Materialien 1997

Sehr geehrter Herr Dr. Kanther

27. August 1997

An den Bundesminister des Inneren
Herrn Dr. Kanther
Bundesinnenministerium Bonn

Verbot der Einreise der ausländischen Teilnehmerinnen des Friedenszuges Musa Anter; Aufforderung an die Deutsche Bahn, den Vertrag mit den Veranstaltern des Friedenszuges zu kündigen

Sehr geehrter Herr Dr. Kanther,

mit Empörung habe ich soeben erfahren, dass der geplante Friedenszug Musa Anter keine Durchfahrtgenehmigung durch die Bundesrepublik Deutschland erhalten hat. Nachdem der türkische Ministerpräsident Yilmaz angekündigt hat, dass der Zug nicht in die Türkei einreisen darf, hat auch die Bundesregierung die Deutsche Bahn aufgefordert, den Friedenszug nicht durch die BRD reisen zu lassen. Dem ist diese auch nachgekommen.

Gleichzeitig haben Sie den Bundesgrenzschutz angewiesen, die ausländischen Teilnehmerinnen des Friedenszuges nicht in die Bundesrepublik einreisen zu lassen.

Der Friedenszug Musa Anter war der Versuch, auf den Krieg in Kurdistan hinzuweisen. Es war der Versuch darauf hinzuweisen, dass das türkische Militär gezielt kurdische Ortschaften zerstört und die Bevölkerung vertreibt Deshalb war als Ziel des Friedenszuges die Stadt Diyarbakir geplant, in welche sich zigtausende der Flüchtlinge aus Kurdistan „gerettet“ haben.

Der Friedenszug Musa Anter wurde in der Bundesrepublik vom Appell von Hannover organisiert. Dieser Appell von Hannover ist der Versuch, ein breites, überparteiliches und demokratisches Spektrum für einen Friedensprozess in Kurdistan zu aktivieren. Sie begründen das Verbot u.a. damit, dass es sich hierbei um eine von der PKK gesteuerte Aktion handeln würde.

Ich muß mich dagegen verwehren, dass meine Parteifreunde, die mit diesem Zug gereist wären, alle im Dienste der PKK unterwegs gewesen wären. Auch die Bundestagsabgeordneten der SPD oder die Europaabgeordneten der SPD werden sich sicherlich dagegen verwehren.

Wie auch immer: dieser Zug sollte ein Signal für eine friedliche Lösung des Krieges in Kurdistan darstellen. Diese Aktion haben Sie nunmehr zerschlagen.

Es ist mir unerklärlich, wieso der bundesdeutsche Innenminister den Aufforderungen des türkischen Ministerpräsidenten so nahtlos folgt. Seit wann bestimmt der Ministerpräsident der Türkei, wer in der Bundesrepublik demonstrieren darf? Wieso verhindert die Bundesregierung einen Friedenszug, der der Türkei unangenehm ist?

Ich muss davon ausgehen, dass dieser Friedenszug auch der Bundesregierung nicht in die politische Landschaft passt. Sicherlich zum einen, um dem NATO- Partner Türkei gefällig zu sein. Zum anderen aber wohl auch, weil die DelegationsteilnehmerInnen dieses Zuges zum wiederholten Male die Waffen aus bundesdeutscher Produktion oder den Altbeständen der NVA gesehen hätten, die von der Bundesregierung an das türkische Militär geliefert werden.

Es ist eine Schande, wie willfährig die Bundesregierung hier in der Bundesrepublik Proteste gegen den Krieg in Kurdistan unterdrückt. Der türkische Ministerpräsident runzelt die Stirn und die Bundesregierung tut alles, damit er keine Sorgenfalten haben muss.

Hier ist aber auch eine neue Qualität des Vorgehens gegen demokratische Opposition: Sie als Bundesinnenminister haben nicht davor zurückgeschreckt, das gesamte Spektrum der Mitreisenden des Friedenszuges in die kriminelle Ecke zu stellen. Damit wird allen Gruppen und Personen, die an einem Friedensprozess in Kurdistan arbeiten, die politische Arbeit verunmöglicht.

Ich protestiere energisch gegen die Unterdrückung des Friedenszuges Musa Anter. Ich hoffe, dass der Protest gegen dieses Verbot wenigstens ein wenig von dem erreicht, was der Friedenszug erreichen wollte: Öffentlichkeit über den Krieg gegen die KurdInnen.

Mit dem Verbot des Friedenszuges haben alle TeilnehmerInnen auch den Schutz des Friedenszuges verloren. Viele TeilnehmerInnen werden nunmehr versuchen, auf eigene Faust am 1. September, dem Internationalen AntiKriegsTag, in Diyarbakir zu sein. Ich hoffe, dass Sie dann ebenfalls so schnell handeln als Mitglied der Bundesregierung, wenn es zu Übergriffen gegenüber deutschen DelegationsteilnehmerInnen in der Türkei kommt.

Mit freundlichen Grüßen
Siegfried Benker


Münchner Lokalberichte 19 vom 12. September 1997, 2 f.

Überraschung

Jahr: 1997
Bereich: Internationales

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