicht zu sagen „freie Bürger“. Denn die Kryptofaschisten um den Ex-FDPler Manfred Brunner nennen sich ja so und sind in dieser Koalition von Arschgesichtern um den schmerzhaften Peter Gauweiler versammelt, die noch dem abgebrühtesten Defätisten schlaflose Nächte zu bereiten geeignet ist. Und wie finden sich diese Doofmänner toll, dass sie das Instrument der Mitbestimmung, das ihnen das von ihnen bekämpfte Volksbegehren für „Mehr Demokratie“ nun verschafft, so pfiffig gegen dessen Befürworter wenden können. Da grinsen die Zwetschgenmanderl vom „Bund Freier Bürger“, die Pappnasen von der „Automobilen Steuerzahlerpartei“, die Leibstandarte ADAC, die Kammern, die rasenden Fallbeile von der Taxigenossenschaft und die CSU-Tarnorganisation „Mobil in München“.
Gemeinsam drehen sie den Schmierfilm „Wia mas de Keandlfresser amoi richtig zoagt ham“, und über einen Mangel an Komparsen brauchen sie an ihren Stammtischen nicht zu klagen. Demokratie – schön und gut. Aber das so etwas wie diese steuerzahlenden Automobilisten erlaubt ist, ist vielleicht doch übertrieben. Das sind Leute, die sich offen zu sagen trauen, was CSUler zwar denken, aber aus taktischen Gründen des guten Geschmacks nicht sagen würden. Wenn ich mal an die Macht komme, wird als erstes deren Recht auf politische Betätigung kassiert. Was die Taxifahrer angeht, bin ich einfach nur etwas betrübt, dass das doch noch viel größere Trottel sind, als ich ohnehin schon befürchtete.
Einpeitschten lassen sich Leute, die gern „Mobil in München“ sein wollen, von den beiden Zombies Monika „Ein Name – ein Programm“ Hohlmeier und Peter „Am Ende des Tunnels“ Gauleiter. Demokratie? Naja, was der Gscheid’l Gauweiler davon hält, hat er bei seiner Wiederwahl zum Münchener CSU-Ortsgruppenleiter gezeigt: Er spielte so mimosenhaft Kretin auf der Erbse, bis die Flaschen von der Basis ihm das gewünschte Wahlergebnis schließlich in absurd unzulässigen Verfahren hinakklamierten. Nicht weil er nicht die nötige Mehrheit bekommen hatte, schmollte die beleidigte Weißwurst, sondern weil ihm die Mehrheit nicht komfortabel und Franz-Josef~Strauß-kompatibel genug war.
Auf welchen Hund muss man gekommen sein, sich so was bieten zu lassen und dann auch noch von Demokratie zu lallen. Nicht nur in München reißen diese Schwarz-Braunen gerade den „Mehr-Demokratie“-Softies den Arsch auf, dass der Rauch aufgeht. Zum Beispiel in Nürnberg, wo es diese Blödiane noch schaffen werden, das KOMM per Bürgervotum schließen zu lassen: Da ist doch auf deren Demokratie geschissen.
Und überhaupt, die Argumente, die beide Seiten vorbringen, nerven auch ganz gut. Also, die Befürworter von drei milliardenschweren Tunneln am Mittleren Ring, nämlich am Petuelring, in der Richard-Strauss-Straße und am Luise-Kiesselbach-Platz, wollen freie Fahrt für den Bund Freier Bürger und den Stau-Terror der sogenannten Regenbogenkoalition im Rathaus brechen. Dabei entblöden sie sich zum Beispiel nicht, ausgerechnet eine BMW-Studie zu zitieren, die einen „volkswirtschaftlichen Schaden von 2,5 Milliarden Mark pro Jahr in München“ errechnet, der durch Stau entsteht. Von den Dachschäden der rechnenden Ingenieure gar nicht zu reden. Auf den tollen Tunneln tummeln sich dann die Kindlein all der einfältigen Eltern, die statt einer Krempe am Hut einen höchst unübersichtlichen Tellerrand vor dem Kopf haben, über den sie, völlig bescheuert vor Sorge um das Wohl ihrer Bälger, nicht mehr zu blicken in der Lage sind. Die kennt man schon. Am liebsten wollen sie großräumige Totalsperren um die Kindergärten und Schulen ihrer Kinder, und nur sie dürfen da durch, um ihre verwöhnte Brut mit Muttis Geländewagen hinzubringen und abzuholen. Man möchte darüber nachdenken, ob Eltern nicht generell das Wahlrecht entzogen werden sollte.
Ist doch alles totaler Blödsinn! Eine einzige Person, die die Süddeutsche zitiert, hat ihre Tassen beisammen. Sie straft den Spruch „Wer nichts kann und wer nichts wird, wird Wirt“ allemal Lügen, wenn sie klarsichtig erkennt: „Die Mieten san in d’Höh g’schnellt. Ganze 21 Mark den Quadratmeter! Wer kon sich des scho leisten!“ und „Schaun’s doch raus, wo gibt’s jetzt da an Unterschied zu früher – genauso viel Autos, genauso laut“. Das sagt die Wirtin vom „Herzog Siegfried“ in der Brudermühlstraße über die Auswirkungen des dortigen Tunnels. Da sollten wir mal hingehen und der Frau ein paar Halbe wegzwitschern. Denn sie trifft den Nagel auf den Kopf.
Diese dämlichen Tunnel schaffen nur noch mehr Verkehr, noch mehr Rechte für die mörderischen Autos, ihre völlig maßlosen Halter und die absolutistischen Herstellerfürsten. Sie werden erst aufhören, wenn sie merken, dass man Tunnel nicht essen kann. Auch nicht, wenn diese Schrebergärtenseelen da oben drauf die super knorke Parks hinhalluzinieren, die so ein Wahnsinnsklasseumweltschutzwiedergutmachungsalleswiederinordnungimstandort-deutschlandunserenkinderneinelebenswertezukunftprojekt sein werden, dass die Tauben es von den Dächern kotzen. Als würden dadurch Schadstoffmengen verringert, der Verkehr eingeschränkt, in irgendeiner wie auch immer gearteten Weise etwas wie Natur- und Umweltschutz betrieben oder auch nur ein einziger Mensch aus dem Trichter des Fleischwolfs Verkehr gezerrt. Nix. Nur schwitzige heiße Luft von unter den Achseln des Wohlstands. Und an den „We-shall-overcome“-Zirkeln der bürgerlichen Weichspül-Linken in ihrem schlierigen Regenbogenschimmer regt mich am meisten diese systemselige Erwartung auf, dass im Falle einer Ablehnung der Tunnelgigantonomie tatsächlich die notwendigen Wohnungen, Kindergärten und Altersheime gebaut würden, Stadtteilarbeit unterstützt und die kleine Kultur subventioniert würde. Das ist doch alles Kokolores. Es wird dann nur so weiter gewurschtelt wie bisher.
Es reicht mal wieder ein Minimum dessen, was man den „gesunden Menschenverstand“ nennt, um zu begreifen, dass jede Handlung zugunsten von Autos und welchen Aspektes ihrer Omnipräsenz auch immer schon seit zwanzig Jahren falsch, zuviel und jenseits einer vernünftigen Diskussion ist. Das war schon vor der Erfindung der Grünen wahr und wird es bleiben, ob die stinkigen Tunnel nun gebaut werden oder auch nicht. Und solange das nicht in dem zugigen Tunnelgewölbe zwischen den Ohren der Beteiligten drin ist, will ich nichts mehr von Lebensqualität, Freizeitflächen, Kulturangeboten, Senioren, attraktiven Umsteigeangeboten und Förderung des Wirtschaftsstandortes München hören. Basta! (Und wer trotzdem glaubt, er oder sie müsse sich unbedingt an diesem Scheingefecht beteiligen, der soll natürlich für die Tunnelgegner stimmen, keine Frage. Kein Fußbreit den Faschisten!).
k
Stadtratte 33 vom März/April 1996, 3.