Materialien 1997

Keine Demonstrationsfreiheit für die Nazis!

Die Genehmigung von Aufmärschen und Veranstaltungen diverser Nazi-Organisationen wird immer wieder — vor allem in München und vor allem vom Kreisverwaltungsreferenten Herrn Dr. Uhl — mit der Versammlungsfreiheit begründet.

Die Herrschenden trauten sich nicht immer faschistische Propaganda offen zuzulassen. Nach der Zerschlagung des „3. Reiches“ durch die Armeen der Alliierten und dem Entsetzen über die Greuel der 12 jährigen Nazi-Herrschaft, gab es in der Gesellschaft einen vordergründigen Konsens, dass faschistische Propaganda für sich das Recht auf freie Meinungsäußerung nicht beanspruchen kann und darf.

Heute wird von den bürgerlichen Befürwortern der „völligen“ Versammlungsfreiheit die Zunahme der faschistischen Aktivitäten und der Einzug der rechtsextremen Parteien in die Parlamente als „Rückkehr in die Normalität“ bezeichnet. Was heißen soll: „Wir haben die Vergangenheit hinter uns gelassen, faschistische Organisationen gehören zum bürgerlichen Parlamentarismus und All-
tag“.

Es ist in Deutschland nichts ungewöhnliches – wenn es opportun erscheint — Veranstaltungen und Demonstrationen unter fadenscheinigen Begründungen zu verbieten. Man erinnere sich z.B. an die Demonstrationen gegen die Unterdrückung der Kurdinnen und Kurden durch den türkischen Staat. Schnell ist das Totschlagargument PKK zur Hand. Obwohl es selbstverständlich sein sollte, dass man nicht in der PKK zu sein braucht, um gegen Unterdrückung zu sein. Mittlerweile ist es einem Großteil der Kurdinnen und Kurden nicht mal möglich, Volkstanz-Vereine zu gründen — dann nämlich, wenn der Verein nicht einer dem Staat genehmen Gruppierung nahe steht, sondern unabhängig ist und/oder von der staatlichen politischen Linie abweicht.

Die Frage ist also schnell da: Warum unterbindet der Staat nicht die Propaganda, die Demon-
strationen und Organisierung der Nazis? Sind sie so harmlos, ein paar „Ewiggestrige“? Wie viele Nichtdeutsche, Obdachlose, Linke sind in den letzten Jahren durch die Faschisten ermordet worden? 50? 100?

Nein, dass sie so harmlos sind, kann nicht mal dieser Staat behaupten, dafür passieren tagtäglich zu viele Überfälle und Anschläge. Es steckt offensichtlich etwas Anderes dahinter.

Die bürgerliche Gesellschaft steckt in der Krise. Arbeit haben ist, wie vor Jahrzehnten, keine Selbstverständlichkeit mehr. Immer größere Teile der Bevölkerung werden für die kapitalistische Verwertung überflüssig, sind verunsichert, haben Angst vor der Zukunft und ein immer größer werdender Teil lebt in Armut. Die Zukunft wird ungewiss, unbeeinflussbar, wird, wie es scheint, zum Schicksal. Die reaktionäre Propaganda und das Fehlen einer emanzipatorischen Alternative treibt die Menschen dazu, sich Schuldige auszusuchen. Die ungebrochenen Traditionen in Deutschland (Kaiserreich, Nazi-Herrschaft …) tun das „Ihrige“ dazu.

Das alles — ob geplant und durchdacht, oder nicht — ist für die Herrschenden natürlich angenehm. Mehr noch: Es ist erwünscht. Denn womit sollten sie den „großen Lauschangriff“ begründen, wenn die Menschen keine Angst vor „Ausländerkriminalität“ hätten? Wie sollte es funktionieren, dass Unternehmer Arbeitskräfte aus dem Ausland auf deutschen Baustellen extrem ausbeuten und sie gleichzeitig als die Schuldigen an der Arbeitslosigkeit des deutschen Maurers darstellen?

Im Bewusstsein dieser Tatsachen stellt sich die Frage, wie Antifaschismus heute auszusehen hat. Können Menschen, die sich als Antifaschisten bezeichnen, es als Erfolg feiern, wenn die Nazis ungestört durch die Stadt ziehen und lediglich ihre Kundgebung einige hundert Meter vor dem geplanten Ort abhalten müssen, wie am 1. März geschehen? Sollte nicht versucht werden zu unter-
binden, dass sie sich überhaupt versammeln können?

Wenn wir etwas aus der Vergangenheit lernen sollten, dann dies: man überlässt den Nazis nicht ungestraft die Straße. Den Faschisten ihre Versammlungsfreiheit zu stören ist wenn nicht legal doch legitim. Noch können wir es wagen, noch haben die Herrschenden in diesem Land Hemmun-
gen, den Faschisten freie Hand zu lassen.

Keine Freiheit für die Feinde der Freiheit!


Westend Nachrichten. Stadtteilzeitung für das Westend und die Schwanthalerhöh’ 45 vom November 1997, 8 f.