Materialien 1998

helfen, helfen, helfen! ... bis die Welt sich nicht mehr dreht

Ende April lud Wolfgang Kurreck, Leiter des Münchner Flüchtlingsamts, zur Eröffnung der Ausstellung „Zwischen Zerstörung und Neuanfang“. Entgegen den Gepflogenheiten des sozialpädagogischen Wertekosmos wurden diesmal nicht die Zeichnungen kriegstraumatisierter Kinder gezeigt, auch keine Häkelarbeiten von Flüchtlingsfrauen, sondern Photos, die Edith von Welser-Ude, Amtschef Kurreck selbst und Herr Köfferlein, Mitglied der Initiative „Miteinander leben in Solln“, auf ihren Bosnien-Reisen geschossen haben.

Auch beim Buffet hieß es diesmal nicht: „Migrantinnen kochen Spezialitäten aus ihren Ländern“, vielmehr liefen weißgeschürzte Dienstkräfte von Feinkost Käfer herum und boten Lachsbrötchen, Sekt und O-Saft an. Wie man sich von Amts wegen eine echte Vernissage vorstellt. So konnte das Publikum (sozialdemokratischer Amtsadel, vermehrt durch die Dienstkräfte der hinteren Büros) Garnelenbeißend und Mousse-au-Chocolat-schleckend zwischen den Stellwänden herumwandeln und die geschmackvoll hinkomponierten Aufnahmen von zerschossenen Häusern und dankbaren Lagerbewohnern betrachten. Die Motive: „Einst eine der schönsten Wohnstraßen in Mostar. Heute traut sich nur noch ein Hund hierher.“ „In dem freudlosen Lagerleben ist der UNICEF-Besuch eine willkommene Abwechslung, die Hoffnungen erweckt.“

In einer kurzen Ansprache stellte Frau Lich vom „Büro für Rückkehrhilfen“ die Künstler vor und erklärte, die Flüchtlinge seien in München sehr herzlich aufgenommen worden, nun solle dafür gesorgt werden, dass es ihnen auch bei ihrer Rückkehr gut gehe. Amtsleiter Kurreck erzählte von dem Erlebnis, das ihn am meisten beeindruckt hat: Während einer Busfahrt von Bosnien nach Kroatien brach eine Frau in Tränen aus, als sie ein Dorf sah, das weniger zerstört war als ihr eigenes: „Man sieht, wie das noch in den Leuten steckt.“ Da kann man fast von Glück sprechen, dass zu der Vernissage keine Flüchtlinge eingeladen waren. Am Ende hätten sie noch unkontrolliert losgeheult.

Das Münchner Flüchtlingsamt wurde 1994 auf Beschluss der rot-grünen Stadtratsmehrheit eingerichtet, – ursprünglich in der Absicht, dem Leiter des Kreisverwaltungreferats und sicherheitspolitischen Hardliner der CSU, Hans-Peter Uhl, die ausländerrechtlichen Befugnisse zu entziehen. Dazu ist es nicht gekommen.

So viel von „menschenwürdiger Unterbringung“ geredet wird, so wenig besteht die Absicht, das zu erwirken, was zählt: ein Bleiberecht für MigrantInnen und Flüchtlinge. Während aufenthaltsrechtlich alles beim Alten bleibt, dient die Freundlichkeitskultur des Flüchtlingsamts vor allem dazu, München als „guten Gastgeber“ zu präsentieren, der die bosnischen Flüchtlinge (von den AsylbewerberInnen aus anderen Ländern, die bei der „Bevölkerung“ nicht so gut angekommen sind, wird meist geschwiegen) großherzig aufgenommen hat, nun aber im Gegenzug darauf zählen darf, dass sich die Gäste wieder davonmachen, möglichst ohne Widerrede und demonstrativ dankbar.

In nur vier Jahren hat es Amtsleiter Kurreck geschafft, die relativ unbürokratischen und flexiblen Strukturen des „Münchner Betreuungsmodells“ zu zerschlagen, bei den 400 studentischen Mitarbeiterinnen, die bisher in den städtischen Unterkünften arbeiteten, jährlich 2,2 Millionen Mark einzusparen und eine neue, starre Hierarchie von Abteilungsleitern, Gruppenleitern, RegionalleiterInnen, FachberaterInnen, HeimleiterInnen, HausverwalterInnen und Hausmeistern einzurichten. Während für die Betreuerinnen in den Unterkünften aufgrund massiver Einschränkungen inzwischen jede kontinuierliche Unterstützung von AsylbewerberInnen und Flüchtlingen (Ämterbegleitung, Hilfe bei Aufenthaltsschwierigkeiten) unmöglich geworden ist, konzentriert sich das Amt immer mehr auf seine zentralisierte und eigenwillige Form der Außenpolitik und wirbt in den Münchner U-Bahnen für sein Projekt „München hilft. Heimkehr nach Bosnien“.

Die vom Münchner Stadtrat 1997 beschlossene „humane Rückführung“ der bosnischen Flüchtlinge wird auf diese Weise arbeitsteilig organisiert: Innenministerium und Kreisverwaltungsreferat erledigen die Abschiebung, das Flüchtlingsamt kümmert sich um den menschlichen Faktor: „Bei Bedarf erhalten heimkehrende Flüchtlinge Hausrat, Kleinmöbel und Öfen, die von Münchner Bürgerinnen und Bürgern gespendet wurden.“ Wer seine alte Matratze spendet, tut damit doppelt Gutes: Er entsorgt nicht nur bequem seinen Sperrmüll, sondern trägt auch noch dazu bei, die bosnischen Flüchtlinge aus dem Land zu komplimentieren. Mit etwas weniger aufdringlicher Rückkehrberatung wären sie vielleicht noch auf den Gedanken gekommen, hierzu bleiben.


fünfte hilfe. Die große europäische Sozialrevue, Sommer 1998, 36 f.

Überraschung

Jahr: 1998
Bereich: Flüchtlinge

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