Materialien 1997
Ordnungszelle Bayern: Verbot statt Dialog
Dialog statt Verbot?
Mehrere Wochen lang fuhr ein Aktionsbus der Kampagne „Dialog statt Verbot“ eine Vielzahl deutscher Städte an, um dort für die Ziele der Kampagne zu werben: „Aufhebung des PKK-Verbots“ und „Frieden jetzt für Kurdistan“ . Die Kampagne wurde von der Föderation Kurdischer Vereine YEK-KOM getragen und von einer Vielzahl Einzelunterstützer gefördert, darunter Bundes- und Landtagsabgeordnete der PDS und von Bündnis 90/Grüne. In den einzelnen Städten liefen während der Kampagne unterschiedliche Aktionen wie öffentliche Kundgebungen, Delegationen zu Landtagsabgeordneten und Kommunalpolitikern, Folklore und Informationsveranstaltungen.
Vor allem zeigte die Reaktion des Staatsapparates die Widersprüche im Umgang mit dem PKK-Verbot und den Kurden. In den meisten Städten war es möglich, um den Aktionsbus herum Kundgebungen zu organisieren, es gab allenfalls kleinere Schikanen der Polizei. Gelegentlich wurden im Umfeld des Busses kurdische Symbole beschlagnahmt, die als verboten gelten. Deutlich wurden die Widersprüche zuerst in Hannover, wo der Polizeichef sämtliche Aktivitäten für die Kampagne untersagte und den Bus durch Polizeikommandos stoppte. Der niedersächsische Innenminister Glogowski, der schon auf einer Innenministerkonferenz über eine Aufhebung des PKK-Verbotes nachdachte, distanzierte sich anschließend von diesem Vorgehen seines Polizeichefs. In Baden-Württemberg, nicht gerade für seinen Liberalismus gerühmt, war es dagegen kein Problem, Kundgebungen der Kampagne anzumelden und es gab nur kleinere Polizeischikanen. Ganz anders in Bayern. Hier waren Kundgebungen in Nürnberg und München und ein kurdisches Fest in Landshut für den 17. und l8. November geplant. Schon bei der Anmeldung der Kundgebung in München, die auf dem Stachus stattfinden sollte, wurde den Anmeldern, einem Vertreter der Infostelle Mesopotamia und dem bündnisgrünen Stadtrat Siegfried Benker erklärt, die Behörden würden nur noch einen Grund für das Verbot suchen, in Bayern würde es keine Veranstaltungen der Kampagne Dialog statt Verbot geben. Die Begründung für das Verbot stützte sich dann auf die Behauptung, YEK-KOM als Veranstalter der Kampagne sei eine Nachfolgeorganisation der als PKK-nah geltenden verbotenen FEYKA. Auch sei der Anmelder der Infostelle Mesopotamia auch Mitglied des Vereins für interkulturelle Zusammenarbeit e.V. (ViZ), dem ebenfalls seit einiger Zeit der Vorwurf der PKK-Unterstützung gemacht wird. Allerdings sind weder YEK-KOM noch ViZ verboten, sondern arbeiten völlig legal und öffentlich. Die Stadtratsfraktion Bündnis 90/die Grünen lud nun die Teilnehmer der Kampagne zu einem Empfang mit dem 3. Bürgermeister Hep Monatzeder in das Rathaus ein und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft veranstaltete eine Informationsveranstaltung im Gewerkschaftshaus mit den Vertretern der Kampagne. Der in den kurdischen Farben rot-gelb-grün bemalte Bus mit Plakaten gegen das PKK-Verbot wurde allerdings schon vor München durch schwerbewaffnete Polizeikräfte gestoppt, alle Mitfahrer und der Bus durchsucht. Eine junge Frau wurde für mehrere Stunden festgenommen, weil bei ihr ein CS-Spray gefunden wurde, wie man es an jeder Tankstelle kaufen kann. Das sei eine Waffe, so die absurde Begründung. Die Polizei sah in dem Bus ein Kundgebungsmittel für die verbotenen Veranstaltung und untersagte ihm, in die Landeshauptstadt einzufahren. Stattdessen wurde das „Kundgebungsmittel“ unter Polizeieskorte zum Kapuzinerhölzl am Stadtrand gefahren und den Tag über streng bewacht. Dass die Teilnehmer der Kampagne ins Rathaus eingeladen waren, beeindruckte die Polizei wenig. So konnten nur drei Vertreter mit dem Taxi zum Rathaus fahren, dass von hauptsächlich zivilen Polizeikräften umlagert wurde. Beim anschließenden Gespräch bei der Fraktion solidarisierten sich Vertreter von Bündnis90/die Grünen mit dem Anliegen der Kurden. Auch auf dem weiteren Weg zum Gewerkschaftshaus, wo um 17.00 Uhr die Veranstaltung der GEW geplant war, begleiteten Staatsschützer auf Schritt und Tritt die Vertreter der Kampagne. Im Gewerkschaftshaus schnüffelte die Polizei schon seit Stunden rum und belagerte den Eingang, wie verschiedene Gewerkschafter erbost feststellten. Die kurzfristig erst zwei Tage vorher angekündigte Infoveranstaltung stieß auf Interesse verschiedener Politiker und Gewerkschaftsvertreter, die vor allem ihren mangelnden Informationsstand zum Thema Kurdistan und PKK bedauerten. Anwesend waren unter anderem die SPD-Landtagsabgeordnete Anne Hirschmann und der PDS-Bundestagsabgeordnete Heinrich Graf von Einsiedel.
Nach der Informationsveranstaltung wurde den Mitfahrern des Busses erlaubt, mit dem Bus nach Landshut zu fahren, wo Schlafplätze zur Verfügung standen. Ein kurdisches Fest mit Folklore im Kleinen Theater Landshut hatte die Polizei 1 ½ Stunden vor Beginn verboten. Veranstaltet wurde das Fest von der AG International, der autonomen Zelle, Flüchtlingshilfe Kurdistan e.V., Kurdistan Komitees, Arbeitskreis Partnerschaft mit der Dritten Welt und von der DGB-Jugend, was die Polizei allerdings nicht beeindruckte. Auch auf dem Weg nach Landshut wurde der Bus von Polizeifahrzeugen begleitet, später erneut gestoppt, eine Stunde lang festgehalten und alle Insassen kontrolliert. Währenddessen hatten sich in Landshut einige Dutzend Kurden, Türken und Deutsche vor dem Kleinen Theater versammelt, die erst dort von dem Verbot des Festes erfahren hatten. Weil es kalt war, begannen einige, im Hof des Gebäudes zu tanzen. Die Polizei – es waren vor allem Kräfte des Unterstützungskommandos USK – sah darin eine Ersatzveranstaltung und stürmte den Hof. Wahllos wurde auf die Menschen eingeprügelt, ein Teilnehmer wurde am Kopf verletzt, fast alle Brillen gingen zu Bruch. Die Polizei nahm neun vor allem kurdische und türkische Menschen fest, denen nun Prozesse unter anderem wegen Körperverletzung und Widerstandes gegen die Staatsgewalt drohte. Am nächsten Tag wurde der Bus bis an die bayerische Grenze mit Polizeifahrzeugen eskortiert, um anschließend weiter nach Göttingen zu einer problemlos genehmigten und friedlichen Kundgebung zu fahren.
In München und Landshut ging nun die Pressehetze los. So hatte die „liberale“ Süddeutsche Zeitung kein Problem damit, das eine Woche nach dem Verbot einer antifaschistischen Kundgebung, die auch von Gewerkschaften, Grünen und Sozialdemokraten unterstützt wurde, schon wieder eine Veranstaltung verboten wurde. Eher wurde der Skandal darin gesehen, dass – so die SZ im Einklang mit den schwarzbraunen CSUlern Uhl und Gauweiler – PKKler in Rathaus geladen werden. Schlimmer hetzte noch die Landshuter Zeitung. Eine „PKK-Kundgebung“ wurde in den Besuchern des verbotenen Festes gesehen, die die Polizei glücklicherweise zerschlagen hätte. Der Autonomen Zelle wurde infamerweise in einem Artikel eine Nähe zur RAF-Abspaltung „Antiimperialistische Zelle“ AIZ angehängt. Vielleicht hätte der verantwortliche Redakteur sich erstmal erkundigen sollen, wofür die Abkürzung der Zeitung AIZ, an der die Autonome Zelle mitarbeitet, steht: nämlich für Antifaschistische-autonome-ArbeiterInnen-Info-Zeitung. Erfreulich, dass der Landshuter DGB daraufhin zur Pressekonferenz in Gewerkschaftshaus lud. Schließlich war durch das Verbot des Festes auch die DGB-Jugend als Mitveranstalter betroffen. Gegen das Verbot des Festes wollen Mitglieder der Kurdistansolidarität nun auch vor Gericht gehen.
Die Kampagne „Dialog statt Verbot“ hat bundesweit eine ganze Anzahl Menschen erreichen können, die sich gegen das undemokratische PKK-Verbot aussprachen. Diese Kampagne muss als Auftakt weiterer Aktivitäten gesehen werden mit dem klaren Ziel, das PKK-Verbot zu stürzen. Erfreulich ist besonders das Engagement in DGB-Kreisen in Bayern. Hoffentlich wird sich hier in Zukunft eine weitere und intensivere Zusammenarbeit zwischen den kurdischen Vereinen und den Gewerkschaften entwickeln, so dass es einmal heißen kann: der DGB gehört zu den Kräften, die entschieden auch die politischen Rechte der kurdischen Arbeitnehmer verteidigen.
Polizeikräfte, die willkürlich und brutal vorgehen, Busse, die mit Waffengewalt gestoppt und außer Landes eskortiert werden, friedlich tanzende Kurden, die niedergeknüppelt werden und demokratische Politiker, die als Terroristen verleumdet werden … Wer das Vorgehen der türkischen Behörden gegen den Friedenszug Musa Anter1 erlebt hat, kann gewisse Parallelen nicht leugnen. Gerade das Verhalten der bayerischen Behörden und Polizei hat wieder verdeutlicht, wie notwendig diese Kampagne ist, kann doch jedes Engagement für die Kurden und jedes kurdische Fest verboten werden. Sobald die Polizei behauptet, Erkenntnisse über einen PKK-Zusammenhang zu haben, schlägt die Verbotskeule zu, egal, ob damit kurdische Vereine, die DGB-Jugend oder eine Grüner Rathausabgeordneter ihrer demokratischen Grundrechte beraubt werden. Einfach absurd ist die Behördenwillkür. Was in Ulm noch erlaubt ist, ist in Bayern schon illegal und wird niedergeknüppelt. Was hier im Namen des „Rechtsstaates“ geschieht, ist viel eher ein Fall von Fürstenwillkür und Kleinstaaterei. Der Kampf gegen das PKK-Verbot ist eine unmittelbare Notwendigkeit, denn dieser Kampf ist in Bayern auch ein Kampf gegen schwarzbraunen CSU-Filz, gegen die „Ordnungszelle“ Bayern.
Nick Brauns
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1 Am 31. August setzte sich in Brüssel ein Konvoi von sieben Bussen mit hundertachtzig Teilnehmern aus dreizehn Ländern und mit hundertsiebzig Kurden und Türken in Bewegung, um am 1. September in der kurdischen Hauptstadt Diyarbakir ein Fest zum Antikriegstag zu feiern. Die türkischen Behörden verboten das Fest und verhafteten etwa 2.000 Menschen in Kurdistan.
Münchner Lokalberichte 25 vom 4. Dezember 1997, 4 f.