Materialien 1998

etwas anderes versuchen

Mit einer Karawane, die sechs Wochen lang durch ganz Deutschland ziehen wird, wollen Flüchtlinge und MigrantInnen sich in den Bundeswahlkampf einmischen und der rassistischen Hetze entgegentreten, die von DVU bis SPD die Debatte um Einwanderung und Asyl bestimmt. In München soll die Karawane am 3. September eintreffen und mit einer Demonstration und einem Fest begrüßt werden. Wir sprachen mit Joseph Mbongo-mingi von der Münchner Karawanengruppe über Wirkungen und Nebenwirkungen des Projekts.

Die Idee zu einer „Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen“ kam aus Bremen, hat sich aber seit Anfang des Jahres sehr schnell in vielen Städten herumgesprochen. Was hat dich an dem Projekt interessiert und worin siehst du den Unterschied zu anderen antirassistischen Kampagnen?

Die Karawane ist ein Projekt von Flüchtlingen für Flüchtlinge, kein Projekt, das von den antirassistischen Gruppen kommt und an die Flüchtlinge weitergegeben wird. Mein Interesse kommt daher, dass es in Bremen den Flüchtlingen gelungen ist, untereinander gute Kontakte herzustellen und mit den antirassistischen Gruppen effizient zusammenzuarbeiten, so etwas möchte ich auch hier in München anstoßen.

Was verstehst du unter effizienter Arbeit? Wie lässt sich dieses Karawanen-Projekt am besten unterstützen, wenn es ein Projekt bleiben soll, dass von Flüchtlingen initiiert und bestimmt wird?

Alles, was die rechtliche Situation angeht, ist sehr wichtig: Erfahrungen, aber auch Kontakte zu Rechtsanwälten. Die Unterstützung der antirassistischen Gruppen ist aber auch nützlich, weil dieses Projekt durch ganz Deutschland führt und wir nicht überall die richtigen Ansprechpartner haben. Davon können auch wir profitieren.

In dem Flugblatt aus Bremen steht, dass es darum geht, möglichst vielfältige Erfahrungen aus sehr unterschiedlichen Flüchtlings- und Migrationsbereichen zu sammeln und zu sehen, was dabei herauskommt. Welche Erfahrungen hast du selbst gemacht, als Flüchtling, der seit sechs Jahren hier lebt, exilpolitisch aktiv ist und dabei auch mit deutschen Initiativen zusammenarbeitet?

Okay, zunächst möchte ich sagen, dass nach meiner Erfahrung Flüchtlinge hier nicht so ernst genommen werden, und das erschwert die Arbeit ihrer Vereine oder Gruppen in Deutschland. Auch von Gruppen, die sich für Flüchtlinge und MigrantInnen engagieren, werden wir oft nicht ernst genommen. Ich bin der Meinung, dass mit der Karawane die Möglichkeit entsteht, mit diesen Gruppen zu reden und eine gleichberechtigte Zusammenarbeit zu schaffen. Ein anderes Beispiel betrifft die Arbeit meiner Flüchtlingsorganisation. Ich komme aus Zaire. Wir neigen dazu, uns nur auf das zu konzentrieren, was die Zairer angeht. Wenn die Togoer oder die Kurden etwas organisieren, dann kann ich kaum Zairer finden, die daran teilnehmen. Dann merke ich schon, da stimmt was nicht, denn, egal woher wir kommen, zwischen uns gibt es einen gemeinsamen Nenner: die rassistische Behandlung, die uns hier widerfährt. Daher ist die Karawane für mich eine neue Erfahrung. Mit der Karawane können wir es schaffen, uns nicht nur auf die eigenen Probleme zu konzentrieren, sondern auch die Probleme anderer Flüchtlinge und MigrantInnen mit zu berücksichtigen. Wir könnten damit die Möglichkeit bekommen, aus unserer Isolation herauszukommen und uns gegenseitig zu stärken.

Weil es um die gleiche Sache geht?

Ja, genau.

Trotzdem gibt es ja diese Verschiedenheit, sowohl zwischen den unterschiedlichen MigrantInnen- und Flüchtlingsorganisationen, als auch z.B. zu uns, bzw. den Leuten, die sich als antirassistisch verstehen. Welche Schwierigkeiten siehst du in der Zusammenarbeit, und wie könnte das vielleicht in Zukunft anders werden?

Zu den Verschiedenheiten zwischen uns, da kann ich schon etwas sagen: die werden immer da sein, aber wir werden versuchen, sie zu überwinden. Trotz dieser Unterschiede sehen wir alle in die gleiche Richtung. Vielleicht sind unsere Wege andere, vielleicht, weil ich ein Flüchtling bin und andere Deutsche oder Engländer sind, aber wir kämpfen für die Menschenrechte. Momentan sind wir sechs Gruppen in der Karawane, drei Flüchtlingsgruppen: meine, eine togoische und eine tamilische Organisation, und drei antirassistische Gruppen. Diese Beziehungen sind voller Respekt. Wir nehmen uns gegenseitig ernst. Das freut mich und das gibt mir die Motivation weiterzuarbeiten.

Was die Karawane angeht, gibt es insofern Schwierigkeiten, als wir hier in München bis jetzt keine systematische Mobilisierung gemacht haben. Wir haben es bisher versäumt, es ist jedoch noch nicht zu spät. Wir werden jetzt Flüchtlings- und MigrantInnenorganisationen, aber auch antirassistische Gruppen direkt ansprechen und einen persönlichen Kontakt aufbauen. Mal sehen, was daraus entstehen wird.

Ist die Sache eigentlich mit dem Empfang der Karawane in München am 3. September beendet?

Nein, sicher nicht. Es ist wichtig, darüber hinaus zusammenzuarbeiten. Es hätte keinen Sinn, am 3. September eine Demonstration zu machen, und dann wäre alles vorbei. Das sollte erst der Anfang sein. Ich bin davon überzeugt, dass wir viel zusammen erleben werden.

Was ist für den 3. September geplant? Wie könnte die Demo, und auch das Fest am Abend, Flüchtlinge und MigrantInnen erreichen, die bisher nichts von der Karawane gemerkt haben?

Die praktischen Modalitäten sind noch nicht festgelegt. Auf jeden Fall, wenn wir gegen die bestehende rassistische Politik protestieren und die konkreten Probleme von Flucht und Migration an die Öffentlichkeit bringen wollen, dann müssen Flüchtlinge und MigrantInnen selber sprechen. Wie können wir sonst von den Realitäten und Problemen der Leute wissen? Deshalb werden wir systematisch Flüchtlings- und MigrantInnen-Organisationen ansprechen, um schon vorher ihre jeweiligen Forderungen zu erfahren.

Du hast auf der Veranstaltung am Donnerstag zitiert, was Gauweiler auf dem CSU-Parteitag von sich gegeben hat. Wie kann die Karawane auf diese Wahlkampfhetze antworten?

Ich bin überzeugt, dass dieses Thema im Bundestagswahlkampf missbraucht werden wird. Das hat schon begonnen mit der Drohung von Gauweiler, die von der ganzen Partei akzeptiert wurde, dass Deutschland und Bayern kein Einwanderungsland seien. Das wird noch schlimmer werden. Um Stimmen zu gewinnen werden die Politiker versuchen, mit den Gefühlen der Wähler zu spielen und – vor allem bei Bürgern mit sozialen Problemen – Ausländer, Flüchtlinge oder Migranten als Sündenböcke darzustellen.

Es sind ja leider nicht nur DVU und CDU/CSU, die mit dem Thema Immigration Stimmen fangen wollen, sondern auch die SPD. Und die Grünen halten sich raus. Man sollte ja denken, wenn solche Plakate auftauchen, wie sie jetzt die CSU im Westend geklebt hat: ,Wer mehr Zuwanderung will, darf uns nicht wählen’, müsste es darauf irgendeine Antwort geben. Aber es ist auch kein Zufall, dass es sie nicht gibt.

Ja, wenn sich in der Gesellschaft etwas ändern soll, dann sind wir es, die etwas dafür tun müssen. Schritt für Schritt. Ich würde nicht sagen, dass am 3. September die deutsche Gesellschaft antirassistisch wird, aber wir werden anfangen und langfristig überlegen. Wer sein ganzes Leben so einen Mist gehört hat, der kann nicht von einem Tag auf den anderen davon lassen.

Geht es bei der Karawane vor allem darum, nach außen zu wirken, damit die Leute andere Gedanken bekommen, oder siehst du den Erfolg, realistisch betrachtet, in der Zusammenarbeit von unterschiedlichen Organisationen, im Kennenlernen von Gruppen, im Aufbauen von neuen Arbeitsstrukturen für die Zukunft?

Man muss zwei Dinge trennen: Was die Zusammenarbeit mit den anderen antirassistischen Gruppen betrifft, ist der Erfolg schon da. Das hab ich schon gesagt. Ich habe bemerkt, dass wir uns gegenseitig ernst nehmen. Das ist schon ein Erfolg. Das sind aber Gruppen, die politisch aktiv sind. Bei den anderen, beim Volk, sind viele nicht politisch aktiv. Sie hören jeden Tag fast das gleiche, im Fernsehen, in den Medien, nämlich dass Ausländer deutsche Arbeitsplätze klauen. Wir wollen diesen Leuten sagen, dass das, was sie jeden Tag hören, nicht der Realität entspricht. Das könnte Auswirkungen haben.

Es gibt aber sehr hartnäckige Überzeugungen, die sich auch nicht ändern, wenn du alles fünfmal, sechsmal oder siebenmal erklärst. Rassistisch zu sein, kann ja für das psychische Funktionieren so wichtig sein, dass rationale Argumente gar nicht zählen …

Wenn man die Dinge so sieht, dann kann man nur noch fatalistisch sein und gar nichts mehr machen. Vielleicht sind nämlich viele Leute, Jugendliche z.B., die die DVU gewählt haben, nicht so rassistisch. Sie sind enttäuscht von ihrem Leben, und ihnen wurde immer wieder gesagt, dass daran die MigrantInnen und Flüchtlinge schuld sind, und letztendlich glauben sie das. Statt auf die Probleme wirklich einzugehen, statt die Krise richtig zu bekämpfen, lenken die Politiker das Volk ab, einfach um an der Macht zu bleiben und Stimmen von den Wählern zu gewinnen. Die wollen die MigrantInnen und Flüchtlinge raushaben. Aber die Realität ist eine andere. Sie wissen, dass sie das nicht tun können. Und jetzt kommt die DVU und sagt: Okay, CDU und CSU sagen das zwar, aber tun es nicht. Wir machen es besser. Wir werden alle Ausländer rauswerfen. Dann sind die Wähler versucht, sie zu wählen. Es liegt daher an uns, an denen, die anders denken und die Problematik verstehen, an der Basis eine Pionierarbeit zu leisten. Versuchen wir jetzt, den Leuten etwas anderes zu sagen, ständig und immer wieder, nicht nur einmal und Schluss. Wenn wir nach dem ersten Mal schon sagen, wir haben es mit rationalen Argumenten versucht, leider hat es nicht geklappt, dann werden wir nichts erreichen und fatalistisch werden. Bombardieren wir die doch mit unseren Meinungen.

Ich glaube schon, dass es eine Wirkung hat, wenn Flüchtlinge und MigrantInnen gemeinsam öffentlich auftreten und sagen: Hier sind wir! Und wir haben Forderungen! In München sind zwanzig Prozent der Bevölkerung Ausländer. Ich meine: rechtlich als Ausländer definiert, denn Menschen nicht-deutscher Herkunft gibt es natürlich noch viel mehr: Trotzdem gibt es keine politische oder kulturelle Selbst-Repräsentation, die dem entsprechen würde. Die Deutschen haben sich viel zu sehr daran gewöhnt, in ausländischen Menschen immer nur die zu sehen, die die Pizza hertragen oder den Müll wegbringen.

Die Leute sind da. Sie leben hier. Die Deutschen müssen lernen, sich damit abzufinden. Es gibt Kinder von MigrantInnen, die hier geboren sind. Die sind keine MigrantInnen mehr.

Aber weil es dieses spezielle Staatsbürgerschaftsrecht gibt, sind sie auch keine Deutschen.

Genau. Aber sie sind hier geboren und sie werden hier erwachsen. Ihre Präsenz in der Gesellschaft wird stärker sein. Statt sich von ihnen zu distanzieren, liegt es doch auch im Interesse der Deutschen, zu sehen, wie es zusammen funktionieren könnte. Frankreich ist Deutschland weit voraus, auch wenn es nicht das Ideal ist. Aber Flüchtlinge und MigrantInnen sind dort schon sehr gut organisiert, sie bilden eine richtige Bewegung gegen die rassistische Politik. Jetzt gibt es eine Bewegung von Arbeitslosen: die mit den Sans-Papiers zusammenarbeitet. Ja, so etwas wäre auch gut in Deutschland. Wenn nicht morgen, dann …

… übermorgen

Ja, warum nicht. Wir müssen uns darüber Gedanken machen. Was denkt ihr denn über die Karawane? Seid ihr bereit, sie zu unterstützen?

Für uns ist es wichtig, neue Formen der Zusammenarbeit zu finden. Bei den üblichen antirassistischen Aktivitäten ist es ja meistens so: die Leute, über die man redet, sind nicht da. Das nimmt z.T. sehr skurrile Formen an. Zur der Zeit, als hier in München die großen Container-Lager aufgebaut wurden, so vor 6 Jahren, da gab es Beratungen unter den hiesigen AntifaschistInnen und AntirassistInnen: ja wie können wir denn jetzt die Flüchtlinge beschützen? Die Leute wollten vor die Heime ziehen und Plakate hochhalten: Wir schützen Euch! Das war völlig deplaziert, nicht nur wegen der leeren Versprechung, sondern weil auch klar wurde, dass es gar keine Vorstellung davon gab, wo und wie Flüchtlinge in München leben, was sie wollen und was nicht.

Es gibt viele, die über Flüchtlinge oder MigrantInnen reden, aber keine näheren Kontakte zu ihnen haben. Es gibt Leute, die seit 10 Jahren im Flüchtlingsbereich arbeiten und nie wirklich nahe mit den Flüchtlingen zu tun hatten. Es ist kaum zu glauben, aber so etwas gibt es.


fünfte hilfe. Die große europäische Sozialrevue, Sommer 1998, 20 ff.

Überraschung

Jahr: 1998
Bereich: Flüchtlinge

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