Materialien 1997

„Hauptstadt der Bewegung“

Fünftausend Nazis marschierten in München auf

Münchner Kreisverwaltungsreferent Dr. Uhl hat es möglich gemacht, dass die größte Nazi Demon-
stration seit 1945 in München stattfinden konnte. CSU-Mitglied Hans-Peter Uhl sah in dem Auf-
marsch der Faschisten nichts beunruhigendes, sondern nannte die Ausstellung über die Verbre-
chen der Wehrmacht als den eigentlichen „Unruhestifter“.

Die Demonstration der Neo- und Altfaschisten war der vorläufige Höhepunkt der rechten Kampag-
ne gegen die Ausstellung. Bisher war sie in mehreren Städten zu sehen, doch nirgendwo wurde sie so heftig angegriffen wie in München. Die Äußerungen des Münchner CSU-Chefs Gauweiler nah-
men derartig faschistoide Züge an, dass einige CSU-Stadträte sich genötigt sahen, sich von ihm zu distanzieren.

Die Stadtspitze und die Verwaltung waren nicht gewillt, die NPD- und JN-Demonstration zu ver-
bieten. Sie verschanzten sich hinter dem Argument von „Demonstrationsfreiheit“ und erlaubten den antifaschistischen Gegendemonstranten die Kundgebung auf dem Marienplatz nicht. Um so erfreulicher war es, als am Samstag, den 1. März, Tausende von Münchnerinnen und Münchnern auf die Straße gingen, um gegen die schwarz-braune Hetze gegen die Ausstellung und den Auf-
marsch der Nazis zu demonstrieren.

Am Samstagnachmittag konnten die Nazis dann stundenlang fast ungestört durch die Münchner Innenstadt ziehen. Es waren dabei vor allem zwei Dinge auffällig: erstens eine sehr geringe Anzahl Polizisten, die die Demonstration begleiteten. Ruft man sich im Gegensatz dazu linke Demonstra-
tionen in Erinnerung, die wegen der Spalier bildenden Beamten eher an Gefangenen-Transporte als an Demonstrationen erinnerten, konnte man den Verdacht nicht loswerden, dass diese Glatz-
köpfe in der Stadtverwaltung einflussreiche Sympathisanten sitzen haben. Zum zweiten erstaunte viele das zahlreiche Mitführen der ansonsten in München nicht erlaubten Seitentransparente. Noch vor kurzem entblödeten sich Uhl und die Polizei-Oberen nicht, vor der Presse das Verbot der Seitentransparente zu begründen – selbstverständlich bei antifaschistischen Demonstrationen.

Mittlerweile waren auf dem Marienplatz Tausende von Antifaschistinnen und Antifaschisten ver-
sammelt und entschlossen, wenigstens den Naziauftritt auf dem Platz zu verhindern. Die Polizei hatte zwei Möglichkeiten: den Marienplatz zu räumen, oder die Kundgebung anderswo abhalten zu lassen. Dass sie sich für die zweite Version entschied, spricht nicht unbedingt für die antifaschisti-
sche Gesinnung der Polizei. War doch die Gefahr zu groß, dass man bei einer Räumung an einem so schönen Tag neben den „Richtigen“ auch viele „Falsche“ erwischen würde. Außerdem sorgten die CSU-Ausfälle über deutsche Grenzen hinaus für Aufmerksamkeit. Es macht sich vor der Welt-
öffentlichkeit nicht gut, einerseits 5.000 Faschisten durch die Stadt marschieren zu lassen, ande-
rerseits die Antifaschisten zu verprügeln. Also ließ man die Nazis einige hundert Meter vor dem Marienplatz ihre Kundgebung abhalten, und die Polizei konnte sich anschließend von der Presse als besonnen und taktisch klug feiern lassen.

Fazit? München ist zum Schauplatz des größten Nazi-Aufmarsches seit dem Ende des deutschen Faschismus geworden. Möglich wurde dies, weil erstens die Stadt nicht willens war, die Nazi-De-
monstration zu verbieten, und zweitens, weil CSU und Gauweiler allen voran den Boden dafür bereitet haben. Nach diesem Aufmarsch wird es nicht einfacher sich den Faschisten entgegenzu-
stellen.


Westend Nachrichten. Stadtteilzeitung für das Westend und die Schwanthalerhöh’ 39 vom März 1997, 1 ff.

Überraschung

Jahr: 1997
Bereich: Gedenken

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