Materialien 1997

Interview mit Isaac Velazco ...

dem Europavertreter des Movimiento Revolucionario Tupac Amaru (MRTA) in München am 25. Januar 1997. Das Interview führte ein Mitglied des Münchner Bündnis gegen Rassismus

Isaac Velazco ist seit 1984 Aktivist des peruanischen Movimiento Revolucionario Tupac Amaru (MRTA). Er wurde im Februar 1988 verhaftet und misshandelt. Ihm gelang jedoch die Flucht. Bis 1993 versteckte er sich, 1992 verlor er durch seine Aktivitäten das Augenlicht. Als seine Familie bedroht wurde, floh er in die BRD. Dort erhielt er 1994 politisches Asyl. Seitdem arbeitet Velazco als Europavertreter der linken Guerillabewegung MRTA.

Warum hat die MRTA die japanische Botschaft besetzt?

Um die Freiheit für unsere politischen Gefangenen, die einem langsamen Tod sterben, in den Gefängnissen Perus zu erreichen. Die Diktatur hat versucht, ein Volk mit Terror zu knechten. Dieser Staatsterrorismus dient als Mäntelchen, um eine neoliberale Politik durchzusetzen. Ein Wirtschaftsmodell, das unser Volk in die absolute Misere getrieben hat. Ein Modell, das große Teile der Bevölkerung ausgrenzt. Als Konsequenz der neoliberalen Politik hat die Armut in Peru unglaublich zugenommen. Sieben Millionen Menschen müssen unter Bedingungen einer absoluten Misere leben, 13 Millionen sind arm, 70 Prozent der ökonomisch aktiven Bevölkerung ist arbeitslos. Das hat viele Leute dazu gezwungen, alte Leute, Frauen und Kinder, auf die einzige Art und Weise zu überleben, wie sie können, und zwar bettelnd. Es hat Jungen und Mädchen dazu gezwungen, sich zu prostituieren, um überleben zu können. Wir sind ein Land mit einem enormen Potential, mit unglaublichen Ressourcen. Dieses Land könnte die 23 Millionen Peruaner ernähren. Warum diese ganze Misere? Weil die internationalen Konzerne diese Reichtümer an sich reißen, ohne auf das Leben von Millionen von Menschen Rücksicht zu nehmen.

Herr Fujimori hat erklärt, er wolle die MRTA „ausradieren“. Wie wirken sich solche Aussagen auf die Lage in der besetzten Residenz aus?

Es bedeutet eine absolute Demoralisierung der Menschen, die sich in der Hand der MRTA in der Botschaft befinden. Die Geiseln haben Angst. Es bedeutet eine Ankündigung, dass dieser Konflikt militärisch gelöst werden wird. Fujimori sagt damit diesen 72 Geiseln, dass sie sich opfern müssen, dass sie geopfert werden, um sein Regime aufrechtzuerhalten. Für uns ist es nur die Andeutung einer Möglichkeit. Dass eine Stürmung ein möglicher Ausgang der Aktion ist, wussten wir, als wir die Aktion beschlossen haben, und wir sind darauf vorbereitet. Die Aktivisten der MRTA bleiben bei ihrer Haltung, dass es besser ist, stehend zu sterben, als kniend weiterzuleben. Mit dem Tod der Tupac-Amaru-Kämpfer wird dieser Konflikt jedoch nicht beendet werden. Ganz im Gegenteil, er wird sich zuspitzen. Mit einer militärischen Erstürmung der Botschaft verschließt man dem Land die Möglichkeit, zu einer politischen Lösung dieses Konflikts und der Probleme Perus zu finden. Ohne jegliche Dramatik möchten wir nochmals erklären, dass wir bereit sind, bis zu den letzten Konsequenzen zu gehen, um die Befreiung der politischen Gefangenen zu erreichen und das langsame Hinmeucheln in den peruanischen Gefängnissen und am Volk zu verhindern.

Am Anfang der Botschaftsbesetzung war das internationale Medienecho sehr groß. Jetzt scheint die Situation festgefahren. Fujimori lehnt die Freilassung der politischen Gefangenen ab. Welche Kompromisse sind für die MRTA vorstellbar z.B. eine Verbesserung der Haftbedingungen?

Wir haben einen politischen Vorschlag gemacht für eine Verhandlungslösung. Die Regierung setzt anscheinend weniger auf eine politische als auf eine militärische Lösung. Die internationale Gemeinschaft hat jetzt die Möglichkeit, entweder Komplice zu sein bei der Ermordung vieler Menschen, die eine Stürmung der Botschaft bedeutet würde, oder für eine politische Lösung einzutreten und auf die Regierung Perus dafür Druck auszuüben. Aber nur eine angebliche Verbesserung der Haftbedingungen werden wir niemals akzeptieren. Wir werden es nicht weiter zulassen, dass in Peru politische Gefangene unter schlimmsten Bedingungen vom peruanischen Militär gefoltert werden. Unsere Forderung ist die Befreiung der Gefangenen.

Was fordern Sie von der internationalen Gemeinschaft? Was erwartet sich die MRTA von der deutschen Bundesregierung?

Wir wollen, dass sich Deutschland klar für eine politische Lösung des Konflikts ausspricht und erklärt, keine Spezialtruppen nach Peru zu entsenden.

Eine Sache möchte ich hervorheben, weil sie sehr wichtig ist. Auf Grund dieser Aktion hat sich gezeigt, dass in Peru keine Demokratie existiert, sondern eine brutale Diktatur. Die internationale Gemeinschaft und der IWF hat trotz dieser neuen Kenntnis der Lage sein Verhältnis gegenüber nicht verändert. Andererseits sagte Fujimori bereits während der ersten Woche der Besetzung, dass er die militärische Beendigung des Konflikts nicht ausschließt und sich darauf vorbereitet. Das einzige, was er noch entscheiden müsse, ob es nur peruanische Truppen sind, oder ob er auch amerikanische, israelische oder sogar deutsche Truppen zur Hilfe holen wird. Die Bundesrepublik Deutschland hat dies nie zurückgewiesen und nie ganz konkret klargestellt, ob deutsche Spezialtruppen in Peru zur Verfügung stehen würden oder nicht. Ich glaube, es würde Zeit, dass Deutschland von Fujimori eine Erklärung oder Richtigstellung dieser Aussage verlangt. Die internationale Gemeinschaft und Deutschland könnten Druck auf die Regierung Fujimori ausüben, zu einer politischen Lösung zu kommen, wenn man sich endlich dazu entschließen würde.

Wie ist die Situation der politischen Gefangenen in Peru?

Die Situation der politischen Gefangenen in Peru hat sich in den letzten Wochen drastisch verschlechtert. Die Regierung hat den Besuch der Angehörigen untersagt und die politischen Gefangenen befinden sich in Dauerisolation in ihren Zellen. Uns liegt die Information eines peruanischen Marineoffiziers vor, dass drei unserer Gefangenen, Victor Polay Campos, MariaLucero Cumpa Miranda und Peter Cardenas Schult auf im Gefängnis der Marinebasis bei Lima gefoltert werden. Sie sollen gezwungen werden, ein Friedensabkommen zu unterzeichnen. Das würde eine bedingungslose Kapitulation gegenüber dem Regime bedeuten.

Wie bewerten Sie die Entwicklung der letzten Tage?

Die peruanische Regierung hat sich schön langsam eine Reihe von Tatsachen zurechtgelegt, um dieses Verbrechen einer gewaltsamen Stürmung mit absoluter Straffreiheit begehen zu können ohne jegliche Zeugen, die diesen Barbarismus überhaupt noch wahrnehmen oder anklagen werden können. Das momentan erlahmende internationale Interesse wäre eine Komplicenschaft mit einer militärischen Aktion der peruanischen Regierung. Das peruanische Volk befindet sich ziemlich alleine vor einer brutalen Diktatur. Heute kann es mit der internationalen Solidarität von Männern und Frauen aus der ganzen Welt rechnen. Es mag sein, dass Frauen und Männer umgebracht werden, aber sie können nicht das ganze Volk umbringen. Und während die Voraussetzungen weiter bestehen werden, die überhaupt dieser revolutionären Bewegung die Motivation und das Ziel gegeben haben, wird es keinen Frieden geben können und wir werden weiter in Aktion bleiben und kämpfen.

Gibt es konkrete Unterstützung anderer linker Kräfte für die MRTA in diesem Konflikt in Peru? Wie hat das Volk reagiert?

Die Realität in Peru ist sehr komplex. Die Repression des Staatsterrorismus hat es geschafft, sogar diejenigen, die sich als Linke verstehen, völlig in eine Lähmung zu treiben. Mehr als Hilfe und Unterstützung haben wir Kritik geerntet, weil wir sozusagen die bürgerliche Gesellschaft unterhöhlen. Die linken Parteien müssen sich in Peru mit der Regierung arrangieren, um einer politischen Verfolgung und einem Verbot zu entgehen. Ihre Hände sind sehr gebunden. Sogar die Menschenrechtsgruppen, die in Peru tätig waren, sind in den letzten Jahren aufgrund der Repression zum Stillstand gekommen durch diese Praktiken der staatsterroristischen Aufstandsbekämpfung. Sie können nicht mehr agieren und operieren. Viele Jahre lang schweigen sie jetzt schon angesichts der Verbrechen, die die Regierung täglich begeht. Das Volk hat sehr aufmerksam reagiert und hofft darauf, dass durch den Konflikt eine Veränderung eintritt. Die Regierungsleute, die in der Botschaft gefangen sind, haben gemerkt, wie man leidet, wenn es keinen Strom und kein Wasser gibt (das hatte die Regierung Perus abgestellt). Man sollte sich vorstellen, dass die peruanische Regierung Millionen von Leuten festnimmt und vom Roten Kreuz verlangt, sie zu ernähren. Während allerdings das peruanische Volk hungert, werden die Geiseln der MRTA in der Botschaft vom Roten Kreuz sehr gut ernährt.

Gab es Solidaritätskundgebungen?

Wir leben in Peru in Diktatur und Staatsterrorismus. Wir können überhaupt nicht daran denken, eine Versammlung oder eine Demonstration, so wie wir sie heute hier in München erlebt haben, zu machen. Jede Kundgebung in Peru würde brutal unterdrückt werden und die Teilnehmer gefangen und gefoltert werden wegen Unterstützung des Terrorismus. Unter solchen Konditionen kann man gar nicht daran denken, eine Mobilisierung zur Unterstützung der Botschaftsbesetzung zu machen. Es gibt sehr viel Angst und gleichzeitig sehr viel Hoffnung.

Welche konkreten wirtschaftlichen und politischen Forderungen hat die MRTA?

Recht auf Arbeit, auf Bildung, auf Gesundheitsversorgung, auf Menschenwürde.

Es hat in den letzten Jahren in den reichen Ländern der Europas und der Welt oft geheißen, die Zeit des bewaffneten Kampfes sei vorüber. Ist das Wiederaufleben der MRTA, oder das Entstehen der EZLN in Mexico, eine Antwort der armen Völker auf die neoliberale Umstrukturierung der Welt, die oft zu viel Armut und Unterdrückung führt?

Es liegt auf der Hand, dass revolutionäre Bewegungen nicht entstehen, weil es sich einzelne Köpfe so ausdenken und so möchten. Diese Bewegungen sind verwurzelt in ganz objektiven Tatsachen, es sind ganz konkrete Sachen, die dem zugrunde liegen. Wenn ein Volk der Willkür der transnationalen Firmen und Banken ausgesetzt wird, wenn vor lauter Wirtschaftswachstums- und Profitdenken dieser Konzerne die Würde des Menschen überhaupt keinen Wert mehr darstellt, wenn dieser Reichtumshunger, der einerseits verfolgt und genährt wird, aber andererseits große Teile der Bevölkerung vieler Länder ins Elend stürzt und den Menschen ein elendiges Leben beschert. Dann kommt es zur sozialen Unzufriedenheit, daraus entsteht der Widerstand. Der Widerstand drückt sich aus in Kundgebungen und Demonstrationen in den Straßen. Er wird sich in seinem Ausdruck jedesmal mehr dem Umgang des Staates mit diesem Protest anpassen. Um letztlich bei der Gewalt zu enden, weil das die Sprache ist, mit der der Staat den Widerstandsbewegungen entgegentritt. Wenn diese Politik des neoliberalen Raubs aufhören würde, dann würde auch unsere Kampfpolitik aufgegeben werden können. Wo soziale Gerechtigkeit herrscht, braucht es keine Guerillabewegung.

Wie waren die Reaktionen auf die MRTA-Aktion international von Befreiungsbewegungen? Auf welche hoffen Sie?

Es gab in vielen Ländern auf der ganzen Welt Kundgebungen für eine politische Lösung vor den jeweiligen peruanischen Botschaften. Wir hoffen, dass diese Mobilisierung die internationale Gemeinschaft und die Regierung Fujimori dazu bewegen, dass eine politische Lösung des Konflikts eintritt. Aber wenn alle diese Mobilisierungen nicht dazu führen, dass es eine politische Lösung gibt, sind wir bereit dazu, den letzten Schritt zu gehen.

Falls die japanische Botschaft vom peruanischen Militär oder anderen Spezialtruppen gestürmt wird, wir reagiert die MRTA darauf?

Wir wollen eine politische Lösung finden und sind dazu bereit. Aber, Falls es zu einer militärischen Lösung der Botschaftsbesetzung durch die peruanische Regierung kommt, stehen in ganz Peru bewaffnete Kommandos der MRTA bereit, um Angriffe auf ökonomische und politische Ziele durchzuführen. Wenn es keine politische Lösung geben wird, wird sich die Situation in Peru zuspitzen und verschlimmern.

(Aus: Lokalberichte München, gekürzt)


Angehörigen Info 191 vom 21. Februar 1997. Herausgegeben von Angehörigen, Freunden und Freundinnen politischer Gefangener in der BRD, www.nadir.org/nadir/periodika/angehoerigen_info/ai191.html.

Überraschung

Jahr: 1997
Bereich: Internationales

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